So feierte Schaffhausen früher: Rückblick auf die berühmt-berüchtigtsten Discos der Region

Ralph Denzel | 
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Party in den 70ern: junge Leute im «Terminus» in Neuhausen. Bild: SHN-Archiv

Schon immer wollte sich die Jugend ausleben – und fast genauso lang gab es Reibereien zwischen denen, die Party machen wollten und denen, die das nicht verstanden. Das gutbürgerliche Schaffhausen war da keine Ausnahme. Wir blicken zurück auf die berühmtesten – und wohl auch berüchtigtsten – Discos und Clubs von früher.

«In Schaffhausen läuft immer etwas, wenn es auch nur die Wasserhahnen sind.» Das sagte 1985 der 18-jährige Andre bei einer Umfrage der «Schaffhauser Nachrichten», die sich ins Nachtleben der Munotstadt stürzten und dafür die Partygänger nach ihren Erfahrungen befragten. Eine etwas harsche Aussage, gab es doch auch früher schon einige berühmt-berüchtigte Ausgehorte.

Leider muss man so ehrlich sein: Schaffhausen war schon damals «Blos e chliini Stadt», in der Leute, die in den «Usgang» gehen wollten, mal früher, mal später, an die «bürgerlichen Wänd» stiessen. Das zeigen einige Beispiele legendärer Locations – die bis heute Nostalgie in den damaligen Besuchern auslösen und teils auch nie ganz aus Schaffhausen verschwanden.

«Terminus», Bahnsteigstrasse, Neuhausen

Die Zeit der Disco «Terminus» war kurz, aber dafür umso intensiver.

1978 wurde der Laden eröffnet, direkt unter einem Wohnhaus – Reibungspunkte waren praktisch vorprogrammiert. Auf der einen Seite die Jugendlichen, die tanzen, sich ausleben und feiern wollten, auf der anderen Seite Bewohner, die meisten älteren Semesters. Es war ein perfekter Sturm, der sich hier in Neuhausen zusammenbraute. Die Jugendlichen fluteten den Laden, machten Party, waren ausgelassen – und brachten so manchen Anwohner an den Wochenenden um den Schlaf.

Vielleicht nicht der beste Ort für eine Disco, direkt unter einem Wohnhaus. Bild: Eberhard Lukas

In den SN beschwerten sich die genervten Anwohner über «Sex auf Grundstücksmauern», übelste Beleidigungen durch Discobesucher, die regelmässig von der Disco auf «heulenden Mopeds» in die Neuhauser Nacht starteten. Vom allgemeinen Disco-Lärm ganz zu schweigen.

Diese Abneigung manifestierte sich regelmässig in Unterschriftenaktionen beim Gemeinderat, in denen sie versuchten, Betreiber Jürg Muri und sein Etablissement wieder aus der beschaulichen Gemeinde zu vertreiben.

Das «Terminus» fand seine Fans – sehr zum Leidwesen vieler Anwohner. Bild: SN-Archiv

Letztlich landete die gesamte Sache sogar vor Gericht – welches aber zugunsten des «Terminus»-Betreibers urteilte. Dieser versuchte, den Anwohnern mit Modifizierungen in seinen Boxen entgegenzukommen, bat regelmässig die Gäste, sie mögen sich draussen ruhig verhalten – aber es brachte nicht viel. Die Fronten waren so verhärtet, dass manche Anwohner öffentlich in den SN dem Wirt sogar Gewalt androhten.

So weit wollte man es natürlich nicht kommen lassen, und der Neuhauser Gemeinderat schickte verstärkte Kontrollen zu dem Laden. Manche nannten es «Schikane», andere «Recht und Ordnung».

1979, knapp ein Jahr nach der Eröffnung, gab Betreiber Muri auf: Die Gemeinde entzog ihm die verlängerte Polizeistunde übers Wochenende. Später wurde daraus ein Cabaret, ehe es wieder in ein Restaurant umgewandelt wurde.

Besonders skurril: 1981 wurde dort der Weltrekord im «Dauerjodeln» aufgestellt. Ob das die Anwohner weniger nervte als die Disco-Musik, ist unklar.

«Marco Polo», Rosengasse

Einblicke ins «Marco Polo». Bild: Max Baumann

Im Jahr 1977 eröffnete Marco Gruber, von dem auch der Name für die Disco stammte, das «Marco Polo». In der gutbürgerlichen Welt wurde der Laden schnell ein Ort für Tanzfreudige. Das könnte auch an dem Kultfilm «Saturday Night Fever» liegen, der ein Jahr nach der Eröffnung des Ladens in die Kinos kam und die Jugend anzog. Der Film bildete die, für viele ältere Generationen, suspekte Disco-Subkultur in all ihren Facetten ab. Wer also Ende der 70er ins «Marco Polo» kam, konnte dort ebenfalls die Schaffhauser Version dieses farbenfrohen und rigorosen Zugriffs auf das amerikanische Entertainment erleben.

Die SN beschrieben die Szenen, die sich damals in der Disco abspielten, wie folgt: «Wochentagsüber huschen sie wie graue, unauffällige Mäuse herum, am Samstagabend jedoch geraten sie in den Discotheken in Fieber und beginnen zu leben.»

Die Disco war gut besucht – zu gut sogar. Dadurch, dass die Räumlichkeiten relativ klein waren, mussten manche vor der Tür bleiben, was dazu führte, dass es meistens sehr laut dort zuging. Anwohner beschwerten sich über den Lärm des «Nachbarn». Die Folge: Die Stadtpolizei entzog der Disco 1980 die Sondergenehmigung für Öffnungszeiten bis 2 Uhr morgens an Freitagen und Samstagen.

Dabei war das «Marco Polo» ein Bedürfnis der Jugendlichen in der Stadt. Das Thema schlug damals so hohe Wellen, dass sogar der damalige Stadtpräsident Felix Schwank intervenierte. Am Ende konnte man eine Lösung finden und die Disco konnte wieder bis 2 Uhr ihre Tore öffnen.

1985 wurde die Disco umgebaut, ging mehr in Richtung «Mainstream»: Neben Discomusik wurde jetzt auch Pop gespielt, in der Mitte wurde eine Theke eingebaut. Damit ging man mit der Zeit, war der Discotrend doch schon einige Jahre vorbei. Die Klientel wandelte sich: «Das Marco Polo ist einfach ein Laden, wo man hingehen kann, um zu konsumieren», sagte ein Schaffhauser Jugendlicher den SN im Jahr 1985.

Schaffhauser Jugendliche «im Uusgang», ca. 1986. Bild: SN-Archiv

Aus der Disco wurde eine Musikbar, die Besitzer wechselten immer wieder. 1997 stand der Kultladen sogar kurzzeitig vor dem Konkurs: Ganze drei Tage prangerte «Bis auf Weiteres geschlossen. Konkursamt Schaffhausen» an der Tür, aber der Laden hielt sich noch eine Weile. 2001 wurde dann aus dem «Marco Polo» die «Key Bar».

Wie gross die Sehnsucht nach der alten Disco allerdings war, sieht man wohl an der «Marco-Polo-Revival-Party», die Marco Gruber 1999 in der Kammgarn schmiss: Gegen 1000 Personen folgten damals der Einladung. All die 25- bis 60-Jährigen, für die es in Schaffhausen damals dann keine Ausgehlokale mehr gab, waren sich laut den SN einig: «Endlich einmal ein Fest, bei dem nicht jeder über 20 gleich als Gruftie bezeichnet wird.»

Chiesgrueb, St. Peterstrasse

Im Vergleich zu den anderen Discos schien die «Chiesgrueb» eher «brav» daherzukommen. Alkoholfreie Getränke, direkt unter einer Kirche – trotzdem fand die 1976 eröffnete Disco ihr treues Publikum. Es war eine Jugend-Disco, hier schien die Welt in Ordnung zu sein. In den SN finden sich nicht, wie bei den anderen Discos, schmuddelige Geschichten oder Skandale, die in einem Namenzug mit der «Chiesgrueb» genannt werden. Nur Bands, Kritiken zu Bands, die sich hier die Ehre gaben, oder weitere Errungenschaften, wie ein Ausbau 1986. Der war auch nötig, zog die kleine Disco doch ihr Publikum an, in Spitzenzeiten strömten 700 bis 800 Personen in den Laden.

Volle Hütte unter der Kirche: eine Party in der «Chiesgrueb». Bilder: zvg

Von der Ausstattung her musste sich die «Chiesgrueb» aber nicht vor den «grossen» Discos verstecken: Light-Show mit Nebelmaschine, Spiegelkugeln und weitere technische Attraktionen warteten im Inneren auf die Besucherinnen und Besucher, die sich von der 1200-Watt-Musikanlage beschallen lassen wollten.

Es hätte die wunderschöne, perfekte Symbiose aus bürgerlicher Spiessigkeit und jugendlicher Wildheit werden können, für den Laden und die Besucher, die mit 14 Jahren eintreten durften.

Allerdings kamen im Laufe der Jahre Probleme, speziell in Form von Skinheads. Diese randalierten regelmässig vor den Türen der Disco, bedrohten die Gäste und hinterliessen Scherben auf angrenzenden Kinderspielplätzen. Die Betreiber riefen um Hilfe, aber die kam nur sporadisch von der Stadt.

Das hätte die Disco vielleicht verkraftet, aber nicht den eigenen Erfolg: Die Hunderten Leute, die regelmässig in die Disco strömen wollten, sorgten für Platzprobleme, bis die Feuerpolizei des Kantons einschritt und der Disco ein Besucherlimit auferlegte. Dieses lag bei 450 Personen. In der Folge wurden Memberkarten eingeführt und die Kontrollen an der Tür verschärft.

Trotzdem wollten immer mehr Jugendliche als erlaubt in die Disco. Dies führte zu Problemen beim Eingang und Lärmbelästigungen im Quartier. Es kam, wie es kommen musste: Die Stimmung bei den Besuchern und beim Leitungsteam war getrübt, die Besucher blieben fern, der Spass war irgendwann vorbei, und so kam es 1991 zur Schliessung.

Aber: Auch wenn die «Chiesgrueb» in ihrer jetzigen Form nicht mehr existiert: Den Sound und das Gefühl der damaligen Zeit kann man weiter erleben. Der Verein «Chiesgrueb Revival Disco Schaffhausen» organisiert bis heute Revival-Partys, die an die unbeschwerte Zeit in der Disco unter der St. Peter erinnern.

«O.K.», Mühlenstrasse

«Früher ging ich in die O.K.-Disco. Doch inzwischen kann ich mit jenen Leuten nicht mehr reden. Sie sind in einer ganz anderen Gedankenwelt», sagte 1986 die damals 18-jährige Evelin den «Schaffhauser Nachrichten». Was meint sie wohl damit?

Das war in den 80ern Mode, auch im «O.K.». Bild: SN-Archiv

Untrennbar mit dem Namen «O.K.» ist der Name Mike Lotz verbunden. Lotz, der Muskelprotz, wie manche ihn nannten. Lotz war eine beeindruckende Gestalt, ein selbsternannter «Selfmade-Man», der in die bürgerliche Welt Schaffhausens mit seinem forschen Auftreten ungefähr so passte wie Orangensaft in Ovomaltine.

Trotzdem traf er einen Nerv in der Stadt, als er mit dem «O.K.» in der Mühlenstrasse die grösste Disco der Ostschweiz eröffnete. Die Jugend strömte die in die Räumlichkeiten, in denen Lotz auch immer wieder spektakuläre Events veranstaltete. 1984 etwa, als in seiner Disco ein «Breakdance-Wettbewerb» angeboten wurde, 1986 fand eine Disk-Jockey-Meisterschaft dort statt. Der Besitzer jedoch war ein eigenwilliger Charakter, der immer mehr wollte. So betrieb er nebenbei noch zwei Fitnessstudios, eines in Winterthur, eines in Schaffhausen. Der klangvolle Name «Sie+Er».

Auch seine eher zwielichtigen Geschäftspraktiken machten ihn über die Kantonsgrenzen hinaus berühmt. 1988 lief gegen ihn ein Verfahren, nachdem er beschuldigt worden war, einen Brand in einer Schülerdisco in Feuerthalen gelegt zu haben. Zusammen mit seiner Frau soll er zudem ein Bordell in Büsingen eröffnet haben – zumindest, bis sich die Bevölkerung in der Enklave auf eine sehr kreative Art dagegen wehrte und vor seinem Haus einen Misthaufen platzierte.

Akrobatisch: der Break-Dance-Wettbewerb im «O.K.». Bild: Lucas Eberhard

Das war nicht das Einzige, was dem Muskelberg zur Last gelegt wurde. Affären mit einer Minderjährigen, Drogenhandel – auch das stand im Zusammenhang mit dem Discobetreiber.

Das störte derweil nicht alle im Schaffhauser Partyvolk. Die Disco war zwar «typisch» für die damalige Zeit, mit Sonnenschirmen und Palmenwedeln in den Ecken, Disco-Spots, die Licht auf die Tanzfläche warfen, lange Drinks mit gekrümmten Trinkhalmen, Fauteuils, in die sich Verliebte versenken konnten. Und «natürlich mit höchster Schubkraft durch die Boxen gejagte Discosounds», wie die SN 1987 schrieben.

Die Schaffhauserinnen und Schaffhauser hatten jedoch teils ein gespaltenes Verhältnis zu dem Laden. Lag das auch an Lotz? Es ist nicht klar. Für manche war er ein schmieriger Bodybuilder, dessen Skandale und Aussehen manchmal die Lust an dem Laden verdarben, für andere stand die Party vor Ort im Vordergrund – und die lief meistens gut.

Heute erinnert wenig an die wilde Zeit, die sich in der Mühlenstrasse abspielte. Nur, wenn man mit Leuten spricht, die damals die wilden Zeiten im «O.K.» selbst erlebten, merkt man wieder das alte Fieber, dass sie wohl auch damals reihenweise in den Laden zog. 

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Kommentare (7)

Roland Kast Di 15.10.2024 - 08:46

Hallo Erich Bloch, freut mich! Nein, Zu der Zeit, 70er und 80er, Otterngut und Stettemerstrasse. Ich habe aber auch mal in der Bronx und dann noch im Old Fashion aufgelegt. Frühe 90er Jahre.

Robert Egli So 13.10.2024 - 16:44

Ein eindrücklicher Bericht und da werden Erinnerungen wach. Ein zweiter Teil wäre da echt super, denn neben den bereits erwähnten Discos fehlt dürfen auch das Acli und das Raimbow in Schaffhausen nicht fehlen. Die beiden Lokalitäten wurden glaub von Italienern betrieben und dort war es auch immer echt gut.

Monika Ernst-Müller So 13.10.2024 - 15:35

Super Artikel und sehr informativ und spannend. Eine Fortsetzung wäre noch toll über den Chäller und das Geitis :-)

Erich Bloch So 13.10.2024 - 13:09

attraktiv , meine ich...

Erich Bloch So 13.10.2024 - 13:08

Auch der Jugendkeller war atrrativ!
Roland Kast von der Bachstrasse ?

Roland Kast So 13.10.2024 - 12:16

.... und im zweiten Teil auch das Koni ( St. Konrad ) und das Borsalino in Neuhausen nicht vergessen.

Gian-Rico Willy So 13.10.2024 - 07:57

Schöner Artikel ! Geitis, Voice, Orient und „Chäller“ im zweiten Teil ?

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