Julia Claire Louis: Die hochbegabte Sechstklässlerin mit einem exquisiten Sprachgeschmack

Tobias Bolli | 
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Exoplaneten, Unsterblichkeit und clevere Fleischfresser: Das Interesse der Ausnahmeschülerin erstreckt sich auf zahlreiche Themengebiete. Bild: Tobias Bolli

Schon in der vierten Klasse beschäftigt sich Julia Claire Louis mit Exoplaneten und entwirft einen selbst bebilderten Roman über Wolfsrudel. Nebenbei stellt sie Gedankenexperimente über die Unsterblichkeit an. Eine Begegnung mit einem hochbegabten Kind.

Langsam lässt Julia Claire Louis ein Wort auf das andere folgen. Mitten im Satz bricht sie ab, um gedanklich Luft zu holen. Ihr Sprachgeschmack ist exquisit. Von allen Ausdrücken, die als Fortsetzung in Frage kommen, lässt sie nur die treffendsten über die Lippen; die grosse Schar der halbwegs passenden werden mit sinnend-abgewandtem Blick aussortiert. Nein, nicht «Tiere, die alleine unterwegs sind», sondern «solitäre Lebewesen», nicht «böse Menschengruppen», sondern «zwielichtige Strassenbanden». Der Kontrast zum wild durcheinandergehenden Kindergeschrei in der Primarschule Breite ist bemerkenswert.

Während die Gspänli langsam und lautstark aus der 10-Uhr-Pause zurückkehren, flüstert sich die Sechstklässlerin im Zimmer am Ende des Ganges englische Adjektive vor. Einmal erprobt und für gut befunden, überträgt sie diese ins Deutsche. So erhascht sie Ausdrücke, die einem Biologieprofessor einfallen würden oder – wenn sie von ihrem Roman spricht – einen Schriftsteller glücklich machen könnten. Nur manchmal verheddert sich die 12-Jährige, scheint nicht zu wissen, welche Sprache gerade vorzuziehen sei: Deutsch, Schweizerdeutsch oder vielleicht doch lieber Englisch?

Auch wenn ihre Eltern aus Rumänien und Deutschland stammen, denke sie gerne vom Englischen aus. «Ich habe mich als Kind enthusiastisch für das Universum und die Naturwissenschaften interessiert», sagt sie und scheint mit ihren grossen, wachen Augen durch die Wand zu blicken. Dokumentationen des amerikanischen Public Broadcasting Service (PBS) hätten sie in ein neues Universum eintauchen lassen – und nebenbei mit der Fremdsprache vertraut gemacht. Dass sie diese beherrscht wie manche nicht einmal ihre Muttersprache, zeigt eine Buchbesprechung, die sie ohne Korrektur niedergeschrieben hat. Klassenlehrerin Laura Hess hat den SN einen Scan davon zugeschickt, zusammen mit weiteren Aufsätzen.

Über das Sonnensystem hinaus

Grosse Teile davon sind mit roter Farbe unterstrichen – nicht etwa, weil sie mit Fehlern durchsetzt wären, sondern weil sie Hess lobend hervorheben möchte. «Bei vielen Schülerinnen und Schülern unterstreiche ich hier und da einzelne Worte, bei Julia oft ganze Sätze», sagt sie und lacht. Schon früh sei Julia mit ihrem Wissen und Vokabular aufgefallen. Als sie in der vierten Klasse einen Himmelskörper hätte erklären sollen, habe sie anstelle des Monds oder Mars’ einen «Exoplaneten» beschrieben – ein ausserhalb des Sonnensystems kreisender Planet. «Von da an habe ich begonnen, sie genauer zu beobachten.» Abklärungen hätten ihr einen ausserordentlich hohen IQ sowie ein fotografisches Gedächtnis bescheinigt. Da nimmt es nicht wunder, dass sie auch Französisch «einfach kann», wie die Schülerin lächelnd sagt.

Während des Unterrichts habe Julia jeweils die Wahl: Im Strome der regulären Schüler mitschwimmen oder aber eigene Projekte verfolgen. «Sie braucht nicht immer eine Extrawurst», sagt die Klassenlehrerin. Gerne füge sie sich ein – oder gebe ihr Wissen gleichsam als Expertin an die Kinder weiter. «Oft versammeln sich dann alle um ihren Tisch und bewundern, was sie kann.» Ungeachtet einer gewissen Tollpatschigkeit, immer wieder entgleite ihr zum Beispiel ein Stift, werde sie als Teil der Klasse akzeptiert.

«Oft versammeln sich alle um ihren Tisch und bewundern, was sie kann.»

Laura Hess, Klassenlehrerin

Julia schreibt gerade an einem Roman, für den sie einen neunseitigen Entwurf mit Plotskizze und Beschreibung der Protagonisten vorgelegt hat: «Black Star – Flammen im Himmel». Klassenlehrerin Hess hat die Entstehung der ersten Skizzen mitverfolgt und begleitet sie nun bei der Niederschrift des Romans. Über 150 Seiten soll er sich hinziehen (was nicht viel sei, wie sie versichert) und eigene Illustrationen der Jungautorin enthalten. Bereits aber trägt sich Julia mit einem neuen Projekt, das sie dem Journalisten mit bedächtiger Langsamkeit schildert. Was der Menschheit seit dem Gilgamesch-Epos Traum und Sehnsucht ist – die Überwindung der eigenen Sterblichkeit – kehrt sich darin um in einen Fluch.

Furchtbare Wunscherfüllung

Der Protagonist (für einmal ist es ein Mensch, eigentlich bevorzugt sie Tiere und ihr hierarchisch organisiertes Zusammenleben) wird von einer mysteriösen Gesellschaft überfallen und entführt. Sie stellt ihn vor die Wahl, entweder müsse er fabelhaft reich werden oder mit einem ins Unendliche verlängerten Leben zurechtkommen. «Er schenkt ihnen keinen Glauben und wählt bewusst die unrealistische Option. Irgendwann merkt er aber, dass alles kein Scherz war.» So müsse er weiterleben, zusehends überfordert und deprimiert von einer sich zerstörenden Welt. Schliesslich vollkommen vereinsamt, ziehe er sich zurück und bringe seine nimmer enden wollenden Tage mit einem Rudel Wölfe zu.

Die «Karnivoren», sagt sie dann, beschäftigten sie am meisten, «da sie miteinander wie in einer grossen Familie interagieren und intelligenter sind als Herbivoren». Bevor sie deren Verhalten detailliert beschreiben kann, ist draussen wieder Kindergeschrei hörbar. Ihr Tabletcomputer und ihr Schreibheft unter dem Arm verabschiedet sie sich und taucht wieder ein in den lärmenden Schulalltag, still in ihren eigenen Welten lebend.

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