Cyber-Grooming in Schaffhausen: Wenn von 14-Jährigen Nacktfotos verlangt werden

Ralph Denzel | 
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Besonders unsichere Jugendliche sind oft das Ziel von Tätern, die es auf Nacktfotos - aber oft auch mehr - abgesehen haben. Symbolbild: Pixabay

Fast jeder zweite Jugendliche wurde in seinem Leben bereits im Internet sexuell belästigt. Besonders verbreitet ist das sogenannte «Cyber-Grooming». Jeder kann Opfer davon werden, aber die meisten schweigen - oft auch aus Angst.

«Schick doch mal Fotos!» Diese scheinbar harmlose Aufforderung kann für viele Jugendliche der Beginn eines Albtraums werden. Denn oft genug steckt dahinter «Cyber-Grooming». Darunter versteht man das gezielte Ansprechen von Minderjährigen im Internet zum Anbahnen von Kontakten, oft mit Sex als Ziel. Dieses ist weit verbreitet in der Schweiz: Laut einer Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) ist fast jeder zweite Schweizer Jugendliche bereits online von einer fremden Person mit unerwünschten sexuellen Absichten angesprochen worden. 

Experten warnen: Jeder kann ein Opfer dieser Masche werden.

Fast jeder zweite Jugendliche betroffen

Betrachtet man die polizeiliche Kriminalstatistik des Kantons Schaffhausen, scheint die Welt in Ordnung zu sein: So gab es in den letzten zwei Jahren «nur» acht bestätigte Fälle von «Grooming» im Kanton. Trotzdem warnt Cindy Beer, Mediensprecherin der Schaffhauser Polizei: «Auch in Schaffhausen gehen wir davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist.» 

Dazu muss man wissen: Schweizweit zählte die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundes 141 Grooming-Straftaten im Jahr 2022, ebenso viele 2021. Zahlen, die vielleicht im ersten Moment klein wirken, aber für die Opfer massives Leid bedeuten: «Cyber-Grooming kann schwerwiegende psychische Folgen für Betroffene haben», warnt Expertin Anja Meier, Verantwortliche Politik & Medien bei der Stiftung Pro Juventute Sektion Ostschweiz. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, betrachtet man die Studie der ZHAW, dass auch schweizweit die Dunkelziffer um einiges höher liegen dürfte. In die Statistiken kommen schliesslich nur die Fälle, die bei der Polizei angezeigt wurden. 

Dort scheitert es schon bei vielen Opfern: Viele schämen sich für das, was die Täter in der Hand haben, manchmal wird auch direkt das Opfer oder deren Familie bedroht. Schliesslich haben die Täter meist etwas in der Hand gegen das Opfer, seien es Bilder, Informationen oder ein so starker psychischer Druck der aufgebaut wurde, dass sich die Jugendlichen in einer Art Abhängigkeit befinden. Dann heisst es meistens von Seiten der Täter: Schicke mehr Bilder, oder ich veröffentliche das, erzähle es deinen Eltern, tue dir oder deiner Familie was an. Schlimmstenfalls werde so ein Treffen erzwungen. 

Opfer werden kann jeder. Die Schweizerische Kriminalprävention warnt zudem: Täter «haben ein Sensorium für vernachlässigte Kinder und Jugendliche.» Kinder und Jugendliche, die von der Familie und Freunden zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung erhalten, seien daher besonders gefährdet, Opfer solcher Machenschaften zu werden. Die Täter haben laut dem European Online Grooming Project – verglichen mit der durchschnittlichen Bevölkerung – einen relativ hohen IQ, wobei der Unterschied umso grösser ist, wenn man den IQ von Cybergroomern mit demjenigen anderer Sexualstraftäter vergleicht. 

Risiko im digitalen Raum

Laut der Polizei gibt es dabei zwei verschiedene Arten, wie sich die Täter ihren Opfern nähern: «Die eine ist, dass erwachsene Personen, insbesondere Männer, die Kinder und Jugendlichen relativ schnell mit Bildern oder auch Nachrichten sexuell belästigen, also quasi eine schnelle, aggressive Anbahnung», so Beer. Der andere Modus Operandi ist, dass der Täter – meistens sind es Männer – sich als gleichaltrige Person ausgibt und mit dem Opfer anbahnt. «Sobald das Vertrauen gross genug ist, werden unter anderem intime Fotos ausgetauscht», erklärt Beer. Damit beginnt dann meistens das Martyrium für die Opfer.

Und die potenzielle Opferzahl ist gross. Laut einer Umfrage von «Jugend und Medien» besitzen bereits 20 Prozent der 6 und 7-Jährigen ein eigenes Smartphone. Bei den Jugendlichen von 12 bis 19 Jahren sind es gar 99 Prozent. Weiter sind 98 Prozent bei einem sozialen Netzwerk angemeldet. «Anders als früher wachsen Kinder und Jugendliche heute in einer digitalen Welt auf. Sie nutzen und integrieren digitale Medien selbstverständlich in ihren Alltag», sagt Anja Meier. Das Problem dabei: «Risiken aus dem virtuellen Raum scheinen weniger greifbar als andere Gefahren.»

Nach Revision des Sexualstrafrechts: Cyber-Grooming nicht direkt strafbar

Durch die Revision des Sexualstrafrechts hätte eigentlich «Cyber-Gromming» ebenfalls unter Strafe gestellt werden sollen. Hätte, denn: Im Juni schloss sich der Nationalrat dem Ständerat an, auf den entsprechenden Passus in der Revision des Sexualstrafrechts zu verzichten. Die Rechtskommission des Ständerates hatte ihren Antrag mit Abgrenzungsproblemen begründet und damit, dass der heutige gesetzliche Rahmen genüge, um derartige Taten zu ahnden.

Folglich bleiben dort zwei mögliche Straftatbestände: einmal Artikel 189 StGB, sexuelle Nötigung. Wenn nach diesem Paragraphen ein Täter oder eine Täterin durch Drohung oder Gewaltanwendung sein Opfer psychisch unter Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, oder auch ein Kind, eine Frau oder einen Mann zu sexuellen Handlungen gegen deren Willen zwingt, ist dies strafbar. Dieser Tatbestand ist meistens beim «Grooming» erfüllt. Weiter bleibt natürlich auch die Strafbarkeit des Versuchs (Art. 22 StGB): Die Nötigung eines Kindes zu sexuellen Handlungen ist auch dann strafbar, wenn es beim Versuch geblieben ist. Es reicht, dass die Absicht des Täters/der Täterin nachgewiesen werden kann. 

Das macht sie jedoch nicht weniger real: Wie weit ein Fall von Cyber-Grooming auch gehen kann, musste man vor kurzem in Deutschland beobachten: Dort wurde ein 14-jähriges Mädchen von einem 30-Jährigen angeschrieben. Er setzte sie so weit unter Druck, bis das Mädchen sich mit ihm traf. Dort vergewaltigte und tötete er die 14-Jährige. Erst am Donnerstag wurde der Täter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschliessender Sicherungsverwahrung verurteilt.

So schützen Sie Ihr Kind

Wie schützt man aber sein Kind, dass sowas nicht vorkommen kann? «Kinder müssen sich bewusst sein, dass sie sich nie sicher sein können, wer sich hinter einem Profil befindet», warnt Cindy Beer. Eine gewisse Skepsis sei daher immer angebracht. «Entsprechend empfehlen wir ihnen darauf zu achten, dass ihre Profile nicht für alle sichtbar sind, sie möglichst wenig von sich preisgeben und neuen Freundschaftsanfragen immer mit Misstrauen begegnen.» Wenn sie von einer Person mit sexuell anzüglichen Bemerkungen angeschrieben werden, solle man die Person sofort blockieren und melden. Zentral sei es, und das gelte für alle Fälle digitaler Kriminalität, dass sie möglichst rasch eine erwachsene Vertrauensperson einschalten. 

Denn auch diese können direkt ihre Kinder schützen: «Einerseits ist es nötig, dass sie sich mit ihren Kindern die Plattformen und Apps anschauen, die sie nutzen und sie in der Nutzung begleiten», erklärt Beer. Interesse an den Online-Aktivitäten ihrer Kinder zu zeigen und mit ihren Kindern über das, was sie online tun, im Gespräch bleiben, sei unabdingbar. Auf der technischen Seite sei es wichtig, dass Eltern darauf achten, dass die Geräte ihrer Kinder sicher eingerichtet sind. Weiter sollten die Eltern ihre Kinder auch darauf aufmerksam machen, wie gefährlich es sein kann, Bilder von sich im Internet zu teilen – und folglich auch keine Fotos von ihren Kindern ins Netz stellen. 

Neben konkreten Handlungsmassnahmen ist es aber insbesondere wichtig, dass Eltern ihre Kinder darin bestärken, Grenzen zu setzen, also Stopp zu sagen, wenn jemand ihnen online oder auch offline zu nahe kommt. «Zudem sollten sie das Kind ermutigen, sich immer an sie zu wenden, wenn etwas nicht gut ist», so Beer. Das Thema Sexualität sei jedoch nach wie vor schambehaftet. Daher sollte «Sexualität und wo die Grenzen zu ziehen sind, zuhause ein normales Thema sein und nicht tabuisiert werden». Wenn Eltern den Eindruck haben, dass Erwachsene ihre Kinder kontaktieren oder dies von ihren Kindern erfahren, sollten sie sich unbedingt an die Polizei wenden und Anzeige erstatten. Dafür sei es wichtig, so sagt Anja Meier, dass man auch Beweismaterial sammelt, als etwa Screenshots von den Gesprächen macht. «Anstatt digitale Medien zu verbieten oder zu verteufeln, braucht es ein Vertrauensverhältnis, damit Kinder wissen, dass sie sich jederzeit an ihre Eltern oder Vertrauenspersonen wenden können, wenn sie online belästigt werden.»

Ziel müsse es sein, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken und sie zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Medien zu befähigen. Denn diese böten, trotz vieler Gefahren, vor allem auch Chancen für Kinder und Jugendliche – wenn man sie denn richtig nutzen kann.

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