«Das Thema beschäftigt die Eltern»

Alfred Wüger | 
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Deborah Weiss vor der Geschäftsstelle des Vereins für Jugendfragen, Prävention und Suchhilfe im «Goldenen Lämmlein» an der Webergasse 2/4. Bild: Alfred Würger

Die Leiterin der Fachstelle für Gesundheitsförderung und Prävention beim Verein für Jugendfragen, Prävention und Suchthilfe stellt die aktuelle Veranstaltungsreihe zum Thema «Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt» vor.

Was machen Kinder und Jugendliche mit den digitalen Medien, und was machen digitale Medien mit den Kindern und Jugendlichen? Hierzu gibt es eine Veranstaltungsreihe des Vereins für Jugendfragen, Prävention und Suchthilfe (VJPS). Deborah Weiss erläutert die Idee.

Sind die digitalen Medien eine Droge?

Deborah Weiss: Der Umgang mit digitalen Medien kann süchtig machen. Es gibt Kinder und Jugendliche, die zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, sodass es zu einer Online-Sucht kommen kann. Die Gefahr besteht.

Sie sprechen von der Zeit vor dem Bildschirm. Ab wann wird diese Bildschirmzeit kritisch?

Es kommt auf das Alter an. Optimal für die Entwicklung des Gehirns ist es, in den ersten drei Jahren überhaupt keine Zeit mit digitalen Medien zu verbringen.

«Die Aufgabe der Eltern ist es, das Kind in die digitalen Medien einzuführen und die wichtigsten Themen anzusprechen.»

Und nachher? Was gibt es dann für Richtwerte?

Bei Drei- bis Fünfjährigen spricht man von höchstens einer halben Stunde pro Tag. Bei Sechs- bis Neunjährigen setzt man eine Stunde täglich an. Ab zehn Jahren sagt man, eine Stunde für jedes Lebensjahr ergibt die Bildschirmzeit pro Woche, bei einer Elfjährigen wären das also elf Stunden pro Woche. Das sind Orientierungswerte von der nationalen Plattform zur Förderung von Medienkompetenzen «Jugend und Medien».

Angenommen ein Siebenjähriger verbringt mehr als eine Stunde pro Tag am Bildschirm, ist er dann suchtgefährdet?

Die Gefahr, süchtig zu werden, ist abhängig von verschiedenen Faktoren. Neben der Dauer der Bildschirmzeit sind die Aktivitäten und Inhalte, die konsumiert werden, entscheidend. Ein hohes Suchtpotenzial weisen zum Beispiel bestimmte Games, soziale Netzwerke und Chats auf. Eine Lernplattform oder Musik hören auf Spotify ist dagegen nicht so bedenklich.

Und was, wenn die Kinder einen Chatroom nutzen? Die Eltern können ja wohl kaum ständig kontrollierend danebenstehen.

Wenn man als Eltern Kontrolle ausüben will, wird man ziemlich sicher keinen Erfolg haben. Es gibt für die Kinder und Jugendlichen immer einen Weg, digitale Medien zu nutzen. Sie gamen bei den Nachbarn oder schauen gemeinsam Videos im Freundeskreis. Die Aufgabe der Eltern ist es, das Kind in die digitalen Medien einzuführen und die wichtigsten Themen anzusprechen. Durch das Interesse der Eltern an den Aktivitäten des Kindes bleibt man im Austausch und kann das Kind auf dem Weg begleiten. Das Ziel ist immer, dass man so mit dem Kind im Gespräch bleibt und eine Vertrauensbasis aufbaut. Damit anfangen soll man allerdings nicht erst im Jugendalter, sondern ab dem ersten Kontakt mit den digitalen Geräten. Eltern haben eine Vorbildfunktion. Wenn die Eltern selbst stundenlang vor dem Handy sitzen, denkt das Kind, dies sei normal und ahmt es nach.

«Viele Eltern und Fachpersonen sind froh, dass es ein kostenloses Angebot für Eltern zum Thema Digitale Welt gibt.»

Was gibt es für Gefahren in der digitalen Welt?

Es ist wichtig, spätestens wenn das Kind selbst ein Gerät besitzt, über verschiedene Risiken in der digitalen Welt zu sprechen. Eltern sollten das Kind dazu anhalten, keine persönlichen Daten wie etwa den vollständigen Namen oder die Telefonnummer anzugeben. Ebenso ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Kinder und Jugendliche können Opfer von strafbarem Verhalten werden sowie selbst gegen das Gesetz verstossen. Beim Cyber-Grooming werden Minderjährige gezielt von Erwachsenen angesprochen mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen. Ein weiteres Risiko ist Cyber-Mobbing, wo Jugendliche online belästigt und beleidigt werden. Selbst Jugendliche können Täter werden, indem sie pornografische oder gewalttätige Bilder anderen Minderjährigen zugänglichen machen. Eltern übernehmen beim Jugendschutz eine zentrale Rolle. Kinder und Jugendliche können mit Unterstützung der Eltern lernen, Gefahren richtig einzuschätzen, sich selbst zu schützen und digitale Medien sinnvoll einzusetzen.

Wie sieht es mit Ansprechpersonen in der Schule aus?

Lehrpersonen und Schulsozialarbeitende wären in der Schule die richtigen Ansprechpersonen. In der Realität gibt es jedoch für Kinder und Jugendliche eine grosse Hemmschwelle, über unangenehme Vorkommnisse in der digitalen Welt zu sprechen. Wenn man zum Beispiel in einem Klassen-Chat beleidigt wird, ist die Situation mit sehr viel Scham behaftet, was es erschwert, darüber zu sprechen. Die Kinder und Jugendlichen schweigen meist sehr lange.

Wäre es nicht sinnvoll, im Falle von Cyber-Mobbing im Klassen-Chat die Lehrperson anzusprechen?

Wichtig ist es, sich jemandem anzuvertrauen, sei es eine Lehrperson, seien es Schulsozialarbeitende, Klassenkameraden oder andere Bezugspersonen. Dies erfordert jedoch auch vonseiten der Schule Vertrauensarbeit.

Ab wann ist ein Handy für ein Kind sinnvoll?

 Die Eltern sollten sich fragen, ob ihr Kind mit einem Handy verantwortungsbewusst umgehen kann. Die Mediennutzung kann bereits im Vorfeld mit einem Familienhandy geübt werden, da Medienerfahrung für einen sinnvollen Gebrauch eines eigenen Handys notwendig ist. Ab der Oberstufe haben heute 99 Prozent der Jugendlichen ein Handy. Wer keines hat, kann sich ausgeschlossen fühlen.

Worum geht es bei Ihrer Veranstaltungsreihe?

Wir haben Interviews mit Schaffhauser Eltern geführt und festgestellt: Für Eltern von Schulkindern gibt es zu wenig Bildungsangebote. Vor allem das Thema Digitale Medien beschäftigt die Eltern. Aus diesem Grund bieten wir verschiedene kostenlose Veranstaltungsformate zum Thema Digitale Medien an. Eltern können sich hier zu folgenden Themen anmelden: Workshops zum Thema Sicherheit und Datenschutz; Input und Austausch zu Digitale Medien und Jugendsexualität. Es gibt zwei Onlineveranstaltungen zu den Themen «Fair und sicher chatten» und «Social Media». In erster Linie werden Eltern angesprochen, aber bei zwei von sieben Veranstaltungen nehmen Eltern mit ihrem Kind gemeinsam teil.

Die findet dieses Jahr zum ersten, aber wohl nicht zum letzen Mal statt.

Ja, das ist richtig. Nächstes Jahr werden weitere Elternveranstaltungen folgen. Wir sammeln in diesem Jahr Rückmeldungen und sprechen mit weiteren Eltern. Die Erkenntnisse aus diesem Jahr fliessen in die Planung der kommenden Veranstaltungen mit ein. Die Themen der nächsten Jahre sind noch offen, die Zielgruppe Eltern bleibt.

Eltern sind nicht gleich Eltern. Es gibt Technikaffine und es gibt Eltern, die nicht oder kaum deutsch sprechen.

Durch die verschiedenen Veranstaltungsformate an unterschiedlichen Orten im Kanton versuchen wir möglichst viele Eltern zu erreichen. Es ist unser Ziel, Eltern zu informieren, die Informationsbedarf zum Thema Digitale Medien haben.

Wie finden Sie die?

Wir haben unsere Veranstaltungsreihe breit beworben. Unter anderem über Schulen, Elternvereine, Gemeinden, soziale Institutionen, aber auch durch Werbung im Bus, Plakaten und in den sozialen Medien.

Wie sind die Reaktionen ausgefallen?

Die Reaktionen waren durchweg positiv. Viele Eltern und Fachpersonen sehen das Thema als sehr aktuell und relevant an und sind froh, dass es ein kostenloses Angebot für Eltern gibt. Die Erreichbarkeit der Eltern ist jedoch für uns als Fachstelle ein grosses Thema. Die Kommunikationswege in den Schulen und unter den Eltern ist sehr unterschiedlich. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, unsere Angebote für Eltern noch bekannter zu machen.

Ein Schlusswort?

Umfragen haben erfreulicherweise gezeigt, dass die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ihre Freizeit noch immer am liebsten draussen verbringen und mit Freunden spielen. Wenn das Kind neben der Bildschirmzeit genügend Aktivitäten pflegt, draussen mit Freunden spielt, wenn es die Hausaufgaben ordentlich erledigt und Familienroutinen vorhanden sind, kurz: Wenn all das mit der Unterstützung der Eltern gut vereinbar ist, dann muss die Bildschirmzeit nicht ständig überprüft werden.

Zur Person

Deborah Weiss ist Leiterin der Fachstelle für Gesundheitsförderung und Prävention beim VJPS, dem Verein für Jugendfragen, Prävention und Suchthilfe. Sie ist Dipl. Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin (FH) mit einem MBA in Sozialmanagement und Mutter von fünfjährigen Zwillingen.

Deborah Weiss arbeitet seit 1.5 Jahren beim VJPS und ist mit ihrem Team zuständig für die Bereiche Suchtprävention, sexuelle Gesundheit und digitale Medien im Kanton Schaffhausen.

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