Zwei Schaffhauser Mütter sprechen über die Schattenseiten des Mamiseins

Elena Stojkova | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Was Mütter leisten, werde nicht genug wertgeschätzt, finden viele Mütter. Bild: Roberta Fele

Zwei Mütter aus Schaffhausen setzen sich an einen Tisch und sprechen über «das nervige Wort Papitag», über ungefragte Ratschläge, die Schwiegereltern als Lieblingsmenschen und Dinge, die sie gern gewusst hätten, bevor sie Kinder hatten.

«Das wirst du erst verstehen, wenn du Kinder hast» – diesen Satz haben Tina und Julia, bevor sie Mamis wurden, gehasst. Jetzt aber sagen sie: Er stimmt. Als die SN sich mit ihnen zusammensetzen, wird gelästert, Klartext geredet und viel gelacht. Ein Gespräch über Schuldgefühle, über den heiligen Schlaf, Eltern als Eventmanager und dreckige Böden zu Hause, die einem egal sein sollten.

Tina und Julia

(Namen der Redaktion bekannt) ...sind Mitte 30 und arbeiten beide 60 Prozent. Tina ist Mutter eines kleinen Sohnes und einer kleinen Tochter, Julia hat einen kleinen Sohn. Beide sind verheiratet.

Tina und Julia, wie sehr seid ihr euren Eltern als Kinder auf die Nerven gegangen?

Tina: Wenig. Meine Schwester war sehr fordernd, ich war ein einfaches Kind.

Julia: Ich auch, sagen meine Eltern. Aber als Teenie war ich mühsam.

Seid ihr Team Muttertag oder Team «Jeder Tag ist Muttertag»?

Julia: Jeder Tag ist auch Papitag. Dieses Wort liebe ich ja. (betont das Wort und verdreht die Augen)

Tina: Ich finde den Muttertag schön. Wir brunchen jeweils mit meiner Mutter. Und mit meiner Schwiegermutter.

«Wir wuchsen damit auf, dass jede und jeder sagte, eine Familie zu haben sei das Schönste. Ist es auch, aber es gibt ein Aber.»

Julia

Julia: Du bist eine gute Schwiegertochter.

Tina: Sie hilft uns so viel. Dann muss man was zurückgeben, wenn man kann. (Zu Julia) Ich habe dir doch letztens gesagt, dass meine Schwiegereltern die wichtigsten Menschen in meinem Leben sind, weil sie so oft meine Kinder hüten. (die beiden lachen. Lang.)

Was hättet ihr gern gewusst, bevor ihr Mamis geworden seid?

Julia: Wo sollen wir da nur anfangen?

Tina: Ich war sehr naiv. Ich wusste immer, dass ich Kinder haben will. Alle sagten immer, dass das Leben mit Kindern grundlegend anders ist, aber ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten soll. Wenn ich, bevor ich Kinder hatte, im Flugzeug sass und der Dreijährige hinter mir in meinen Sitz trat, dachte ich mir: Wieso sagt die Mutter dem Kind nicht einfach, es soll aufhören, mich zu «ginggen»? Jetzt weiss ich: Das ist nicht so einfach.

Es gab also keine ellenlange Pro- und Kontra-Kinderhaben-Liste.

Tina: Hätte es die gegeben, hätte ich vielleicht keine Kinder. Ich verstehe Menschen, die keine Kinder haben wollen, erst, seitdem ich Kinder habe.

Julia: Ich wollte nie Kinder. Nie. Wirklich nie. Dann kam der Moment, in dem alle um mich herum Kinder hatten. Ich hatte einen Partner, also war es naheliegend.

Würdest du heute anders entscheiden?

Julia: Es ist schwierig, das zu sagen, weil ich meinen Sohn jetzt ja kenne. Es ist schön, Mutter zu sein, aber mit dem heutigen Wissen übers Kinderhaben würde ich mich wohl anders entscheiden. Ich hatte und habe Mühe mit der Umstellung. Mit einem Kind ist man fremdbestimmt.

Du musst auf vieles verzichten?

Julia: Ja, ich frage mich ganz oft, was ich früher mit all meiner Zeit gemacht habe. Ich hatte zwar eine tolle Zeit, aber heute denke ich, ich hätte noch mehr daraus machen können. Sie noch mehr nutzen können für die Karriere, für Hobbys oder Freundschaften.

Tina: Ich würde mich immer wieder für Kinder entscheiden. Aber es ist auf jeden Fall so, dass man wenig Zeit hat für anderes. Wenn das Kind nicht zufrieden ist, ist die Situation anstrengend.

Man sagt uns also eigentlich, wie es ist, Kinder zu haben, bevor wir Kinder haben. Aber wir verstehen es nicht.

Julia: Hinzu kommt, dass man erst seit einigen Jahren offen über die Mutterschaft spricht. Früher war das nicht so. Wir wuchsen damit auf, dass jede und jeder sagte, eine Familie zu haben sei das Schönste. Ist es schon, aber es gibt ein Aber.

Tina: Es gibt immer noch viele, die urteilen, wenn man sagt, es sei nicht nur schön. Dann wird man gefragt: «Wieso häsch denn Chind?» Meine Güte, es heisst ja nicht, dass ich meine Kinder nicht liebe, nur, weil ich das Muttersein ab und zu anstrengend finde.

«Meine Güte, es heisst ja nicht, dass ich meine Kinder nicht liebe, nur, weil ich das Muttersein ab und zu anstrengend finde.»

Tina

Julia: Anstrengend, ja … Du weisst erst, wenn du Kinder hast, wie es wirklich ist.

Tina: Diesen Satz habe ich immer gehasst. Aber er stimmt! Viele meiner Freundinnen hatten vor mir Kinder. Ich verstand nicht, wenn sie sagten: «Wir können uns nicht um Uhrzeit x treffen, weil das Kind dann Mittagsschlaf macht.» Ich dachte mir, nimm einfach den Kinderwagen mit, tu nicht so kompliziert.

Das heisst, ihr gehört jetzt zur Fraktion «Schlaf ist heilig».

Tina: Wenn das Kind in der Nacht nicht schläft, bist du am Ende. Ich stehe dann neben mir, kann mich nicht konzentrieren. Und das Einschlafprozedere … Du kannst das Kind nicht einfach ins Bett legen und sagen, «gute Nacht, bis morgen». Ich bin oft locker eine Stunde bei meinem Dreijährigen, bis er einschläft.

Julia: Das kommt natürlich auf das Kind an. Aber tendenziell sind Kinder halt schon nicht die besten Schläfer.

Tina: Man muss sich an weniger Schlaf gewöhnen. Man hat keine Wahl. Aktuell wache ich jede Stunde auf wegen der Kleinen. Und mein Mann wacht einmal pro Nacht auf, kann nicht mehr einschlafen und muss sich am nächsten Tag dringend hinlegen. (äfft ihn nach wie er sich beschwert und lacht)

Was macht das Elternsein mit einer Partnerschaft?

Tina: Wir funktionieren sehr gut, wir kennen uns schon so lang. Als Paar wird man eine Art Eventagentur. Organisation ist alles. Wer packt das Babyzeug, wer holt die Kleinen ab, wer bringt sie wohin. Man spricht sich ständig ab. Oft mit kurzer Zündschnur, weil man ja müde ist.

Julia: Das Kind ist Thema Nummer eins. Man muss planen, wann man als Paar zusammenhockt und über andere Dinge spricht. Und wenn man etwas zu zweit unternehmen will, kommt wieder das Organisieren ins Spiel.

Die Schaffhauserinnen und Schaffhauser erzählen wieviel ihnen ihr Mami bedeutet.

Kinder zu haben klingt nach ständigem Lernen.

Tina: Ich lerne sehr viel, ja. Mein erstes Kind ist stur, ich hatte vorher nie jemand Stures in der Nähe. Durch meinen Sohn lerne ich, dass ich Grenzen setzen muss.

Grenzen setzen … Das ist doch einer dieser Ratschläge, die man immer hört, «du musst deinem Kind Grenzen setzen». Wie geht ihr mit ungefragten Ratschlägen um?

Tina: Wenn jemand auf der Strasse sagt, «ich glaube, Ihr Kind hat Hunger», dann ist mir das egal. Aber wenn man Kritik vonseiten Familie hört, ist es schwierig, sich abzugrenzen.

Julia: Meine Familie kommentiert schon oft. Ich solle mich nicht so anstellen, ich hätte es ja so gut mit meinem Mann, der helfe … Er soll ja nicht «helfen», er ist schliesslich genau gleichermassen verantwortlich für das Kind wie ich. Solche Aussagen finde ich schwierig. Und das Arbeiten ist auch so ein leidiges Thema: Man kann es gar nicht richtig machen. Für irgendjemanden, der gerne urteilt, ist es immer zu viel oder zu wenig.

Das berühmte Mom-shaming.

Tina: Das nervt. Alle wissen es besser. Dabei gibt es kein Richtig und Falsch. Und man kann gar nicht vergleichen, jedes Kind ist anders.

Julia: Mich nerven Mütter, die sagen, es sei alles rosig. Dann fühle ich mich schlecht.

Tina: Etwas Positives hingegen hört man selten. Wenn der Papi mit dem Kind unterwegs ist, einen sogenannten «Papitag» hat, sagen alle, «jö, so herzig». Bin ich etwa nicht herzig? (lacht)

Julia: Wenn Papa mit dem Kind auf dem Spielplatz ist, fällt das allen auf. Dann heisst es, «so en guete Papi».

Das sagen viele Mamis. Dass sie nicht wertgeschätzt werden. Was würdet ihr werdenden Mamis gern sagen?

Julia: Hör auf dich und deinen Körper. Im ersten Jahr als Mutter habe ich so gut wie nichts für mich gemacht, das war ein Fehler. Auch wenn der Boden zu Hause dreckig ist: Nimm dir lieber Zeit für dich, als einmal mehr zu putzen.

Klingt nach einem schwierigen Start.

Julia: Ich war anfangs sehr unsicher. Ich hab meinen Sohn im Spital nie gewickelt, ich hab mich nicht getraut. Ich hatte Angst, dass ich das nicht kann. Jetzt kann ich es im Schlaf. Auch das Stillen war schwierig. Ich habe viel zu lange gestillt. Es ging mir dabei nicht gut, aber ich hab nicht auf meinen Körper gehört, sondern nur gedacht: Ich muss stillen, weil sich das so gehört. Ich hab nur geweint, und der Kleine auch.

Du hättest dir also mehr Zuspruch, mehr Unterstützung gewünscht. Und was würdest du einem Mami mitgeben wollen, Tina?

Tina: Verliere dich nicht selbst. Suche dir einen guten Partner oder ein gutes Team. Auch Freundinnen, die offen sind, sind wichtig. Ich kenne ein paar Frauen, die, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, den erstbesten Mann als Vater in Betracht ziehen. Tut das nicht. Denn Eltern sein ist kein Zuckerschlecken.

Bekommt Freizeit als Eltern eine ganz neue Bedeutung?

Julia: Für mich ist Freizeit, wenn ich ganz allein bin.

Tina: Freizeit ist, wenn ich arbeiten gehe. (beide lachen wissend) Nein, Spass beiseite. Aber bei der Arbeit kannst du allein auf die Toilette. Du musst nicht schauen, wer gerade wo eine Sauerei macht. Im Büro kann ich mir meine Arbeit einteilen, Mittagessen gehen, wann ich will.

Fühlt ihr euch schuldig euren Kinder gegenüber?

Tina: Nicht, weil ich motze. Wenn ich abends weggehe hingegen, und der Kleine weint, hab ich schon ein schlechtes Gewissen. Selbst wenn ich den ganzen Tag vorher mit den Kindern verbracht hab.

Julia: Ich fühle mich schlecht, wenn mein Sohn krank ist oder traurig und ich nicht weiss, was los ist. Das übrigens hätte ich auch gern vorher gewusst: Dass das Kind ständig krank ist, wenn du es in die Kita schickst. Ein krankes Kind zu Hause ist echt nicht lustig. Vor allem, wenn es die Magendarmgrippe hat. Und der Höhepunkt ist, wenn du selbst auch krank bist. (beide lachen wieder und führen eine Pantomine auf, bei der sie ihre sich übergebenden Kinder durch den Raum tragen)

Eine Frage zum Schluss. Was ist das Schönste am Mamisein?

Tina: Es ist schwierig, das in Worte zu fassen. Es ist einfach schön. Zu beobachten, wie sie gross werden. Die Vorstellung, dass sie Teil von uns sind, finde ich faszinierend. Und die Unschuldigkeit der Kinder ist so erfrischend.

Julia: Ja, was für uns Alltag ist, ist für sie anfangs alles neu, und das zeigen sie uns auf. Sie sind auch sehr lustig. Das Schönste für mich ist das Lachen meines Sohnes. Und es ist so süss, wenn er mich fest umarmt und sich freut, wenn ich nach Hause komme.

 

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren