«Im Interesse des Kindes»

Schaffhauser Nachrichten | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Brauchen Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, ein Lehrdiplom? Roman Wanner (l.) wehrt sich gegen die Verschärfungen und höheren Anforderungen an das Homeschooling. Bruno Müller hält dagegen. Bild: Melanie Duchene

Am 12. März stimmt der Kanton über eine Revision der Bestimmungen für Privatschulen und privaten Unterricht ab. Roman Wanner vom Referendumskomitee und SP-Kantonsrat Bruno Müller legen ihre Argumente dar.

Von Mark Liebenberg und Tobias Bolli

Herr Müller, heute müssen Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, sich mit einem Konzept bewerben, es wird periodisch überprüft, ob die Lernziele erreicht wurden, ebenso das Setting zu Hause inspiziert. Wieso genügt Ihnen das nicht?

Bruno Müller: Wir haben ganz grundsätzlich eine Schulpflicht. Es gibt einen verfassungsmässigen Auftrag zur Bildung. Lehrpersonen haben den Auftrag zur Wissensvermittlung, und die Kinder sollen in der Schule eine möglichst gute Ausbildung geniessen bei möglichst hoher Chancengleichheit. Deshalb braucht es für Lehrpersonen eine adäquate Grundausbildung, wie es das revidierte Schulgesetz fordert.

Heimunterricht findet meist einzeln oder in kleinen Gruppen statt. Die Betreuung ist also intensiver. Ist es da nicht zweitrangig, ob die Person, die den Stoff vermittelt, ein Lehrdiplom hat oder nicht?

Müller: Schule ist mehr als reine Wissensvermittlung. Ein Kind muss im Klassenverband lernen, sich mit verschiedenen Kulturen und Milieus auseinanderzusetzen, muss sich gegenüber seinen «Gschpöndli» behaupten. Die Kinder haben meist gemeinsame Schulwege und müssen den Pausenplatz miteinander teilen. All das fördert ihre Sozialkompetenz. Ich würde behaupten, das ist im reinen Familienumfeld nicht in gleichem Masse gegeben.

Herr Wanner, Sie und Ihre Frau haben zeitweise zwei ihrer Kinder zu Hause unterrichtet. Was entgegnen Sie den Argumenten von Herrn Müller?

Roman Wanner: Die öffentliche Schule ist eine gute Sache, das zweifelt niemand an. Es gibt aber Einzelfälle, wo die Situation einfach nicht passt, sei es vorübergehend oder längerfristig. Da müssen Eltern abwägen können. Sozialkompetenzen sind wichtig. Homeschooler müssen deshalb ja ein ausführliches Konzept vorlegen, wie Kinder im Heimunterricht trotzdem sozial eingebunden sind, in Vereinen, Sportklubs et cetera. Kein Kind kann zu Hause abgeschottet werden. Das wird auch kontrolliert.

Zu den Personen

Roman Wanner (45) ist Landwirt aus Schleitheim, gehört der SVP an und ist Mitglied im Referendumskomitee gegen die Teilrevision des Schulgesetzes. Bruno Müller (64) ist pensionierter Druckerfachmann. Er sitzt für die SP der Stadt Schaffhausen seit 2021 im Kantonsparlament.

Haben Kinder, die zu Hause unterrichtet werden, aber nicht auch das Recht, von einer voll ausgebildeten Lehrperson unterrichtet zu werden?

Wanner: Gegenfrage: Ist eine Lehrerin frisch von der Pädagogischen Hochschule wirklich in jedem Fall kompetenter als eine Person, die bereits Lebenserfahrung und Erziehungskompetenz mitbringt? Das wage ich zu bezweifeln...

Müller: Jemand mit einem Lehrdiplom hat immerhin entsprechende fachliche Qualifikationen erworben und hat Leistungsnachweise erbringen müssen, dass sie für eine pädagogische Tätigkeit geeignet ist. Und im Gegensatz zum Heimunterricht ist eine Lehrerin mit wenig oder ohne Berufserfahrung nicht allein. Junge Lehrer oder auch Quereinsteiger im Lehrberuf sind eingebettet in ein Team, werden gecoacht, erhalten Rat und ein Mentoring. Das fehlt beim Homeschooling, dort sind es zumeist Einzelkämpfer.

Wanner: Das ist unterschiedlich, die Homeschooling-Szene ist recht gut vernetzt. Aber mit dieser Gesetzesrevision soll es ja nun ganz verunmöglicht werden, dass sich Eltern, die ihre Kinder selber unterrichten, professionellen Rat holen, selbst wenn sie die Kosten selbst übernehmen. Neu müssten Homeschooler in jedem Fall ein anerkanntes Lehrdiplom haben, sonst wird ihr Gesuch gar nicht angeschaut. Das ist eine krasse Benachteiligung gegenüber jenen, die an der Volksschule als Quereinsteiger beginnen, als Lehrpersonen zu arbeiten. Dagegen wehren wir uns. Eigentlich sollten Eltern ohne Diplom ja genauso einen der «Ready for Teaching»-Kurse besuchen dürfen. Dann wäre es fair.

Müller: Diese Programme sind ja nicht die Regel, sondern die Ausnahme, weil wir einen Lehrermangel haben. «Ready for Teaching» leisten wir uns, weil es einen Gegenwert gibt, nämlich dass diese Personen dann auch vor einer ganzen Klasse stehen können. Hingegen ist es nicht unbedingt im Interesse der Allgemeinheit, Zusatzaufwendungen zur Ausbildung von zu Hause unterrichtenden Eltern zu tragen.

Interessanterweise macht die Gesetzesrevision eine Ausnahme auch bei Privatschulen: Lehrer brauchen auch dort nicht unbedingt ein Lehrdiplom, um vor einer Klasse stehen zu dürfen…

Müller: Dies, weil davon auszugehen ist, dass die Lehrpersonen über Erfahrung und pädagogisches Know-how verfügen, etwa in der International School oder den Waldorfschulen, auch wenn sie kein von der EDK anerkanntes Diplom haben.

Wanner: Sehen Sie, es ist sogar eine doppelte Ungleichbehandlung, wie die Anforderungen jetzt verschärft werden. An der Volksschule und an Privatschulen dürfen Leute ohne Diplom unterrichten, im Heimunterricht soll es verboten werden. Und dies, obschon die Kinder ebenfalls darauf getestet werden ob sie alle Lernziele erreicht haben, und jedes halbe Jahr ein Inspektor vorbeikommt...

Müller: Nun ja, wir machen damit ja nichts Exotisches, die meisten Kantone kennen dieses Erfordernis. Tatsache ist, dass die Gesuche für Heimunterricht während der Pandemie sprunghaft zugenommen haben. Heute sind es im Kanton gegen 40 Kinder, die zu Hause beschult werden. Wir wissen noch nicht, wohin die Reise geht, deshalb müssen wir die Anforderungen auf eine solide gesetzliche Basis stellen. Ich möchte aber noch auf etwas anderes zu sprechen kommen...

Ja, bitte.

Müller: Herr Wanner hat richtigerweise gesagt, dass es beim Homeschooling Inspektionen braucht und eine Lernzielkontrolle. Das bindet Ressourcen beim Kanton. Hier wird überdurchschnittlich viel Aufwand für eine absolute Minorität betrieben.

Andererseits spart die Allgemeinheit ja Lehrerlöhne und Infrastrukturkosten. 40 Kinder sind rein rechnerisch zwei Schulklassen...

Müller: Aber die sind dezentral verteilt im Kanton, deshalb hat das vermutlich kaum einen messbaren Kosteneffekt vor Ort. Und vergessen wir nicht dass auch die zu Hause unterrichteten Kinder unentgeltlichen Zugang zu obligatorischen Lehrmitteln, der Schulzahnklinik, Verkehrsunterricht, Logopädie und so weiter haben.

Wanner: Man geht davon aus, dass ein Kind in der Schule pro Jahr etwa 10' 000 Franken kostet. Diese Kosten spart die Allgemeinheit also pro Kind im Homeschooling.

Sie sagen, es könne akute Fälle geben, wo es für das Kind besser ist, zu Hause beschult zu werden. Auch mit dem neuen Gesetz wird es die Möglichkeit geben, zweimal sechs Monate Heimunterricht zu machen ohne Lehrdiplom. Das ist doch ein Kompromiss, oder?

Wanner: Ja, das ist gut und wichtig. Es kann nun mal vorkommen, dass es mit einer Lehrperson gar nicht geht, wir kennen Fälle von Mobbing unter Schülern, wo Eltern handeln können müssen. Immer im Interesse des Kindes. Natürlich müssen sie als Eltern dann immer noch ein Gesuch stellen und ein Konzept vorlegen und so weiter. Mit einem Telefon aus einer Laune heraus ist es nicht gemacht.

«Eltern ohne Diplom sollten einen der ‚Ready for Teaching’-Kurse besuchen können. dann wäre es fair.»

Roman Wanner

Glauben auch Sie, dass es Fälle gibt, wo die Heimschule die beste Lösung ist, zum Beispiel auf dem Land, wo es keine Ausweichklassen gibt, wo zum Beispiel ein gemobbtes Kind hinversetzt werden kann?

Müller: Ich finde, in grösseren Schulgemeinden können sich Lösungen im Rahmen der Regelschule finden lassen. Auf dem Land sollte man sich zuerst überlegen, ob ein Kind nicht in eine andere Gemeinde zur Schule gehen kann. Die Verkehrsverbindungen in unserem Kanton sind gut, das finde ich durchaus zumutbar.

Wanner: Es werden Einzelfälle bleiben. Ich denke allerdings schon, dass der Trend zum Homeschooling eine Art Spiegel ist, der der Schule vorgehalten wird. Für einige Eltern passt es nicht, so wie es läuft. Es gab so viele Reformen in den letzten Jahren, es fehlen Heilpädagogen, es fehlen gut ausgebildete Lehrer. Oder es gibt schlicht Probleme, weil es menschlich nicht stimmt. Man würde gescheiter diese Probleme lösen, statt für diese wenigen Eltern und Kinder das Gesetz umzuschreiben. Wovor haben Sie bloss Angst?

Müller: Ich glaube nicht, dass das Homeschooling eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen und Erwartungshaltungen in der Volksschule ist. Ich will nicht alle in den gleichen Topf werfen, aber ich vermute, dass es doch bei einigen Homeschoolern ideologische und weltanschauliche Gründe gibt, wieso sie Separatlösungen für sich reklamieren. 

«Ich vermute, dass es bei einigen Homeschoolern weltanschauliche Gründe gibt, wieso sie eine Separatlösung reklamieren.»

Bruno Müller

Wanner: Na gut, bei Lehrpersonen gibt es auch ideologische Haltungen und Einfärbungen. Das hinterfragt auch niemand.

Zwei von drei zu Hause unterrichtenden Eltern im Kanton haben kein gültiges Diplom. Wenn die Revision durchkommt, muss also eine ganze Reihe von Kindern zurück in die Regelschule, richtig?

Wanner: Ja, und einige dieser Kinder werden darunter leiden, weil sie nicht so gut betreut werden können wie zu Hause. Das neue Gesetz diskriminiert nicht so sehr die Eltern, sondern die Kinder.

Müller: Diese Eltern können sich ja organisieren und sich zusammentun. Eine Privatperson mit Diplom darf bis zu fünf Kinder unterrichten. Die heute zu Hause beschulten Kinder könnten also rein rechnerisch auch weiterhin im Homeschooling beschult werden.

Wanner: Das ist schon alleine logistisch und von den Distanzen her nicht möglich.

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren