Zahl der Scheidungen hat in Pandemie zugenommen

Der Trend bei den Scheidungen zeigt weiterhin nach oben. Mit Kommunikation sowie rechtzeitiger Mediation liessen sich einige Scheidungen vermeiden. Davon ist die Schaffhauser Scheidungsanwältin und Mediatorin Marlis Pfeiffer überzeugt.
Die Anzahl der Scheidungen ist in den letzten drei Jahren sowohl national als auch kantonal gestiegen. Gemäss Bundesamt für Statistik enden in der Schweiz zwei von fünf Ehen mit einer Scheidung. Auch die Coronapandemie und der Lockdown sind mögliche Auslöser für das häufigere Ehe-Aus. Vor 30 Jahren liessen sich die Menschen aber viel seltener scheiden. Liegt es an der Mentalität der Wegwerfgesellschaft, dass wir heute von Lebensabschnittspartnerinnen und -partnern sprechen? Den Grund dafür, dass Scheidungen vor 30 bis 40 Jahren seltener vorkamen, sieht die Schaffhauser Rechts- und Scheidungsanwältin Marlis Pfeiffer in der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Frau vom Mann.
Dieser Faktor sei zentral gewesen. Die Frau war von ihrem Mann finanziell abhängig und hätte sich die Trennung einfach nicht leisten können. Heute sei man als Frau wirtschaftlich unabhängiger, obwohl das Modell – Mama bleibt zu Hause, Papa geht arbeiten – immer noch vorkomme. «Doch die Tendenz ist abnehmend; oft arbeitet ein Elternteil in einem Teilzeitpensum», sagt die Scheidungsanwältin.
Neue Rechtsprechung zur Scheidung
Die seit Ende 2020 geltende bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Scheidung – eine Rechtsprechung, die verlangt, dass jeder und jede grundsätzlich nach der Scheidung für sich selbst sorgen muss und umfassende Unterhaltszahlungen eher die Ausnahme darstellen (siehe Zweitstoff) – habe auch Auswirkungen auf die Situation während der Ehe. Konkret heisst das: Auch wenn eine Ehe lange gedauert hat, steht der nacheheliche Unterhalt der Ehefrau nicht mehr automatisch zu. Dies muss den Eheleuten bereits beim Entscheid über das Ehemodell, das sie leben wollen, bewusst sein, so Marlis Pfeiffer.
Zerrüttungsprinzip und Schuldfrage
Ein Rückblick. Bis zum Jahr 2000 lag dem Schweizerischen Scheidungsrecht das Zerrüttungsprinzip zugrunde. Die Eheleute mussten beweisen, dass die Ehe zerrüttet ist. Neben diesem allgemeinen Scheidungsgrund gab es die besonderen Scheidungsgründe, wie Ehebruch oder Nachstellung. Das Verschuldensprinzip spielte zudem bei den Scheidungsgründen wie auch bei den Scheidungsfolgen eine entscheidende Rolle. So konnte in der Regel nur der «unschuldige» Ehegatte auf Scheidung klagen. Und die Schuldfrage war auch relevant bei der Zusprechung von Schadenersatz-, Unterhaltsersatz- und Bedürftigkeitsrenten.
Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Ansichten über Ehe, Familie und Scheidung wurde die Schuldfrage mit der Revision des Zivilgesetzbuches in der Schweiz 2000 abgeschafft. Aber auch bereits davor wurde die Frage des überwiegenden Verschuldens in der Praxis immer mehr abgeschwächt, so Pfeiffer. «Wenn beide sich scheiden lassen wollten und ein gemeinsames Begehren einreichten, konnte man davon ausgehen, dass die Ehe tief zerrüttet war.»
Die Kommunikation ist das A und O
Heute muss man keinen Grund mehr angeben. Die Ursachen für eine Scheidung sind trotz des gesellschaftlichen Wandels allerdings ähnlich geblieben: auseinandergelebt, unterschiedliche Auffassungen, respektloser Umgang miteinander, Aggressivität, Süchte, kulturelle Unterschiede und Krankheit. Einige der Klienten könnten sich nicht mehr vorstellen, miteinander alt zu werden, so Pfeiffer. Denn wenn Kinder das elterliche Haus verlassen, wird die Ehe auf eine harte Probe gestellt und werfe Fragen auf wie die nach dem gemeinsamen Gestalten der Zukunft. «Kommunikation zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Leben. Sind die Partner dazu nicht bereit, dann gehen die Wege auseinander.»
Rosenkrieg treibt in den Ruin
Und wann beginnt ein Rosenkrieg? «Ein Rosenkrieg liegt dann vor, wenn unterschiedliche Konfliktstufen durchlaufen wurden und es letztlich zur Katastrophe kommt. Begünstigt wird er etwa dann, wenn verdrängte Verletzungen oder Erniedrigungen aufbrechen und zu einem zerstörerischen Umgang miteinander führen, sodass die Eheleute sich gegenseitig in den Ruin treiben und dabei in Kauf nehmen, selbst in den Abgrund zu geraten.»
«Ich bin nicht der Typ Mensch, der Rosenkriege führt. Ich bin eher der vermittelnde Typ.»
Das hat Marlis Pfeiffer in ihrer Kanzlei aber noch nicht erlebt. Das habe wohl damit zu tun, wie sie die Tätigkeit ausübe, sagt sie, und auch damit, was für Klienten man anziehe. «Ich bin nicht der Typ Mensch, der Rosenkriege führt. Ich bin eher der vermittelnde Typ.» In der Kanzlei vertritt Marlis Pfeiffer Männer wie auch Frauen; manchmal sogar beide Parteien gleichzeitig. Gemeinsam eine Scheidungskonvention auszuarbeiten, sei in der Regel viel zielführender, als auf Konfrontation zu gehen. Diese sei aber manchmal selbst bei auf den ersten Blick einvernehmlicher Scheidung nicht vermeidbar. «Das ist nicht schlimm. Auf den Punkt zu bringen, was einem wichtig ist, das ist dem Umgang miteinander auch nach der Scheidung dienlich.»
Das Geheimnis einer guten Ehe
Die Scheidungsanwältin lacht, als sie die Frage hört: «Sind Sie verheiratet, Frau Pfeiffer?» «Ja!», sagt sie und fügt hinzu: «Inzwischen seit 27 Jahren.» Was ist also das Geheimnis einer guten Ehe? Ob man von einem Geheimnis sprechen könne, da ist Marlis Pfeiffer sich nicht sicher. Zentral sei aber: «Offenheit, ehrliche Kommunikation, Toleranz sowie Bereitschaft für Kompromisse.» Das seien die tragenden Säulen einer funktionierenden Ehe.
In ihrer Kanzlei mache sie aber oft die Erfahrung, dass die Eheleute erst bei der Scheidungsanwältin anfangen, wirklich miteinander zu kommunizieren. «Nein, dieses Thema habe ich noch nie angesprochen», bekomme sie oft zu hören. Wichtige Themen würden verdrängt, so Pfeiffer. Zum einen, weil man den Konflikt scheut, zum anderen, weil man auch die Wichtigkeit verschiedener Themen unterschätzt. Allerdings: «Wenn zwei Menschen zusammenkommen, insbesondere wenn später Kinder dazukommen, ist Konfliktpotenzial vorhanden.» Das lasse sich nicht vermeiden, so die Scheidungsanwältin.
Tendenz zur Unabhängigkeit
Auch Stresssituationen, wie die Coronapandemie eine war, könnten dazu führen, dass Menschen noch seltener miteinander reden. Es könne zu Egoismus kommen und zu fehlender Bereitschaft, vom eigenen Weg abzuweichen.
«Egal, welches Problem die Oberhand gewinnt, Schweigen ist keine gute Idee.»
Auch die Tendenz zur Unabhängigkeit, unterschiedliche persönliche Entwicklungen sowie eine Krankheit des Partners könnten zur Folge haben, dass die Ehe plötzlich vor dem Aus steht. Unterschiedliche Auffassungen bei der Kindererziehung seien ebenfalls ein Minenfeld in einer Partnerschaft. «Doch egal, welches Problem die Oberhand gewinnt, Schweigen ist keine gute Idee», so Pfeiffer. Es führe zu verhärteten Fronten und schlussendlich zur Scheidung.