Sie geben im Parlament den Ton an – aber nicht denselben

Isabel Heusser | 
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Matthias Frick (links) und Walter Hotz auf dem Walther-Bringolf-Platz, den die Stadt umgestalten will. Oberirdische Parkplätze gibt es in der Stadt genug, finden beide. Bild: Melanie Duchene

Sie leben für die Politik, gehören zu den Meinungsmachern in ihrer Partei und kritisieren auch mal öffentlich die eigenen Exekutivmitglieder: Interview mit zwei Parlamentariern, die verschiedene Positionen vertreten und doch viel gemeinsam haben.

Herr Hotz, Herr Frick: Wann haben Sie begonnen, sich für Politik zu interessieren?

Walter Hotz: Als 16-Jähriger habe ich eine Studienreise nach Berlin unternommen. Ich freundete mich dort mit einem jungen Mann an, dessen Tante in Ostberlin wohnte. Als wir sie besuchten, habe ich Einiges erlebt, das ich seltsam fand. So mussten wir an der Grenze zu Ostberlin unseren Pass zeigen und eine Dreiviertelstunde warten, bis wir einreisen durften. Die Tante zeigte uns die Stadt, und in einem unbeobachteten Moment raunte sie meinem Kollegen zu: «Wenn Du etwas für mich hast, kannst Du es mir jetzt geben, es müssen ja nicht alle sehen.» Die schlimmen Verhältnisse dort sind mir geblieben. Die Studentenbewegung der Sechzigerjahre ist allerdings an mir vorbeigegangen, weil ich mich vor allem für Musik interessierte (lacht). Über den ehemaligen Kantonsrat Thomas Hauser bin ich dann zum Landesring der Unabhängigen gekommen und später zur FDP und zur SVP.

Matthias Frick: Ich habe die Politik quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Meine Eltern waren beide politisch, mein Vater war aktives SP- und VPOD-Mitglied. Es gibt Fotos von mir als Fünfjähriger mit Tempo-30-Shirt oder mit Stopp-FA/18-Button. Schon als Kind half ich meinem Vater, Plakate aufzuhängen. Und in der Schule versuchte ich, wann immer es ging, politische Themen einzubringen. Viele meiner Aufsätze drehten sich darum.

Was fasziniert Sie daran, Politik zu machen?

Frick: Politisieren liegt mir. Zu wissen, wie der Staat funktioniert, Zusammenhänge zu erkennen, in Kontakt mit Menschen unterschiedlicher Parteien und Teil von politischen Entwicklungen zu sein, finde ich sehr spannend. Das geht übrigens über die Parteigrenze hinaus.

Hotz: Wenn man unzufrieden ist, darf man nicht die Faust im Sack machen, sondern soll sich engagieren und zum Beispiel in die Politik gehen. Für diejenigen, die sich für eine Wahl aufstellen lassen und es dann nicht schaffen, ist es natürlich bitter. Ich hingegen bin mittlerweile in einem Alter, in dem ich mich langsam aus der Politik zurückziehen kann. Für Matthias gehöre ich ja zu den alten weisen Männern ...

Zu den Personen

Walter Hotz (73, SVP) ist seit 1999 – mit Unterbruch – Grossstadtrat und seit 2013 Kantonsrat. Er ist pensioniert und Inhaber einer Aktiengesellschaft für industrielle Automation.

Matthias Frick (36, AL) ist seit 2009 Kantonsrat und seit 2019 Grossstadtrat. Von 2012 bis 2018 war er Gemeinderat in Trasadingen. Er hat Geschichte studiert und betreut das Sekretariat des Gewerkschaftsbunds Schaffhausen.

Herr Hotz, Sie sind im Sommer 2019 aus dem Grossen Stadtrat zurückgetreten, liessen sich dann aber an den Wahlen letztes Jahr wieder aufstellen und wurden gewählt. Warum kandidierten Sie wieder?

Hotz: Jetzt kann ich es ja sagen: Es standen Abstimmungen zu Vorlagen an, die ich allesamt ablehnte, etwa die Entwicklung des Stadthausgevierts oder die Einführung von Elektrobussen in der Stadtflotte der VBSH. Die Fraktion war aber dafür. Ich hätte also gegen die Fraktion und unseren Stadtrat Daniel Preisig antreten müssen. Da dachte ich mir: Das muss ich mir nicht antun. Es war auch besser für die Partei. Also trat ich zurück. Ich habe die Stadtpolitik aber weiterverfolgt und war der Meinung, dass es in der Fraktion jemanden braucht, der sich traut, aufzustehen, wenn ihm etwas nicht passt. Also kandidierte ich wieder, aber ich habe mich im Wahlkampf absolut nicht angestrengt.

Herr Frick, Sie rückten 2019 für Fabian Schug im Grossen Stadtrat nach und sind auch Kantonsrat. In der AL sind Doppelmandate eigentlich tabu. Offensichtlich fühlen Sie sich wohl im Grossen Stadtrat.

Frick: Ja, das ist so. Es fällt mir auch schwer zu entscheiden, welches Amt ich aufgeben soll. Aber zwei Mandate sind wirklich nicht sinnvoll, mir fehlt schlicht die Zeit dafür. Es gibt jemanden aus unserer Partei, der an einem Sitz in beiden Parlamenten Interesse hätte. Aktuell laufen Gespräche, aber es ist noch nichts fix.

«Ich bin durchaus kompromissfähig, ausser, es geht um sehr rechte Themen.»

Matthias Frick (AL)

Sie beide gehören zu den Parlamentariern, die auch mal die eigenen Exekutivmitglieder kritisieren. Wo ist hier die Grenze?

Hotz: Damals im Jahr 2019 wollte ich nicht über längere Zeit gegen Daniel Preisig ankämpfen. Aber grundsätzlich schone ich niemanden. Als Parlamentarier haben wir die Aufsicht über Verwaltung und Regierung. Ich habe mich beispielsweise geärgert, als Preisig ein Restaurant auf dem Fischerhäusern-Areal bauen wollte. Als Finanzreferent muss man Rappenspalter sein. Das Projekt wurde an der Urne abgelehnt. Trotzdem liess der Stadtrat kurz danach ein Beizen-Provisorium neben dem Salzstadel aufstellen, nachdem Lukas Ottiger einen entsprechenden Vorstoss eingereicht hatte. Der Grosse Stadtrat hatte gar keine Gelegenheit, darüber zu diskutieren. Das geht so nicht. Auch im Kantonsrat bin ich ab und zu mit Ernst Landolt aneinandergeraten, als er noch Regierungsrat war.

Frick: Ich finde, Walter macht das sehr gut. Die AL hat zwar keinen Regierungsrat und nach Simon Stockers Rücktritt auch keinen Stadtrat mehr. Ich bin aber ebenfalls der Meinung, dass man keine Rücksicht nehmen darf auf die Parteizugehörigkeit. Es geht ja um die Sache. Ich gehöre nicht zur SP, verstehe mich aber im weitesten Sinne als Sozialdemokrat. Und auch ich kritisiere ab und zu ein SP-Exekutivmitglied. Ich bin da vielleicht auch etwas in einer privilegierten Situation, weil ich den Gruppendruck der Partei nicht spüre.

In der Politik muss man Kompromisse machen, um mehrheitsfähige Lösungen zu finden. Richtig?

Hotz: Sicher braucht es Kompromisse, etwa in Sachen Steuern und Finanzen. Aber gerade in der Anfangsphase muss man ein klares Ziel definieren und dieses bis zum Schluss verteidigen. Eine Partei muss gegenüber den Wählern ihr Programm vertreten. Was ich überhaupt nicht verstehe: Wenn etwa im Kantonsrat SVP-Mitglieder Vorstösse von Linken unterschreiben, nur um sich anzubiedern. Grundsätzlich haben es die Bürgerlichen im Grossen Stadtrat schwerer, ihre Forderungen durchzubringen, dann müssen wir halt ab und zu das Referendum ergreifen. Bei euch, Matthias, ist es ja gerade umgekehrt.

Frick: Genau, im Kantonsrat sind die Linken untervertreten. Ich bin durchaus kompromissfähig, ausser, es geht um sehr rechte Anliegen. Im Kantonsrat kommen Kompromisse fast nie zustande, im Stadtparlament hingegen schon. Da gehen die Linken viele Kompromisse mit der Mitte ein. Aber auch dann ist es jedes Mal ein Ringen um Stimmen. Auch ich finde, dass klare Ziele formulieren wichtig ist. Ich bin sogar der Meinung, dass man Maximalforderungen in den Raum stellen sollte. Im Laufe der Verhandlungen muss man ja sowieso zurückstufen. Ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit, einen FDP-Vorstoss zu unterstützen, so wie es die AL aktuell auch bei der Initiative «Schaffhausen an den Rhein» getan hat. Auch einen Vorstoss der SVP oder der EDU würde ich unterschreiben, wenn ich den Inhalt unterstütze. Wie das dann beim Wähler ankommt, ist mir egal. Auf Opposition zu verzichten, ist übrigens auch eine Form von Kompromiss, finde ich. Zum Beispiel war ich gegen die Herrenacker-Vorlage, weil ich der Meinung bin, dass diese Sanierung so nichts bringt. Aber aktiv dagegen vorzugehen, hätte sich nicht gelohnt.

«Das Gejammer, man finde in der Altstadt keinen Parkplatz, verstehe ich nicht.»

Walter Hotz (SVP)

Kommen wir auf konkrete Themen zu sprechen. Braucht die Stadt die Fussgänger- und Velobrücke Duraduct?

Frick: Im Bereich Langsamverkehr müssen wir Infrastrukturen schaffen, die Leute animieren, das Auto vermehrt stehen zu lassen und stattdessen Velo zu fahren oder zu Fuss zu gehen. Das Duraduct ist ein vielversprechendes Projekt, weil es zwei Quartiere miteinander verbindet, die dann näher zusammenrücken. Es verkürzt die Wege für Kinder, die zur Schule gehen, für das Spitalpersonal, von dem heute ein grosser Teil das Auto benutzt und für Leute, die die KSS besuchen. Die nächste Brücke, die es braucht, ist jene, die den Ebnat mit dem Geissberg verbindet.

Hotz: Ich bin da gespalten. Mich stört, wie der Stadtrat bei der Planung vorgegangen ist. Als ich noch in der Geschäftsprüfungskommission (GPK) war, hat die Kommission vom Stadtrat Auskunft verlangt, wie weit die Planung fortgeschritten ist. Viel mehr als ein paar Infos auf einem A4-Blatt haben wir nicht bekommen ...

Frick: Immer diese Geheimniskrämerei!

Hotz: Ja, allerdings. Jetzt aber bin ich eigentlich zufrieden. Dank unserem Referendum kann das Volk über den Planungskredit entscheiden. Meiner Meinung nach ist der Kredit viel zu hoch, auch die Brücke selbst ist im Vergleich zu anderen Brückenprojekten in der Schweiz zu teuer. Ansonsten kann ich Matthias’ Argumente nachvollziehen. Es ist natürlich angenehm, wenn man via Brücke von einem Quartier ins andere gelangt, statt wenn man ins Mühlental hinunter und dann wieder den Berg hinauf muss. Allerdings gibt es ja heute E-Bikes, die alles etwas einfacher machen. Eine Brücke vom Ebnat zum Geissberg, na ja ...

Frick: Das habe ich als Provokation gesagt (lacht).

Hotz: Ja, das habe ich mir schon gedacht!

Nächstes Thema: Braucht es ober­irdische Parkplätze in der Altstadt?

Frick: Nein. Die könnte man von heute auf morgen alle aufheben. In Schaffhausen gibt es so viele Parkhäuser, und sie stehen fast alle leer. Was logisch ist, denn die Autofahrer suchen sich zuerst einen oberirdischen Parkplatz. Das ist viel bequemer. Mir geht es als Autofahrer ja genauso. Ich würde nie in ein Parkhaus gehen, wenn ich nicht muss. Doch die Plätze, auf denen heute Autos stehen, sind tot. Niemand nutzt sie, und sie werden auch nicht saniert, weil es keinen Grund dafür gibt. Für Altstadteinwohner, zu denen ich gehöre, sind die Autos auch schlicht eine Lärmbelästigung. Und mit kleinen Kindern muss man ständig aufpassen. Plätze könnten stattdessen für die Gastronomie genutzt werden, als Spielplätze oder für Pärke. Die Altstadt ist auch Wohnquartier und es muss auch dafür gesorgt werden, dass es attraktiv ist, hier zu leben und Kinder gross zu ziehen. Der Wert von Parkplätzen für das lokale Gewerbe wird übrigens massiv überschätzt, das haben diverse Studien gezeigt.

Hotz: Es stimmt, in der Stadt braucht man eigentlich kein Auto. Ich wohne auf der Breite und bin mit dem Bus oder sogar zu Fuss in zehn Minuten in der Altstadt. Das Gejammer, man finde in der Altstadt keinen Parkplatz, verstehe ich nicht. Ich finde immer einen Parkplatz. Wenn die Linken aber sagen, alle oberirdischen Parkplätze sollten abgeschafft werden, muss ich an eine Episode erinnern: Vor vielen Jahren wollte Karl Klaiber an der Bachstrasse ein Gebäude mit Parkhaus bauen. Das Projekt wurde von linker Seite bekämpft, obwohl ja öffentliche oberirdische Parkplätze durch Parkplätze in Parkhäusern ersetzt werden sollten. Wenn doch aber ein Privater Parkplätze anbieten will, sollte man das unterstützen. Zum Walther-Bringolf-Platz: Da hat es ja fast keine Parkplätze mehr.

Frick: Das stimmt so nicht.

Hotz: Mit Spielplätzen ist es tatsächlich schwierig. Ich verstehe, dass der Platz mit Kindern nicht genutzt werden kann. Meine Frau ging jeweils mit unserem Sohn in den Kräutergarten des Allerheiligen. Und was die Geschäftsbesitzer angeht: Die müssen sich halt für ihre Sache einsetzen. Ich bin immer wieder enttäuscht, wie wenig Ideen vonseiten des ACS oder Pro City kommen.

Kürzlich wurde bekannt, dass der Spitalrat seinem eigenen Präsidenten Rolf Leutert zu einem Beratermandat als Projektverantwortlicher für den Spitalneubau verholfen hat. Das sorgte im Kantonsrat für Kritik. Wer soll die Aufsicht über den Spital haben?

Hotz: Dieser Fall hat gezeigt, wie wichtig das Parlament ist, das genau hingeschaut hat. Persönlich finde ich aber, dass man Rolf Leutert aus redlicher Sicht keinen Vorwurf machen kann. Wenn er ein Honorar von 320 Franken pro Stunde will und der Rest des Spitalrats Ja sagt dazu, muss sich primär das Gremium kritische Fragen gefallen lassen.

Frick: Ich war kurz nach meiner Wahl in den Kantonsrat 2009 in der Gesundheitskommission. Die Kommission liess sich zwar von Regierungs- und Spitalrat informieren, machte aber sonst nicht viel. Wenn mal jemand eine kritische Frage stellte, wurde er vertröstet. Jahrelang wurde das akzeptiert. Kritischen Mitgliedern wurde von der Kommissionsmehrheit das Maul gestopft. Inzwischen hat sich die Zusammensetzung geändert, und die Kommission hat das Selbstbewusstsein, Informationen einzufordern. Walter hat wohl recht, wenn er sagt, Rolf Leutert habe legal gehandelt. Stossend ist es trotzdem. Eigentlich bin ich der Meinung, dass diese Honorare für den Rat einsehbar sein sollten oder gar in den Geschäftsbericht der Spitäler gehören. Wären die Honorare öffentlich gewesen, hätte man sie diskutieren können und auch das Beratungsmandat wäre wohl ausgeschrieben worden. Walter Vogelsanger (SP) hat dieses System geerbt, und sein Fehler liegt wohl darin, dass er einfach so weitermachte.

Hotz: Was die Aufsicht betrifft, gibt es im Grossen Stadtrat eine gefährliche Tendenz: Da sollte nach Ansicht der GPK ernsthaft der Jahresbericht der VBSH im vereinfachten Verfahren durchgewinkt werden. Dabei geht es um eine Firma mit 130 Mitarbeitenden und Millionenumsätzen. Also muss das Parlament auch hier genau hinschauen.

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Kommentare (1)

Peter Dörig Fr 30.07.2021 - 07:24

Saure Gurkenzeit

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