Schaffhauser Jugendliche verbreiten so viel Pornografie wie noch nie

Ob bei der Jugendberatung, den Schulen oder der Staatsanwaltschaft – ein besorgniserregender Trend wird bemerkbar: Die Schaffhauser Jugendlichen besitzen, verbreiten und produzieren so viel pornografische Inhalte wie noch nie. Eine Spurensuche.
15 derartige Delikte – so viel zählt die Abteilung Jugendanwaltschaft der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen im Jahr 2019. Der Strafbestand: Besitz, Herstellen und Weiterverbreiten von Pornografie. Die Täter: Jugendliche – darunter fallen Zehn- bis Achtzehnjährige. So viele Strafverfahren in diesem Zusammenhang wurden im Kanton Schaffhausen innerhalb eines Jahres noch nie geführt. Dies berichtet Jugendanwältin Rahel Jenzer auf Anfrage der SN.
In den vergangenen fünf Jahren führte die Jugendanwaltschaft insgesamt 38 Strafverfahren wegen Pornografie im Sinne von Artikel 197 des Strafgesetzbuchs, erklärt Jenzer. Somit fällt knapp die Hälfte dieser Verfahren ins Jahr 2019.
Solche Delikte, die pornografische Inhalte betreffen, stehen im Zusammenhang mit digitalen Speicher- und Übertragungsmedien. Allen voran Smartphones, die immer mehr Jugendliche besitzen, vereinfachen den Zugang zu pornografischen Inhalten ungemein.
So führt Jenzer auch als Beispiel an, dass die Feststellung solcher illegalen Inhalte bei «konkreten Verdachtsmomenten, die eine Kontrolle eines Mobiltelefons rechtfertigen oder durch Zufallsfunde, etwa bei der Auswertung von Mobiltelefonen», stattfinden können.
«Immer jüngere Altersgruppen»
Dass der Umgang mit pornografischen Inhalten zu einem stetig grösseren Problem wird, bemerkt auch Patrik Ammann, Schulsozialarbeiter in der Stadt Schaffhausen. Laut ihm sorge der freie Zugang zum Internet, den die Smartphones ermöglichen, für einen starken Anstieg.
«In der Oberstufe kennen sich die Jugendlichen bereits bestens mit pornografischen Websites aus.»
Patrik Ammann, Schulsozialarbeiter
Doch er beobachtet noch einen weiteren Trend: «Pornografie wird bei immer jüngeren Altersgruppen zum Thema. Das fängt schon in der fünften Klasse an.» Im Rahmen seiner Tätigkeit falle ihm auf, wie niederschwellig der Zugang zu solchen Medien sei. «In der Oberstufe kennen sich die Jugendlichen bereits bestens mit pornografischen Websites aus», sagt Ammann. Selbst wenn das Alter erfragt werde, sei der simple Klick auf «Ja, ich bin über 18 Jahre alt» keine Hürde.
Dies spiele sich allerdings nicht nur auf den herkömmlichen Pornoseiten ab. Auch auf sozialen Medien, die laut ihrer Nutzungsordnung solche Inhalte verbieten, werden Videos und Bilder hin- und hergeschickt: «Es gab in der Stadt einen Fall, bei dem ‹Instagram› festgestellt hat, dass Jugendliche harte Pornografie über die Plattform verschickt haben. Das hat die Plattform dann der Polizei gemeldet», erzählt Ammann.
Sexualität stärker im Fokus
Pascale Sola, Psychologin bei der Jugendberatung der Stadt Schaffhausen, arbeitet schon seit über 20 Jahren mit Heranwachsenden. In den vergangenen fünf Jahren habe auch sie beobachtet, dass das Thema Sexualität stärker in den Vordergrund gerückt sei.
Einen Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung erkennt auch Sola: So seien die Jugendlichen heutzutage pornografischem Material wesentlich häufiger ausgesetzt: «Einerseits sind sie neugierig und suchen aktiv im Netz, andererseits wird es ihnen manchmal auch ungefragt zugeschickt.» In den Augen der Psychologin löse der frühe Kontakt mit Pornografie bei Jugendlichen vor allem eines aus: Verunsicherung.
Den Heranwachsenden sei häufig unklar, dass derartige Filme ein überaus unrealistisches und ungesundes Bild von Sexualität porträtieren, sagt Sola. Auch Schulsozialarbeiter Ammann beobachtet negative Folgen: «Bei Jugendlichen erhöht sich dadurch der persönliche Druck. Wenn früh regelmässig pornografische Inhalte konsumiert werden, kann das Körperbild und die Vorstellung der eigenen sexuellen Leistungsfähigkeit verzerrt werden.»
Eine durch Medien bedingte verzerrte Eigenwahrnehmung stellt auch Sola fest: «Das vermeintlich ‹ideale› Körperbild ist derzeit ein riesiges Thema bei vielen Jugendlichen. Hier spürt man einen deutlichen Wandel in den letzten Jahren.»
Grund dafür können die sozialen Medien sein. «Jugendliche identifizieren sich stark mit denjenigen, die viele Likes und Follower haben – häufig mehr als mit ihrer Familie», sagt Sola. Solche im Netz präsenten Persönlichkeiten inszenieren sich – mitsamt ihrem Körper – nach extremen Idealen. «Das Selbstwertgefühl steht deswegen stark unter Druck», folgert Sola.
Gefährliches Terrain: Nacktbilder
Was mit den Smartphones so einfach wie noch nie ist: Fotos knipsen und sie verschicken. Damit können allerdings weitreichende Konsequenzen einhergehen. So etwa wenn Mädchen Nacktbilder von sich schiessen und verschicken. «Dies passiert, wenn Mädchen zu unbedarft und achtlos sind», sagt Ammann. In seiner Tätigkeit an den Schulen in der Stadt Schaffhausen hat er auch schon solche Fälle miterlebt.
«Es ist nicht so, als wären die Mädchen völlig ahnungslos, was die Gefahren und die Illegalität anbelangt», sagt Sola, «manchmal gibt der Wunsch nach Aufmerksamkeit und Zuneigung oder der fehlende Mut, ‹Nein› zu sagen, Anlass, sich zu exponieren.»
In der Folge solcher Vorfälle leiden die betroffenen Mädchen oft stark. Ammann spürt das in den Schulen: «Teilweise gehen die Mädchen nicht mehr auf den Pausenhof oder bleiben zu Hause.» Deshalb gelte es, eine emotionale Stütze zu bieten. Bei derartigen Vorfällen stehe der Schutz der Betroffenen im Vordergrund.
Gerade in solchen Fällen sei es wichtig, das Gespräch anzubieten: «Das Geschehene zu verarbeiten, das Selbstwertgefühl wiederaufzubauen, aus Fehlern zu lernen, einen kritischen, bewussten Umgang mit Medien zu stärken und zu einer selbstbestimmten Sexualität anzuregen, ist hier entscheidend», so Sola.
Die Bestrebungen für eine noch bessere Aufklärung in den Schulen sei wieder wichtiger geworden, erzählt Ammann: «Kürzlich haben wir uns mit der ‹Aids-Hilfe Schweiz› für einen Austausch zu Themen vernetzt, bei denen wir einen zunehmenden Bedarf nach Auseinandersetzungsmöglichkeiten für Jugendliche feststellen wie zum Beispiel im Umgang mit Pornografie.»
Für die Schülerinnen und Schüler sei es wichtig, dass sie erwachsene Gesprächspartner haben, mit denen sie über ihren Körper und ihre Sexualität offen reden können. «Hier ist die Lehrperson nicht unbedingt der richtige Gesprächspartner», erklärt Ammann, «dafür braucht es andere Fachpersonen.» Im Zusammenhang mit pornografischen Inhalten müsse man die Jugendlichen vor allem dafür sensibilisieren, dass sich ihre persönliche Sexualität nicht mit solchen Darstellungen decken müsse.