Wie der neue Polizeikommandant tickt

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«Es braucht Emotionen, um sich in die Lage der Menschen hineinversetzen zu können, speziell in die der Opfer» – der neue Schaffhauser Polizeikommandant Philipp Maier. Bild: Selwyn Hoffmann

Heute übernimmt Philipp Maier das Kommando der Schaffhauser Polizei. Der bisherige Kripo-Chef spricht im Interview über neue Bedrohungen und die Stimmung in seinem Korps.

von Mark Liebenberg und Zeno Geisseler

Herr Maier, Ihr Vorgänger Kurt Blöchlinger ist im letzten Oktober sehr abrupt vom Amt zurückgetreten. Wie kam das damals im Korps an und wie ist die Stimmung im Team heute?

Philipp Maier: Wir sind als Korps bisher gut aufgestellt gewesen und sind es immer noch. Wir Polizisten konzentrieren uns auf unsere Arbeit. Der Abgang von Kommandant Blöchlinger hat nichts an unserem Auftrag geändert, wenn Sie das meinen.

Über die Hintergründe der sofortigen Trennung wurde und wird die Öffentlichkeit im Dunklen gelassen. Stört Sie das nicht auch?

Darüber müssen Sie mit der politischen Führung der Schaffhauser Polizei sprechen. Der Wechsel zum Interims-Kommandanten Ravi Landolt ist reibungslos verlaufen. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.

«Ich möchte mein Amt mit nach vorne gerichtetem Blick beginnen. Die Schaffhauser Polizei hat keine ‹Altlasten›.»

Sie übernehmen ein Polizeikorps, das in den letzten Jahren mit internen Querelen von sich reden gemacht hat. Der Verdacht der Günstlingswirtschaft stand im Raum, es gab eine gerichtliche Schlammschlacht wegen der Trennung von zwei Mitarbeitern, es folgte eine externe Untersuchung, von schlechter Stimmung im Korps war die Rede … Sie übernehmen ein Korps mit ­Altlasten – wie gehen Sie damit um?

Ich bin seit zwölf Jahren bei der Schaffhauser Polizei und war immer tief im operativen Geschäft tätig. Noch einmal: Über diese Dinge müssen Sie mit der übergeordneten Führung reden. Ich möchte meine Amtszeit mit einem nach vorne gerichteten Blick beginnen. Die Schaffhauser Polizei ist gut organisiert und hat keine «Altlasten».

Wie wollen Sie das Image der Schaffhauser Polizei aufpolieren?

Ich weiss nicht, was es aufzupolieren gäbe. Die Rückmeldungen, die wir aus der Bevölkerung erhalten, sind mehrheitlich sehr gut. Jedenfalls ist mir nichts bekannt, was darauf hinweist, dass etwas nicht stimmt. Die Polizei ist eine Anlaufstelle für die Bevölkerung, die Hilfe sucht und bekommt. Wissen Sie, wie oft das Telefon in unserer Einsatz- und Verkehrsleitzentrale pro Jahr läutet? Rund 110 000 Mal. Unsere Aufklärungsquote ist bei Delikten seit Jahren eine der höchsten der Schweiz.

Okay, wie wollen Sie das gute Image ­erhalten und pflegen?

Schon seit Ewigkeiten hängt bei der Ausgangstür, durch die jeder Polizist geht, wenn er zu einem Einsatz fährt, ein Spiegel. Darüber steht: «So sieht mich mein Kunde». Auch ich blicke jedes Mal da rein, es erinnert mich daran, dass wir für die Bevölkerung eine Dienstleistung erbringen.

Nun müssen Sie ja aber keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, sondern für Recht und Ordnung sorgen. Da können Sie nicht immer als netter «Gschpürsch-mi»-Trupp auftreten ...

Natürlich nicht, aber ein dienst­leistungsorientiertes Denken sorgt für die richtige Einstellung. Klar, den einen drängt sich die Polizei auf, die andern aber rufen uns um Hilfe. Vom Bienenschwarm, der Katze auf dem Baum, dem Nachbarn der Lärm macht … bis hin zu schwereren Fällen. Das meine ich mit unserem Spiegel: ­Jeder Polizist muss sich jederzeit bewusst sein, dass er nicht das Gesetz ist, sondern dass sein Handeln stets auf dem Boden des Gesetzes stehen muss.

Welches ist die grösste Bedrohung, der wir hier und heute im Kanton Schaffhausen ausgesetzt sind?

Eine immer grössere Rolle im Alltag spielen sicher Delikte, die mithilfe von elektronischen Mitteln begangen werden. Cybercrime, Extremismus, Sextortion, Stalking, Betrug, Mobbing etc., dieser Bereich nimmt zu. Darauf müssen wir uns als Polizei immer mehr ausrichten. Ich meine ­damit nicht nur ideologisch oder religiös übermotivierte Menschen und Gruppen. Es ist aber eine Tatsache, dass die Leute heute mit anderen Meinungen und in Konfliktsituationen nicht mehr so tolerant umgehen. Es kann eben auch bei uns passieren, dass solche Menschen durchdrehen.

Sie sprechen die Beringer IS-Zelle oder den Kettensägen-Angriff an. Was kann die Polizei dagegen tun?

Genau, wer hätte gedacht, dass es bei uns solche Vorkommnisse gibt! Wir sind vor nichts gefeit. Die Polizei muss gut informiert sein. Dazu gehört ein Bedrohungsmanagement, der Umgang mit potenziellen Gefährdern, eine Extremismusfachstelle, die wir jetzt aufbauen, und auch ein Katalog von Massnahmen, die deeskalierend wirken.

Alles kann die Schaffhauser Polizei aber nicht alleine richten, oder?

Nein, aber wir müssen trotzdem für alles gerüstet sein, denn den Ersteinsatz leisten ja wir, und die Fallverantwortung bleibt stets bei uns. Manche Folgeaufgaben können wir nur im Verbund lösen, etwa ­indem wir ausserkantonale Experten aufbieten, Forensiker und andere Spezialisten. Intern bedeutet es, dass man als zuständige Polizei genug Mitarbeiter hat, die langfristig in einem Bereich Erfahrung ­ansammeln und sofort richtig handeln können. Daher ist eine langfristige Personalplanung so wichtig und dass wir den ­Polizistinnen und Polizisten Entwicklungsmöglichkeiten geben.

Sie sagen es, die klassische Polizeiarbeit ist im Wandel. Was bedeutet das für die Rekrutierung, wer wird heute Polizist?

Immer noch die Gleichen wie früher! (lacht) Niemand wird aus Zufall Polizist. Etwas Berufung ist immer dabei. Gerade vor ein paar Wochen hatten wir Bewerbungsgespräche. Wenn die Tür aufgeht, sieht man oft sofort: Da kommt ein Polizist oder eine Polizistin – oder eben nicht. Viel stärker als früher müssen wir permanente Weiterbildung ermöglichen, damit wir neuen Entwicklungen Rechnung tragen können, vor allem im IT-Bereich.

Kürzlich haben die Schaffhauser Kindergärtnerinnen mehr Lohn erhalten, weil sich das Berufsbild und auch ihre Aus­bildung in den vergangenen Jahren stark verändert haben. Müssen auch ­Polizistinnen und Polizisten mehr Lohn erhalten?

Das müssen Sie die Regierung fragen. Ich setze den Lohn nicht fest, sondern der Kanton.

Aber als Polizist verdient man im Kanton Zürich viel mehr als in Schaffhausen. Wie gross ist die Gefahr, dass man Nachwuchs ausbildet, der dann des Lohnes wegen ­abwandert?

Das Risiko besteht, das ist so, und das passiert auch immer wieder. Das Polizeidiplom ist ja interkantonal durchlässig. Als Kommandant kann ich nur dazu beitragen, dass hier vor Ort gute Arbeitsbedingungen und ein spannendes Arbeitsumfeld mit guten Weiterentwicklungsmöglichkeiten herrschen.

Wie wichtig ist bei der Schaffhauser Polizei die Frauenfrage?

Im Moment müssen wir hier nichts weiter unternehmen. Zurzeit sind bei uns vier Aspiranten in Ausbildung, zwei Frauen und zwei Männer. Wir müssen uns mit einem Frauenanteil von gegen 25 Prozent nicht verstecken und ich gehe davon aus, dass es so weitergehen wird. Schade finde ich, dass sich noch zu wenige Frauen für Kaderpositionen bewerben.

Sie waren zwölf Jahre bei der Kripo. ­Hatten es mit Drogenhändlern, Vergewaltigern, Räubern, Mördern zu tun. Glauben Sie noch an das Gute im Menschen?

Aber sicher. Wir leben ja insgesamt in einem sehr sicheren Kanton. Wir Polizisten haben es letztlich stets mit den Ausnahmezuständen zu tun, das ist unser ­Beruf. Die Gefahr einer gewissen «défor­mation professionelle» besteht auch in ­anderen Berufen, bestimmt auch unter Journalisten. Gefordert sind Objektivität und Professionalität, gleichzeitig braucht es gesunden Menschenverstand und auch Emotionen, um sich in die Lage der Menschen hineinzuversetzen zu können, besonders in die der Opfer.

«Manchmal reicht eine Ermahnung. Man muss nicht immer gleich den Bussenzettel zücken.»

Wann haben Sie selber zuletzt gegen das Gesetz verstossen?

Nächste Frage bitte (lacht) . Also, auch ich bin schon Mal privat geblitzt worden. Wir sind auch nur Menschen, und das muss sogar so sein: Denn nur so können wir auch Augenmass im Umgang mit jenen Menschen walten lassen, mit denen wir es Tag für Tag zu tun haben. Manchmal reicht eine Ermahnung, man muss nicht immer gleich den Bussenzettel zücken. Heikel ist, wenn ein Polizist privat erheblich oder wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Da ist die Toleranz deutlich tiefer, wir ­haben ja auch eine Vorbildfunktion.

Wo stehen Sie politisch?

Meine politische Meinung tut nichts zur Sache. Ich bin nicht unpolitisch, aber ich gehöre keiner Partei an. Aber wenn Sie so fragen, sehe ich mich am ehesten in der bürger­lichen Mitte.

Wann sind Sie zuletzt an Ihre ­Grenzen gestossen?

Schwierig. Vor ein paar Jahren bin ich den Zürich-Marathon gelaufen, da musste ich schon arg beissen.

Und als Kriminalpolizist?

Als Chef bin ich meist ja nicht bei der ersten Welle dabei, die ausrückt. Wenn ein Mensch stirbt, nimmt das einen immer mit. Ganz besonders schwierig ist es, wenn Kinder ­beteiligt sind oder gar geschädigt werden. Diese Fälle vergisst man ein Leben lang nicht.

Wie erholt man sich von der Verbrecherjagd?

In einem intakten privaten Umfeld. Ich bin in Schaffhausen geboren und aufgewachsen und fühle mich hier zu Hause. Meine Familie, gute Freunde und ein weites Netzwerk sind mir ganz wichtig, sie sorgen dafür, dass ich auf dem Boden bleibe. Ich sehe das oft bei Berufskollegen: Wenn es privat nicht läuft, nimmt die Belastbarkeit im Beruf ab. Aber ich denke das ist bei der Polizei nicht anders als in allen anderen ­Berufen auch.

Ist die Wahl zum Polizeikommandanten die Krönung Ihrer Karriere oder ein Schritt für höhere Weihen?

Nein, ich habe keine weiteren Karrierepläne. Von Haus aus bin ich ja Jurist, war dann lange im opera­tiven Polizeigeschäft tätig. Beides kommt sowohl in meiner gegenwärtigen als auch meiner zukünftigen Arbeit auf ideale Weise zusammen.

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