«Die Zünfte haben Zukunft»

Enea Mascherin | 
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Richard Jezler ist neuer Obmann der Schaffhauser Gesellschaften und Zünfte. Bild: Selwyn Hoffmann

Seit Anfang Jahr ist Richard Jezler neuer Obmann der Schaffhauser Gesellschaften und Zünfte. Die Ernennung kam für ihn sehr überraschend.

Einst spielten die Gesellschaften und Zünfte eine zentrale Rolle in unserer Stadt. Auch heute ist Schaffhausen noch untrennbar mit ihnen verbunden. Man merkt dies nicht nur an den Zunfthäusern oder an den Gassen, die ihre Namen tragen. In regelmässigen Abständen organisieren die Schaffhauser Gesellschaften und Zünfte auch verschiedene Anlässe, wie zum Beispiel den «Zunftmunot» oder den «Drei­königsumzug». Die Koordination und zum Teil auch die Organisation dieser Anlässe gehören zu den Aufgaben des Obmanns der Schaffhauser Zünfte.

Als höchster Zünfter hat er auch den Vorsitz im Stiftungsrat der vereinigten Zünfte und Gesellschaften. In diesem Gremium sind alle Zunftmeister der zehn Zünfte und die Obherren der zwei Gesellschaften vertreten. Während die Zünfte auf Handwerkerverbindungen zurückgehen, bestehen die Gesellschaft zun Kaufleuten und die obere Gesellschaft zun Herren aus Nachkommen der Schaffhauser Oberschicht.

16 Jahre lang Zunftmeister

Seit dem 1. Januar dieses Jahres trägt Richard Jezler den Titel des Obmanns. Die silberne Kette des Obmanns um den Hals und das Abzeichen seiner Zunft auf der Brust, ist ihm der Stolz ins Gesicht geschrieben. 16 Jahre lang war Jezler Zunftmeister der Zunft zun Schneidern. 2008 trat er aus dieser Funktion zurück.

«Heute sehe ich die Funktion der Zünfte vor ­allem darin, alte Traditionen zu wahren.»

Richard Jezler Obmann

«Meine Familie ist seit Alters her in der Schneiderzunft», sagt Jezler. Er sei damals über seinen Vater in die Zunft gekommen. In der Zunft zun Schneidern finden sich schon seit etlichen Jahrzehnten keine Vertreter dieses Berufsstandes mehr. Jezler selbst ist Staatsanwalt.

Doch wie wird man überhaupt Obmann? «Der Stiftungsrat der Gesellschaften und Zünfte sucht nach möglichen Kandidaten und trifft dann eine Wahl», erklärt Jezler. Der Wohnort spiele bei der Wahl zum Obmann keine Rolle. «Es ist jedoch nicht möglich, dass der Stiftungsrat bei mir in Rüdlingen zusammenkommt, denn traditionell hat er seinen Sitz in Schaffhausen», so Jezler.

Ernennung kam überraschend

Die Wahl zum Obmann kam für Jezler völlig unerwartet. «Offenbar wollte von den Jüngeren niemand das Amt übernehmen. Also sind die Vertreter des Stiftungsrats auf mich zugekommen», sagt Jezler. Dass er mit bald 70 Jahren noch eine solche Aufgabe übernehmen soll, war nicht geplant. Trotzdem freue er sich auf das ehrenvolle Amt, die neue Verantwortung und die vielfältigen Veranstaltungen. Schon früher, als Zunftmeister der Zunft zun Schneidern, habe er das eine oder andere für die vereinigten Schaffhauser Zünfte und Gesellschaften organisiert. Darum ist ihm etliches in seinem neuen Amt nicht fremd.

Bis anhin musste Jezler als Obmann nur wenige Aufgaben übernehmen. Seine erste Amtshandlung war die Organisation des traditionellen Karlstags. Der Anlass findet jeweils im Januar zu Ehren des ersten Schaffhauser Obmanns, Carl E. Scherrer, statt. Der ehemalige Zunftmeister der Zunft zun Becken hatte sich in den 50er-Jahren stark dafür eingesetzt, dass die Zünfte und Gesellschaften untereinander wieder mehr in Kontakt traten und ­gemeinsame Anlässe organisierten. «Der Karlstag ist eine gesellige Veranstaltung mit Abendessen, an dem alle Schaffhauser Zünfter und Gesellschafter teilnehmen dürfen. «Die Bevölkerung kennt aber wahrscheinlich eher den Dreikönigsumzug, den wir alle drei Jahre durchführen», so Jezler.

Öffnung der Zünfte

Und wo bleiben die Frauen? «Wir haben heute etliche Zunftanlässe, bei denen sich nicht nur Männer treffen», erklärt Jezler. Es gebe auch Veranstaltungen, bei denen Frauen und Kinder mit dabei sind. Allerdings gibt es bislang keine Zunft, in der Frauen als Mitglieder zugelassen sind. Einzig die Gesellschaft zun Herren macht hier eine Ausnahme: Seit etwas mehr als zehn Jahren sind dort Frauen, die den einstmals adeligen Familien entstammen, bei den Versammlungen mit dabei.

«So wie sich die Welt heute entwickelt, kann ich mir gut vorstellen, dass über kurz oder lang Frauen in den Zünften ebenfalls Aufnahme finden werden», meint Jezler. Viele Zünfte haben sich in den vergangenen Jahren geöffnet. Dank einer solchen Öffnung hätten die Zünfte keine Nachwuchsprobleme mehr. Die Geschlechterdurchmischung findet heute bereits bei den Jungzünftern statt. «Die Förderung solcher Anlässe ist mir persönlich ein grosses Anliegen», unterstreicht der Obmann.

Auf die Frage, wozu es die Zünfte heute denn überhaupt noch brauche, antwortet Jezler ohne lange zu überlegen. «Heute sehe ich die Funktion der Zünfte vor allem darin, alte Traditionen zu wahren. Das hat viel mit Identität zu tun – die Stadt Schaffhausen wäre ohne die Gesellschaften und Zünfte nicht da, wo sie heute ist.» Er ist sich sicher: «Die Zünfte haben Zukunft. Nicht zuletzt als Wahrer der Geschichte.»

Unsere Stadtgeschichte ist auch Zunftgeschichte

Wer von der Unterstadt her durch die Vordergasse bis hinauf zum Obertor spaziert, kommt an zehn der zwölf Zunfthäuser vorbei. Hierbei wird klar: Die Schaffhauser Stadtgeschichte ist auch Zunftgeschichte.

Ab 1411 prägten die Gesellschaften und Zünfte rund 400 Jahre lang massgeblich die Politik der Stadt und setzten auch kulturell wichtige Akzente. Bevor jedoch die Handwerker in der Regierung zugelassen wurden, waren die Adelsgeschlechter tonangebend. Für den Adel waren die Handwerker lediglich nützliche Untertanen. Ein Mitspracherecht wurde ihnen nicht gestattet. Einzig religiöse Bruderschaften durften sie bilden. Diese festigten jedoch den Zusammenhalt der Handwerker und stärkten das gemeinsame Verlangen nach Mitbestimmung.

1336 griffen die Handwerker in Zürich nach der politischen Macht. Acht Jahre später wurde auch im nahen Konstanz eine Zunftherrschaft errichtet. Dies bewirkte, dass auch in Schaffhausen die Stellung des Adels langsam schwächer wurde.

Einführung der Zunftverfassung

Nach und nach musste der Adel seine Macht aus den Händen geben: 1367 wurde den Handwerkern die Hälfte der 60 Ratssitze zugesprochen. Der markante Umschwung kam mit den Schlachten von Näfels und Sempach, bei denen der Adel grosse Verluste erlitt und kaum mehr in der Lage war, alle seine Mandate zu besetzen. Im Frühjahr 1411 versuchte eine Delegation der Schaffhauser Handwerker, beim Landsherrn, Herzog Friedrich IV. von Österreich, die Erlaubnis für eine Zunftverfassung einzuholen. Die Delegation machte deutlich, dass Schaffhausen nur durch diese Massnahmen politisch und wirtschaftlich vor dem Niedergang bewahrt werden könne. Schon wenig später, am 1. Juli 1411, wurde in der Stadt die Zunftverfassung eingeführt.

Historische Reihenfolge

Seit 1411 werden die zwölf Gesellschaften und Zünfte in gleicher Reihenfolge genannt. Entscheidend ist hierbei die Lage ihrer Zunfthäuser zum Rhein. An erster Stelle stehen die Fischer, dann folgen die Gerber, Schuhmacher, Schneider, Schmiede, Kaufleute, Rebleute, Becken, Rüden, Herren, Metzger und die Weber. Letztere verlegten 1777 ihr Zunfthaus an die Vordergasse und hofften dadurch auf Rang vier in der Nennung vorzurücken. Man hielt jedoch an der historischen Reihenfolge fest.

So sehr das Zunftsystem die Schaffhauser Politik prägte, so sehr verhinderte sein Bestehen auf alten Traditionen notwendige Anpassungen an den Zeitgeist. Die steifen Zunftgesetze standen dem Aufkommen von Indus­triebetrieben und somit der Schaffung neuer Arbeitsplätze im Weg. Der Einmarsch der Franzosen im Jahr 1798 und das neue Gewerbegesetz von 1855 befreiten Schaffhausen aus dem engen Korsett der Zunftherrschaft. (ema)

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