«Manchmal laufe ich einfach drauflos»

Mark Liebenberg | 
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Der amtierende Ratspräsident Andreas Frei leitet heute Montag seine erste Kantonsratssitzung. Der 55-Jährige ist Inhaber eines Planungsbüros in Stein am Rhein und hat sich vor allem in Baufragen und in der Energiepolitik hervorgetan. Bild: Selwyn Hoffmann

Andreas Frei (SP) hat im Jahr 2019 den Vorsitz im Kantonsrat inne. Wer ist der besonnene, freundliche Bauplaner aus Stein am Rhein, der 2019 offiziell oberster Schaffhauser ist?

Als Andreas Frei im Dezember vom Kantonsrat zum Ratspräsidenten für das Jahr 2019 gewählt wurde und am gleichen Abend in Stein am Rhein ausgiebig gefeiert wurde, sei ihm das zum Teil mehr Pflicht denn Vergnügen gewesen. «Ach, so viel Aufhebens um meine Person, es schmeichelt einem natürlich, aber das liegt mir eigentlich gar nicht so.» In seinem Amtsjahr als höchster Schaffhauser möchte er den Fokus daher auch weniger auf die repräsentativen Aufgaben legen, sondern auf die Ratsarbeit – wenn auch mit leicht anderen Vorsätzen als seine Vorgänger, sagt er. «Jeder Ratspräsident bringt sich anders ein. Ich möchte selbst so wenig wie möglich sprechen, damit die Ratsmitglieder so viel wie möglich diskutieren können. Meine Haltung ist, die Debatten sollen lustvoll, massvoll, aber auch respektvoll geführt werden.»

«An Parteitagen werden manchmal Dinge entschieden, die wenig praktische Relevanz für mich haben.»

Mass und Mitte – das beschreibt den Politiker Andreas Frei recht gut. Als grosser Debattierer und Wortführer ist Frei nicht aufgefallen, seit er im Jahr 2011 in den Rat nachgerutscht ist. Freundlich ist er, sehr konziliant im Umgang, ja fast sanft. In der Sache aber kann er durchaus direkt und hartnäckig sein. Hervorgetan hat sich Frei vor allem auf zwei Gebieten: Baufragen und Raumplanung sowie Energiepolitik. «Ich glaube, am besten kann ich meine Fähigkeiten und mein Naturell dort einbringen, wo man sachorientiert nach Lösungen ringt.» Der Baufachmann mit dem grünen Gewissen – so wirkte er in den meisten parlamentarischen Kommissionen zu Richtplan und Baugesetz der letzten Jahre mit. Sein Herz schlägt aber auch für die Energiewende. «Unsere Generation ist jetzt gefordert, die volle Verantwortung zu übernehmen. Keine einfache Aufgabe, aber eine edle, finde ich.»

Pragmatismus statt Ideologie

Als Nichtakademiker vom Land ist Frei eigentlich eher ein Exot in der SP/Juso-Fraktion des Kantonsparlaments. Wieso hat seine Partei ihn auf die dreijährige Rats­präsidiumslaufbahn geschickt und nicht etwa eine Frau aus der Stadt? «Das hat sich so ergeben, ich habe das anfänglich gar nicht gesucht. Es kommt halt immer darauf an, wer sich zur Verfügung stellt.» Seine Fraktion habe hingegen einen der höchsten Frauenanteile, fügt er an.

«Unsere Generation ist mit der endlichen Ressource Boden masslos umgegangen. Das muss sich ändern.»

Nach 16 Jahren im Steiner Einwohnerrat habe er sich bewusst entschieden, in die kantonale Politik zu gehen, sagt Frei. 2008 kandidierte er erstmals für den Kantonsrat. Nicht nur weil auf Kantonsebene die grossen Fragen, die ihn interessieren, entschieden werden – auch weil er sich in seiner Partei ganz am richtigen Ort fühlt. «Ich denke schon links, soziale Gerechtigkeit, den Schwächeren in der Gesellschaft zu helfen, das bestimmt reflexartig mein Denken.» Prägend sei sicher auch sein Elternhaus gewesen – sein Vater Kurt sass viele Jahre für die Sozialdemokraten im Einwohnerrat und im Stadtrat von Stein am Rhein.

Pragmatismus stehe für ihn aber über Ideologie: Den Kapitalismus abschaffen, wie es im Parteiprogramm der SP Schweiz steht, will Frei nicht. «Ach, wissen Sie, an Parteitagen werden manchmal Dinge entschieden, die letztlich wenig praktische Relevanz für Leute wie mich haben, die vor Ort und an der Basis arbeiten», sagt er mit einem Schmunzeln.

Einsatz für die Energiewende

Links schlägt Freis Herz aber durchaus in der Frage der Raumplanung. Er, der wie sein Bruder Hochbauzeichner lernte und anschliessend noch eine Maurerlehre absolvierte, ist als Inhaber eines Büros für Bauplanung und Bauführung auch mit Fragen der Bodenpolitik befasst, wie er sagt. «Ich unterstütze die aktuell zur Abstimmung stehende Zersiedlungs-Initiative der Jungen Grünen», sagt er. Es werde aber sehr schwer, dem Stimmvolk zu erklären, dass ein grundsätzliches Umdenken stattfinden müsse und es mehr staatliche Lenkung brauche. «Aber wir sind bis anhin den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, auch im Kanton Schaffhausen. Unsere Generation geht mit der endlichen Ressource Boden masslos um. Das muss sich ändern.»

Als seine grösste politische Niederlage bezeichnet er aber wiederum ein Energiethema: Bei der Abstimmung über den kantonalen Energierappen im Jahr 2014 –einer Förderabgabe auf Strom für erneuerbare Energien – hat er in der Kommission mitgearbeitet und sich stark im Abstimmungskampf engagiert. «Das Volksnein tat damals weh», sagt er. «Ich fand das so vernünftig.» Ein wenig mag dies auch seinen Einsatz für die Windenergie im Kanton erklären, Stichwort: Windpark auf dem Chroobach.

Abgesehen von einer Weltreise vor der Hochzeit mit Karin («Wenn man 9 Monate lang 24 Stunden zusammen ist, weiss man, dass man es zusammen kann.»), sind die Freis dem Städtli als Lebensmittelpunkt stets treu geblieben. «Die Nähe und die Überschaubarkeit lehren einen, anständig und fair miteinander umzugehen – unabhängig von der politischen Meinung des Gegenübers.» Sozial engagiert hat sich Frei während vieler Jahre im Kino Schwanen, und er ist nach wie vor bei den Pontonieren aktiv.

Aber so richtig abschalten kann Andreas Frei beim Wandern. Tagelang, mutterseelenallein. Vor vier Jahren wanderte er nach Wien. Einen ganzen Monat lang. «Manchmal laufe ich einfach drauflos und schaue, wo meine Beine mich hintragen», sagt er mit einem Lächeln. Zu Fuss sei der Mensch in der richtigen Geschwindigkeit unterwegs, und man sei allein mit seinen Gedanken», sagt er. Wobei – ganz ruhig ist es dabei nicht. Oft höre er unterwegs Musik. Klassik? Mainstream-Pop? Etwas Meditatives? «Nein, ich brauche schon Härteres. Hardrock, Punkrock und so.»

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