Grenzüberschreitendes Blaulicht: Wann rettet wer?

Ralph Denzel | 
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Darf die deutsche Feuerwehr auch in der Schweiz löschen?

Blaulichtorganisationen kennen keine Grenzen - oder doch? Wir haben uns die rechtliche Grundlage angeschaut - und erklären, welche Organisation was jenseits der Grenze darf.

Wenn man im deutschen Jestetten die 112 wählt, dann erwartet man vor allem eines: Schnelle und effektive Hilfe. Oft jedoch begrüssen einen die Notfallsanitäter dann vor Ort aber nicht mit einem «Guten Tag» sondern mit einem «Grüezi». Auch, als vor einigen Jahren ein Straftäter aus der Psychiatrie in Rheinau floh, patroulierten nicht nur deutsche, sondern auch Schweizer Polizeikräfte in dem kleinen Grenzort – gleichzeitig stand, als in Merishausen eine Sägeanlage brannte, nicht nur Schweizer, sondern auch deutsche Feuerwehrleute am Brandherd.

Immer wieder leisten Blaulichtorganisationen auch jenseits der Grenze Hilfe – das ist jedoch oft sehr streng reglementiert.

Klare Regeln auf beiden Seiten

Rechte und Pflichten von Blaulichtorganisationen gehen schon beim Anlegen ihrer Dienstkleidung los, denn in diesem Moment haben sie die sogenannte «Garantenpflicht». Das bedeutet: Sieht man einen Menschen, der z.B. die Uniform eines Rettungssanitäters trägt, dann kann man von dieser Person auch erwarten, dass sie effektive Hilfe leisten kann – gleichzeitig ist diese es dann auch verpflichtet zu leisten.

Weiter geht es mit den Fahrten unter Blaulicht. Ist das Blaulicht und das Sondersignal eingeschaltet, bedeutet dies, dass andere Verkehrsteilnehmer Platz und Vorfahrt einräumen müssen. Das gilt auch, wenn die Fahrzeuge ein CH-Kennzeichen haben. Wenn jedoch Rettungskräfte aus dem Ausland in Deutschland unterwegs sind, genauso umgekehrt, gelten viele strenge Regeln.

 

Die Polizei hilft auch auf der deutschen Seite. Bild: Ralph Denzel

Eines der «strengsten» Beispiele ist wohl die Polizei. Das liegt auch daran, dass diese andere Befugnisse und Pflichten hat als zum Beispiel der Rettungsdienst. Während dieser, wie die Feuerwehr, primär für die Menschenrettung unterwegs ist, kann die Polizei auch Verhaftungen und Kontrollen durchführen. Doch kann sie das auch auf der deutschen Seite?

Wenn ein Polizeifahrzeug aus Schaffhausen die Grenze überschreiten, um zum Beispiel zu einem Notfall in Buchberg-Rüdlingen zu gelangen, kommt laut Mathias Albicker, Pressesprecher der Polizei Tiengen, das sogenannte «Schweizerisch-deutsches Abkommen über Durchgangsrechte vom 05.02.1958» zum Tragen. Dieses «regelt die Vorschrift, dass gewisse Durchgangsstrecken des anderen Staates benutzt werden dürfen», erklärt Mathias Albicker. In dem Moment, in dem ausländische Beamte aufgrund eines Notfalls oder eines Einsatzes die Grenze mit Blaulicht überschreiten, sind diese «von den Vorschriften der Strassenverkehrsordnung befreit und befugt, Sondersignal zu setzen.» Wichtig ist hierbei: «Hierzu gibt es ein <Verzeichnis der Durchgangsstrecken für Zollpersonal und übrige uniformierte und bewaffnete Beamte öffentlicher Verwaltungen>, das diese Strecken festlegt.» Hinter diesem sperrigen Begriff verbergen sich letztlich die Strecken, die die Einsatzkräfte im Notfall nutzen können – unter anderem die B27 durch Jestetten in Richtung Rafzer-Zoll.

Aber auch eine sogenannte Nacheile ist möglich. Wenn Kollegen Hilfe brauchen und der schnellste Weg über die ausländisches Gebiet führt, können die Beamten diesen Weg nehmen. Dies regelt der «Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit (Deutsch-Schweizer-Polizeivertrag)».

Solche Einsatzfahrten kommen dabei relativ oft vor: «Hier im Landkreis Waldshut ist dies denkbar, beispielsweise wenn sich eine Streife im Bereich Stühlingen befindet und zu einem dringlichen Einsatz nach Jestetten/Lottstetten müsste», so Mathias Albicker. Denn hier wäre der schnellste Weg über Schleitheim.

Auch Amtshilfe ist «vom Grundsatz her möglich» also sprich: Auch deutsche Polizisten können im Zweifel in der Schweiz ihren Kollegen unter die Arme greifen, sofern das nötig ist. «Hier räumt der Deutsch-Schweizer-Polizeivertrag die Möglichkeit ein, Polizeibeamte des anderen Vertragsstaates unter bestimmten Voraussetzungen anzufordern und mit der Wahrnehmung polizeilicher Vollzugsaufgaben einschliesslich hoheitlicher Befugnisse zu betrauen und sie hierzu der Polizeiführung des jeweils anfordernden Landes zu unterstellen.» Mit anderen Worten: Auch in der Schweiz könnte, unter gegebenen Umständen, ein deutscher Polizist Verhaftungen duchführen.

Katarina Canervale, Sprecherin der Polizei Schaffhausen, ergänzt hierbei: «Die Polizeibehörden in den Vertragsstaaten leisten einander im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie zur Bekämpfung von Straftaten Hilfe, sofern ein Ersuchen oder dessen Erledigung nach nationalem Recht nicht den Justizbehörden vorbehalten ist.»

Kleiner Amtshilfen, wie zum Beispiel eine Unfallaufnahme oder ähnliches sind laut Polizeivertrag jedoch nicht vorgesehen: «Es müssten noch weitere Umstände dazu kommen, beispielsweise ein nicht genau bekanntes erhebliches Ausmass oder wenn zum Beispiel ein Beteiligter flüchten will.»

 

Sieht man öfter in Deutschland: den Schweizer Rettungsdienst.

Auch beim Rettungsdienst kann es immer wieder vorkommen, dass Einsätze jenseits der Grenze stattfinden. Im Notfall sind im Grenzgebiet die Einsatzfahrzeuge aus Schaffhausen oft schneller vor Ort. Sollte zum Beispiel der Rettungswagen in Dettighofen, der auch für die nahe Grenze zuständig ist, auf einem anderen Einsatz gebunden sein, wäre der nächste, verfügbare Krankenwagen auf der deutschen Seite entweder der in Bettmaringen oder Lauchringen – im Zweifel kann dann die Fahrt zum Einsatzort weit länger als die geforderten zehn Minuten dauern. Daher kann es auch immer wieder dazu kommen, dass der Rettungsdienst aus Schaffhausen angefordert wird. «Das Aufgebot des Rettungsdienstes der Spitäler Schaffhausen erfolgt durch die Einsatzleitzentrale von Schutz und Rettung am Flughafen Zürich», erklärt Lisa Dätwyler, Mediensprecherin des Kantonsspital Schaffhausen. «Die Aufgebote beinhalten auch einzelne Einsätze in Deutschland.»

Wenn dann der Patient aufgenommen wurde: Wo muss er hingebracht werden? In ein Deutsches, oder ein Schweizer Krankenhaus? «Bei der Wahl des Zielspitals bei Einsätzen in Deutschland sind dabei verschiedene Gründe ausschlaggebend: der Gesundheitszustand des Patienten, der Versicherungsstatus des Patienten oder der Wunsch des Patienten. Das Zielspital liegt in den meisten Fällen in Deutschland», so Dätwyler. «Neben Einsätzen auf deutschem Gebiet kann der Rettungsdienst der Spitäler Schaffhausen bei Patientenverlegungen von Schaffhausen nach Zürich ebenfalls über deutsches Gebiet fahren», ergänzt sie.

«Sofern von der Einsatzleitzentrale Schutz und Rettung der Auftrag für Fahrten mit Sondersignal besteht, gilt dieser Auftrag sowohl auf Schweizer als auch auf deutschem Gebiet.» Auch wenn es dem Patienten plötzlich schlechter geht, können die Rettungsdienstler entsprechend reagieren: «Bei verändertem Gesundheitszustand des Patienten kann der Rettungsdienst bei der Zentrale  auch eine Erlaubnis für eine Fahrt mit Sondersignal verlangen.» Wichtig ist herbei, dass man sich bei der jeweiligen Rettungsdienstzentrale anmeldet, damit die Disponenten wissen, dass ein ausländischer Rettungswagen mit Sondersignal in ihrem Hoheitsgebiet unterwegs ist.

 

Wer kommt, wenn es brennt?

Wenn es brennt, muss es schnell gehen – und dann ist es dem Feuer und den Geschädigten egal, ob die Rettungskräfte aus Deutschland oder aus der Schweiz kommen. Allerdings ist hierbei eine weitere Besonderheit bei diesen Rettungskräften, wie uns Andreas Rickenbach, Dienststellenleiter Kantonale Feuerpolizei, erklärt: «Feuerwehren sind kommunal organisiert, nicht kantonal. Daher haben die Feuerwehren in Bezug auf ihre Einsätze eine gewisse Autonomie.» Was bedeutet das? Die Einsatzkosten fallen letztlich bei der entsprechenden Gemeinde an; diese sind auch für den Unterhalt und die Versicherung ihrer Feuerwehr verantwortlich. Da die Feuerwehren kommunal organisiert sind, obliegt es auch den Gemeinden zuzustimmen, ob und wie Feuerwehren zusammenarbeiten können. «Der Kanton investiert über den Brandschutzfonds jedoch viel Geld in die Ausbildung, das Material und die Fahrzeuge der Feuerwehren», so Andreas Rickenbach. Dieser Brandschutzfonds wird vorab über die Brandschutzabgabe der Gebäudeeigentümer des Kantons Schaffhausen alimentiert. Daher benötigt die Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen auch die Zustimmung des Kantons.

Bedeutet das, dass Hilfeleistung an Bürokratie scheitert? Mitnichten, denn: Für den Katastrophenfall gibt es einen Staatsvertrag mit Deutschland, welcher im Voraus, wie bei den anderen Blaulichtorganisationen, die Hilfe reguliert. Rickenbach ergänzt: «Feuerwehren verstehen sich als eine Hilfsorganisation – und eine Hilfsorganisation hilft, wenn Not am Mann ist – auch wenn etwas jenseits der Grenze passiert. Sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz vertraut man darauf, dass im Notfall jemand kommt», so Andreas Rickenbach – und so geschieht dies dann auch. Ein konkretes Bespiel war zum Beispiel der Brand in Merishausen im Jahr 2017: Als dort ein Sägewerk brannte, kamen auch Feuerwehrleute aus Deutschland, um den Brand zu bekämpfen. «Auch ein deutscher Helikopter war damals im Einsatz», so Andreas Rickenbach. Eine Rechnung hierfür gab es nie, weder für die Gemeinde Merishausen noch für den Kanton Schaffhausen – Es wurde geholfen, unbürokratisch und schnell.

«Hilfe bei Bränden ist eine althergebrachte Sitte und wird kaum hinterfragt», so Andreas Rickenbach. «Zudem gibt es auch einige Verträge, so beispielsweise zwischen Büsingen und Dörflingen. Im Ereignisfall, also beispielsweise bei einem Brand in Büsingen, wird auch die Feuerwehr Dörflingen alarmiert – und umgekehrt», erklärt Andreas Rickenbach.

Unkompliziert und unbürokratisch. Und im Katatstrophenfall, wenn massive Kosten anfallen, kommt dann der Staatsvertrag zum Tragen.

 

 

Wie läuft der Grenzübertritt unter Blaulicht?

Egal ob von Deutschland in die Schweiz oder umgekehrt: Auch die Rettungskräfte müssen über die Grenze – und dort hat der Zoll das Sagen. Wenn nun ein Einsatzfahrzeug mit Sondersignal in Richtung Zoll unterwegs ist, ist es «in der Regel» durch «die jeweiligen Rettungsleitstellen, sowie Polizei und Grenzwacht» angemeldet, so Mark Eferl, Pressesprecher des Hauptzollamts Singen.

«In besonderen Notfällen oder bei unbesetzten Grenzübergängen kommt es aber auch vor, dass Fahrzeuge ohne vorherige Anmeldung die Grenze passieren.» Dies kann zum Beispiel sein, wenn sich eben der Zustand eines Patienten im Rettungsdienst massiv verschlechtert oder für eine Anmeldung keine Zeit mehr ist. So kommt es auch am häufigsten vor, dass zum Beispiel Rettungswägen oder Polizeiwägen «überwiegend bei grenzüberschreitenden Rettungsfahrten und im Rahmen der grenzüberschreitenden Nacheile» mit Signal die Grenze überschreiten.

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