Eine Ente mit Verbindungen zum Geheimdienst

Zeno Geisseler | 
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Schellenten in Stein am Rhein am 14. Januar 2018. Die Männchen haben dunkle Köpfe mit einem weissen Fleck und einen schwarz-weissen Körper, die Weibchen einen braunen Kopf und einen grauen Körper. Bild: Stephan Trösch

Über 400 Vogelarten sind in der Schweiz nachgewiesen. In einer neuen Serie stellen wir jeden Monat einen Vogel vor, der für unsere Region bedeutend ist.

007-Autor Ian Fleming war ein Freund ornithologischer Anspielungen. Auf den Namen seines berühmten Geheimagenten stiess er bei der Lektüre eines Buchs über die «Birds of the West Indies», geschrieben von einem realen James Bond. Flemings Haus auf Jamaika wiederum hiess «Golden­eye». So hatte Fleming im Zweiten Weltkrieg einen Plan für den Fall der Besetzung Spaniens durch die Nazis genannt. Später hiess ein Bond-Film so. Tina Turner sang damals den Titelsong.

«Goldeneye» ist nichts anderes als ein Vogelname, denn so heisst die Schellente auf Englisch. Dieser Vogel mit den auffällig goldgelben Augen macht den Anfang einer neuen SN-Serie: In den kommenden zwölf Monaten wollen wir ein Dutzend Arten vorstellen, die für unsere Region auf die eine oder andere Weise bedeutend sind.

Die Schellente ist eigentlich ein nordischer Vogel. Sie brütet im Baltikum und in Skandinavien, und zwar, ungewöhnlich für Enten, in Baumhöhlen und auch in Nistkästen. Im Winter wird es ihr im Norden zu kalt, und sie fliegt in wärmere Gefilde. Der Bodensee ist dabei ein wichtiges Ziel. «Für die Schellente ist der Bodensee eine riesige Datingplattform», erzählt Ornithologe Urs Weibel. Er ist Kurator Natur des Schaffhauser Museums zu Allerheiligen und auch zuständig für das Stemmler-Museum. «Die Enten balzen hier, und Paare kommen zusammen.» Im November kommen die ersten Tiere an, und sie bleiben bis etwa Februar. Die Schellente ist tagaktiv. «Andere Enten fressen Muscheln, die können sie auch nachts ertasten. Die Schellente aber ist auf Tageslicht angewiesen. Sie frisst Larven der Rheinmücken, zum Beispiel Köcherfliegen. Diese sind so klein, dass die Ente sie sehen muss, damit sie sie mit ihrem Pinzettenschnabel vom Gewässergrund picken kann», sagt Weibel.

Wer die Schellente beobachten will, muss Geduld mitbringen. Denn tagsüber taucht sie intensiv und verbringt etwa zwei Drittel der Zeit unter Wasser. «Da steht man vor einem Streifen Wasser, und dann, plopp!, plopp!, plopp!, taucht plötzlich eine nach der anderen auf», erzählt Weibel. Rund 2500 Schellenten wurden bei der Bodensee-Wasservogelzählung Mitte Dezember verzeichnet, davon etwa 500 am Untersee. Die Zahlen können von Jahr zu Jahr schwanken, doch seit Ende der 1990er-Jahre gehen sie stetig zurück. «Die Schellente reagiert stark auf ihr Umfeld. Sind die Winter im Norden mild, hat sie keinen Grund, so weit nach Süden zu fliegen.»

Weniger Insekten

Auch im Bodenseegebiet selbst hat es Veränderungen gegeben. Früher wurden etwa 30 Prozent der Schellenten am Untersee bei Stein am Rhein gesichtet, heute mitunter weniger als 10 Prozent. Warum das so ist, weiss niemand genau. Vielleicht sind es Störungen durch Menschen, durch Paddler oder durch Spaziergänger mit Hunden. «Vielleicht hat es auch mit der Nahrung zu tun. Früher gab es viel mehr Insekten», sagt Weibel. Warum, das ist ebenfalls nicht klar. Wegen der Pestizide? Oder invasiven Arten? Sicher ist: In komplexen Ökosystemen wie dem Rhein oder dem Bodensee können kleine Ursachen grosse Folgen haben. Die Schellente ist also mehr als nur ein hübscher Wintergast. Sie ist ein Indikator für Veränderungen der Umwelt.

Ihren deutschen Namen trägt die Schellente übrigens nicht wegen ihres Aussehens, sondern wegen eines Geräusches: Im Flug klingt sie pfeifend und klingelnd – wie Schellen eben.

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