Der lange Weg zur wählerstärksten Partei

Dario Muffler | 
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Vor 100 Jahren wurde sie als Bauernpartei gegründet, ging Listenverbindungen mit den Linken ein. Heute ist sie die mit Abstand ­wählerstärkste Partei im Kanton Schaffhausen: Die SVP.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ist bekannt für markige Worte. Schon Christian Bächtold, einer der Gründerväter der Schaffhauser Kantonalpartei, wusste zu provozieren. «Die Berner haben eine eigene Bauernpartei gründen können. Warum sollen wir Schaffhauser nicht auch dazu fähig sein?», fragte er im April 1918 an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung des Kantonalen Landwirtschaftlichen Vereins Schaffhausen (KLV). Bächtold appellierte an die Delegierten, man möge die Fraktion der Bauern, die sich im Kantonsrat gebildet habe, zu einer Partei erweitern. Dagegen gab es Opposition: So wehrte sich zu Beginn der Vorstand des KLV dagegen, lenkte dann aber ein. Dass es überhaupt zur politischen Selbständigkeit der Bauern kam, liegt daran, dass sie sich seit einiger Zeit von der FDP, die stärker von landwirtschaftsfeindlichen Städtern geprägt war, nicht mehr vertreten fühlten.

Am 1. September 1918 hätte dann der Gründungsakt stattfinden sollen. Die spanische Grippe machte diesem Vorhaben aber einen Strich durch die Rechnung: Der Regierungsrat hatte ein Versammlungsverbot erlassen. Die Gründungsversammlung musste auf den 19. Dezember verschoben werden. Auf Anhieb hatte die Partei über 2000 Mitglieder und war die grösste Fraktion im Kantonsrat. Grund dafür: Alle Mitglieder des Landwirtschaftlichen Verbands wurden automatisch auch Mitglieder der neu gegründeten Bauernpartei (BP). Die heutige SVP in Schaffhausen war geboren, und die Kantonalpartei erst die zweite im Land.

Zwischen links und liberal

Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt aber, dass sich die Partei politisch an einem anderen Ort befunden hat als heute. Die BP verstand sich als Vermittlerin zwischen Freisinn und Sozialdemokratie. So seien BP-Vertreter ein wirtschaftliches Gegengewicht zu den Sozialdemokraten und zeitgleich weniger bürgerlich als die Freidemokraten. Ja sogar ein Zusammengehen mit der SP wurde damals gefordert. Die BP werde eine «den Staat ausbauende Politik betreiben und sich den sozialen Forderungen der Zeit nicht verschliessen», liest man im Jahresbericht des KLV.

In den 1930er-Jahren verstärkte sich die Zusammenarbeit zwischen der BP und der Sozialistischen Arbeiterpartei, der heutigen SP. So lehnte die Schaffhauser BP 1937 auch den Beitritt zur konservativen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) ab. Bis 1943 schwankte die Bauernpartei zwischen Schulterschlüssen mit links und mit rechts. Im Juli 1943 trat die Schaffhauser BP der BGB dennoch bei. Sie nannte sich aber noch immer BP. Es war der Beginn ruhigerer Jahre, nachdem die Partei zuvor einige Male einer Zerreissprobe hatte standhalten müssen: So bewegten sich die Bedürfnisse der Bauern im Reiat und auf dem Randen sowie jene der Weinbauern in der Ebene des Klettgaus in unterschiedliche Richtungen.

Bis zur Einführung des Proporzes 1956 stellte die Partei die grösste Fraktion im Kantonsrat. Dass die Änderung der Wahlkreise negative Auswirkungen auf die Sitzzahl haben dürfte, war den Parteistrategen klar. Im Zuge der Wahlvorbereitungen versuchte man sich neu aufzustellen, nannte sich nun auch wie die nationale Mutterpartei Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei. Es half alles nichts: 8 von 26 Sitzen gingen verloren. Von diesem Zeitpunkt an waren im Parlament sowohl die FDP als auch die SP stärker vertreten.

Konrad Graf – der Tausendsassa

1960 begann Konrad Graf die Partei als Präsident zu prägen. Zuerst war er Kantonalpräsident. 1963 übernahm er das Amt des Ständerats. Bekannt war Graf unter anderem für seine Trinkfreudigkeit. Diese wurde ihm 1971 beinahe auch zum Verhängnis. Die Delegiertenversammlung beschloss nämlich, Graf bei den bevorstehenden Wahlen nicht mehr als Ständerat zu portieren. An diesem Märzabend kam es an der Versammlung so weit, dass er sein Amt als Parteipräsident auf der Stelle niederlegte und ankündigte, nötigenfalls aus­serhalb der BGB erneut als Ständerat zu kandidieren. Andere Parteimitglieder solidarisierten sich mit ihm und gaben ebenfalls ihren Rücktritt bekannt.

Die Presse für die Partei war vernichtend: Die Bevölkerung solidarisierte sich mit Graf. Es kam schliesslich zur Versöhnung zwischen ihm und der BGB. «Ein Tausendsassa war Graf», sagt Stadtarchivar Peter Scheck, selbst Mitglied der SVP. Als Original, das man unter den älteren Semestern heute noch kenne, bezeichnet er Graf, der noch bis 1979 Ständerat war. «Ein Bundesrat hat mir einmal gesagt, dass Graf mit zwei Promille Alkohol noch immer gescheiter gesprochen habe als die meisten Parlamentarier nüchtern», so Scheck.

Nochmals ein Namenswechsel

Am 23. November 1972 wechselte die BGB Schaffhausen erneut ihre Bezeichnung. Im September hatten sich die Schweizerische BGB mit den Bündner und den Glarner Demokraten zur Schweizerischen Volkspartei (SVP) zusammengeschlossen. Auch im Kanton Schaffhausen habe sich die BGB durch Zuzug aus allen Bevölkerungsteilen zur breit gestreuten Volkspartei entwickelt, liest man in den SN von damals. Die BGB nannte sich nun auch in Schaffhausen SVP.

In dieses Jahr fielen auch die erstmaligen Kandidaturen von Frauen für ein politisches Amt. So figurierten auf der SVP-Liste für die Kantonsratswahlen vom Herbst 1972 mehrere Frauen. In den Gros­sen Rat gewählt wurden insgesamt nur zwei – keine von ihnen war SVP-Mitglied.

Die heutigen Konturen entstehen

In den Jahren nach der Umbenennung der BGB in SVP setzt auch ein inhaltlicher Wandel in der Partei ein. Von der Vermittlerrolle in der Mitte der politischen Landschaft war etwa im Wahljahr 1996 nichts mehr zu sehen. So liest man in einer Wahlbroschüre der SVP aus diesem Jahr: «Der Eigeninitiative ist mehr Freiraum zu geben» oder «Wir brauchen eine gewerbefreundliche Politik und keinen aufgeblähten Staatsapparat». Wie man in der «Schaffhauser Kantonsgeschichte» lesen kann, verlangte die SVP, dass Sozialhilfegelder nicht nach dem Giesskannenprinzip verteilt würden.

Diese prägnanteren Forderungen waren unter anderem auch auf die Führung der nationalen SVP durch die Zürcher Kantonalpartei zurückzuführen. Der Präsident damals war Christoph Blocher. Als Startschuss des Aufstiegs gilt die Abstimmung über den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Als prägende Figur führte Blocher 1992 den Widerstand gegen den Beitritt an.

«Arbeit muss sich lohnen, war die Devise.»

Peter Scheck, Stadtarchivar

Auch auf Schaffhausen hatte der in Laufen geborene Blocher Einfluss. Wie Stadtarchivar Scheck sagt, habe es damals grosse Sympathien für den Kurs von Blocher gegeben, insbesondere aus der Stadt Schaffhausen. Die Partei freute sich damals auch über einige Neumitglieder. Auch die Schaffhauser SVP fasste die Nein-Parole für die EWR-Abstimmung; wobei das Resultat deutlich ausfiel, doch gerade politische Exponenten wie der Kantonsrat und spätere Parteipräsiden Charles Gysel sowie der SVP-Ständerat Bernhard Seiler sprachen sich für einen Beitritt aus.

Auch wenn die Schaffhauser SVP hier auf der «Zürcher Linie» gewesen sei, habe man nicht dieselbe Politik verfolgt, sagt Scheck. «Die Schaffhauser SVP hatte ihre eigenen Werte. Mit dem Wirtschaftsflügel hatten die Schaffhauser nicht allzu viel am Hut.» Grund dafür sei die starke Vertretung des ländlichen Raumes in der kantonalen SVP gewesen. Zudem hatten die … … Landwirte nach wie vor Gewicht. Diese Konstellation führte immer mal wieder zu Meinungsunterschieden innerhalb der Partei. Auf dem Land vertraten die SVP-Vertreter eine etwas gemässigtere Linie als die Städter, die sich im Stil an die Zürcher SVP anlehnten.

Neue Themen geben Schwung

Die Wähleranteile der SVP stiegen in den darauffolgenden Jahren in der Stadt und im Kanton. Aus den Gesamt­erneuerungswahlen 2000 ging die Partei als grosse Siegerin hervor: Erstmals seit 1956 stellte sie im Kantonsrat wieder die grösste Fraktion. Zwischen 1995 und 2003 betrug der Stimmenzuwachs rund 8,1 Prozent.

Ein Grund für diesen Wiederaufstieg findet man in den neuen Herausforderungen, die sich dem Kanton Schaffhausen seit den 1990er-Jahren stellten: Die Wirtschaft litt unter der Globalisierung. Die hiesige Bevölkerung beschäftigte der Spagat zwischen internationaler Öffnung und Abgrenzung. Ein Thema, das die SVP damals richtig zu bewirtschaften begann. «Arbeit muss sich lohnen, war die Devise», sagt Scheck.

Auf Regierungsebene schaffte die SVP ihren Durchbruch dann 2004, als sie einen zweiten Regierungsratssitz gewann. Rosmarie Widmer Gysel, die zuvor Präsidentin der Kantonalpartei gewesen war, zog, zeitgleich mit SP-Frau Ursula Hafner-Wipf, zudem als erste Frau in den Regierungsrat ein. Bereits im Jahr 2000 war Erhard Meister in den Regierungsrat gewählt worden, ohne dass er je Kantonsrat gewesen wäre. Führungserfahrung hatte er aber allemal, war er zuvor doch 14 Jahre lang Gemeindepräsident von Merishausen. Er machte sich bis zu seinem Rücktritt 2010 einen Namen als innovativer Regierungsrat. So gleiste er eine Strukturreform des Kantons auf, die vorsah, Schaffhausen in sieben gleich starke Gemeinden aufzuteilen. Das Vorhaben scheiterte.

Differenzen innerhalb der Partei

Meister und Widmer Gysel wurden zwar beide mit grossem Dank verabschiedet, er 2010 und sie erst in diesem Frühjahr. In ihren Amtszeiten kam es aber auch zu Brüchen zwischen den Regierenden und der Parteibasis. So stand Widmer Gysel in den letzten Jahren wiederholt im Kreuzfeuer der eigenen Partei. 2009 betonte der damalige SVP-Parteipräsident Werner Bolli aber, dass die Ablehnung einer regierungsrätlichen Vorlage nicht als mangelnde Solidarität gewertet werden dürfe.

Uneinigkeiten unter Parteiexpo­nenten gab es auch im vergangenen Jahr: Pentti Aellig, 2014 bis Mitte Jahr Parteipräsident, griff in der ­Abstimmung um die Fusion des städtischen und des regionalen Busbetriebs den Finanzreferenten der Stadt, den Parteikollegen Daniel Preisig, an. «Alles kein Problem und rein sachpolitische Diskussionen», sagte der neue Parteipräsident und Grossstadtrat Walter Hotz erst kürzlich in einem Interview.Die Devise ist klar: Die Partei will im kommenden Wahljahr geschlossen auftreten. Der Ausbau des Wähleranteils unter Aellig soll weitergehen. Die Grundlagen hat die SVP: Mit Hannes Germann sitzt kein Hardliner im Ständerat. Und der Sitz von Nationalrat Thomas Hurter wackelt ebenfalls nicht. Ihm trauen manche Parteikollegen noch eine steile Politkarriere zu: Ob er der erste Schaffhauser Bundesrat wird?

 

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