Tödliche Kollision wegen Überholmanöver

Maria Gerhard | 
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Das Kantonsgericht Schaffhausen hat entschieden: Der Angeklagte wurde wegen fahrlässiger Tötung und schwerer Körperverletzung schuldig gesprochen. Archivbild: Selwyn Hoffmann

Das Kantonsgericht hat einen 65-Jährigen schuldig gesprochen. Er soll 2014 in Bargen einen Autounfall verursacht haben, bei dem eine Frau starb. Der Mann stritt die Vorwürfe ab.

Wer hat den Unfall nun verursacht? Einem kniffligen Rätsel glich die gestrige Verhandlung am Kantonsgericht Schaffhausen, bei der einem 65-Jährigen aus dem Raum Winterthur fahrlässige Tötung sowie fahrlässige schwere Körperverletzung zur Last gelegt wurde. Laut Staatsanwaltschaft wird er beschuldigt, vor viereinhalb Jahren einen Autounfall verursacht zu haben, bei dem eine Beteiligte an der Unfallstelle verstarb und ein anderer Autolenker schwer verletzt wurde. Obwohl der 65-Jährige alle Vorwürfe wiederholt von sich wies und sein Verteidiger auf Freispruch plädierte, wurde der Mann vom Kantonsgericht umfänglich schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 140 Franken verurteilt.

Die Umstände waren mehr als tragisch. Die Staatsanwaltschaft schildert diese wie folgt: Anfang Juli 2014 lenkte der Beschuldigte seinen VW, an den ein Wohnanhänger gekoppelt war, auf der A4 in Bargen in Richtung Zollamt Bargen. Er wollte seinem Hobby nachgehen, dem Modelsegel­fliegen. Er schloss mit einer Geschwindigkeit von rund 80 Kilometern in der Stunde auf den vor ihm fahrenden Mercedes auf. Dieser war mit etwa 55 Kilometern in der Stunde unterwegs. Der Beschuldigte setzte daraufhin – in einer Entfernung von etwa 60 Metern – zu einem Überholmanöver an. Während er also auf die Gegenfahrbahn wechselte, beschleunigte das vor ihm fahrende Fahrzeug auf etwa 75 Kilometer pro Stunde. Trotz dem nur noch geringen Geschwindigkeitsunterschied setzte der Beschuldigte sein Manöver bis auf Höhe des Hecks des vor ihm fahrenden Fahrzeugs fort. In diesem Moment wurde er gewahr, dass ihm ein Personenwagen, ein Dacia, entgegenkam. Zu spät lenkte er sein Fahrzeug mit dem Anhänger wieder auf seine Fahrbahn. Die Fahrzeuge kollidierten frontal in der Mitte der Fahrbahn mit einer jeweiligen Geschwindigkeit von 75 bis 80 Kilometer in der Stunde.

Verletzungen am Brustkorb

Der Lenker des entgegenkommenden Dacia hatte – wohl aus Schreck oder Unsicherheit – nach links gezogen. Für dessen Beifahrerin kam anschliessend jede Hilfe zu spät: Sie verstarb noch am Unfallort an einem sogenannten Thoraxtrauma. Dabei handelt es sich um Verletzungen am Brustkorb sowie an dessen Organen. Der Fahrer hingegen wurde schwer verletzt, unter anderem an der Wirbelsäule. In der Folge war er etwa zwei Jahre arbeitsunfähig.

Der Fahrer des Mercedes war in den Unfall direkt nicht involviert. Da er sich auf sein eigenes Lenkmanöver konzentrieren musste, so der Staatsanwalt, habe er diesen im Rückspiegel auch nicht beobachten können.

«Er hat ausgesagt, dass Ihr Fahrverhalten absolut daneben gewesen sei.»

Markus Kübler, Kantonsgerichtspräsident

Kantonsgerichtspräsident Markus Kübler wollte zunächst von dem 65-Jährigen wissen, wie er den Unfall verarbeitet habe. Anscheinend hat dieser den einstigen Lehrer sehr mitgenommen: Seit zwei Jahren ist er frühpensioniert. «Ausserdem war ich im Anschluss daran sechs Wochen in einer psychiatrischen Klinik», sagte er. Bis heute könne er den Vorfall nicht begreifen.

Ob er Kontakt mit den Angehörigen der Verstorbenen und dem verletzten Autofahrer aufgenommen habe? «Ich habe den Angehörigen einen Brief geschrieben und wollte an der Beerdigung teilnehmen, die Familie hat das aber abgelehnt», sagte er. Dem Lenker habe er eine Karte ins Spital geschickt mit der Bitte, doch Kontakt aufzunehmen. «Das hat er aber nie getan.»

Kratzspuren auf der Fahrbahn

Als die Sprache schliesslich auf die Anklageschrift kam, erklärte der Mann: «Ich war erschrocken, als ich gelesen habe, was mir vorgeworfen wird. Die Situation war eine ganz andere.» Er sei sehr früh auf die Gegenfahrbahn eingeschert. Als der Mercedes vor ihm zeitgleich schneller geworden sei, habe er das Manöver jedoch wieder abbrechen wollen. Ein Blick in den Rückspiegel habe ihm versichert, dass niemand hinter ihm gefahren sei. «Als ich wieder nach vorn schaute, sah ich das entgegenkommende Auto», sagte er, «und bin voll auf die Bremse getreten.» Er habe seinen VW hinter dem Mercedes wieder einordnen können und sei rüber auf den Pannenstreifen gezogen. Der Dacia habe dann auf seine Spur eingelenkt. Die Kollision sei damit nicht, wie die Gutachten angeben, auf der Mitte der Fahrbahn, sondern nahe dem Pannenstreifen erfolgt. Markus Kübler gab sich damit jedoch nicht zufrieden und konfrontierte den Mann unter anderem mit der Aussage des Fahrers des Mercedes, den er überholen wollte. «Er hat ausgesagt, dass Ihr Fahrverhalten absolut daneben gewesen sei», sagte Kübler, «und dass er mit einer Kollision gerechnet habe.»

Auch die fürs Verfahren erstellten Gutachten belasteten den Rentner stark. Ein Gutachter des Forensischen Instituts Zürich war zugegen. Es sei eine sehr heftige Kollision gewesen. «Treffen dabei die Autos aufeinander, wird ihre Front jeweils nach unten auf die Fahrbahn gedrückt», erklärte er. Dabei würden zwingend Kratzspuren auf dem Asphalt verursacht. In diesem Fall seien die Schlagmarken auf der Mitte der Fahrbahn gewesen, was die Version der Staatsanwaltschaft stützt. Erhärtend waren unter anderem auch die Endlage der Fahrzeuge sowie die Schäden an den Fahrzeugen selbst.

«Die Schadensbilder weisen auf eine Frontalkollision hin», sagte Kübler bei der Urteilsverkündung und fügte hinzu: «Der Angeklagte hat an der Grenze der groben Fahrlässigkeit gehandelt.»

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