Angst vor der Atombombe und den Sowjets: Die Region im kalten Krieg

Ralph Denzel | 
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In der Region wurde die Bedrohung eines Atomkrieges sehr ernst genommen. Bild: Wikimedia

Was, wenn die Sowjetunion einmarschiert? Wenn eine Atombombe fällt? Diese Angst war im kalten Krieg in der Region sehr verbreitet. Und nicht unbegründet, wie man heute weiss.

Kaum ist der eine Krieg vorbei, geht der nächste los. Als Nazi-Deutschland besiegt ist, bilden sich zwischen den beiden Grossmächten Amerika und der Sowjetunion immer wieder Spannungen – und münden im Kalten Krieg.

Von diesem bleibt auch die Region nicht verschont. Die Menschen haben Angst. Vor einem Atomkrieg zwischen den beiden Supermächten Amerika und der Sowjetunion – aber auch davor, dass die Sowjets eines Tages einfach vor der Haustüre stehen und die neutrale Schweiz besetzen. Unterlagen aus dem Archiv des KGB zeigen dabei: Diese Angst war nicht ganz unbegründet.

Die Frage, wie man sich schützen kann, nimmt dabei auch in der Region wilde Züge an. Von Bespitzelung bis zum grossflächigen Bau von Verteidigungsanlagen wird alles angeschoben, was die Region schützen kann – und sogar die Atombombe wird von Politikern aus der Region gefordert.

Aus Angst bespitzelt

Die Schweiz ist ein kleines Land – und will vor allem den Schweizer Geist und die Kultur schützen. Wie soll das aber gehen, wenn die Schweiz in Schutt und Asche liegt? Oder wenn plötzlich Sowjet-Soldaten vor der Tür stehen? Für all diese Eventualitäten wird versucht eine Antwort zu finden. Auch in der Region.

Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei Geheimgruppe P-26. Diese Geheimorganisation umfasst 320 Mitglieder und wird mit Wissen des Bundesrats nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Dahinter verstecken sich Männer und Frauen, die im Falle einer Invasion den Schweizer Widerstand organisieren müssen. Bis zum Jahr 2009 unterlagen die ehemaligen Mitglieder dieser Organisation der Schweigepflicht. Auch eine Frau aus Schaffhausen ist Mitglied dieser Organisation. Susanne Günter aus Schaffhausen wird im Jahr 1990 im Rahmen des Fichenskandals enttarnt. So gehört sie während des Kalten Kriegs unter dem Tarnnamen «Veronika» zur P-26. 

Susanne Günter, ein ehemaliges Mitglied der Geheimorganisation P-26 aus Schaffhausen. Bild: SHN-Archiv

«In jener Zeit vor 1989, also vor dem Mauerfall, gab es eine konkrete Bedrohung der Schweiz. Die Sowjetunion stellte ihre sehr detaillierten Angriffsplanungen gegen die Schweiz erst im Sommer 1988 ein», so Susanne Günter im Gespräch mit der SN vom 18.12.2009. Sie ist damals Mitglied aus Überzeugung: «Daher sagte ich zu, als ich angefragt wurde, in der Überzeugung, man müsse für die Verteidigung der Schweiz etwas unternehmen.»

Die Angst vor der Sowjetunion ist dabei nicht unbegründet: So entdecken Forscher beim Durchforsten des KGB-Archivs Pläne, wonach die Schweiz als Korridor genutzt werden kann. Auch das Szenario einer Besetzung wird von der Sowjetischen Admiralität durchgespielt und durchgeplant. Auf die Region legt man dabei ein besonderes Augenmerk: Die Grenzen sollten dann besonders überwacht werden um zu verhindern, dass im Zweifel Feinde sich in die Schweiz absetzen. In Militärarchiven lassen sich sogar Bilder von Brücken aus der Region finden, zusammen mit Ausführungen, wie viel Gewicht diese aushalten. So findet sich in den Archiven auch eine Karte, bei der die Brücke in Rüdlingen mit dem Vermerk: «Stahlbeton, 30 Tonnen Tragkraft.»

Eine Karte aus den Archiven des KGB, mit Vermerken über die Brücke bei Rüdlingen. Bild: Wikimedia

Die Schweiz ist damals überzeugt: Die Sowjets können jederzeit einfallen. Das führt auch dazu, dass alles, was auch nur im Entferntesten kommunistisch anmutet, geächtet und unter Generalverdacht gestellt wird. So kommt es auch, dass knapp 3500 im Kanton Schaffhausen wohnhafte und eingetragene Personen vom Informationsdienst der Kantonspolizei registriert wurden. Jeder kann damals verdächtig sein. Es reicht, ein Atomkraftgegener zu sein, oder auch schon die Vorliebe für Bier. «Trinkt gerne Bier» reicht der Kantonspolizei damals, um einen Bürger potentiell verdächtig zu finden.

Schutz durch Atombomben

Das Prinzip des Kalten Krieges besteht auch aus Abschreckung. Wenn dein Gegner sich vor deiner Reaktion fürchten muss, wird er auch nicht angreifen. Dieses Prinzip greift auch die Schweiz auf und will ebenfalls in den Kreis der Atommächte aufschliessen.

Diese Idee ist dabei weit verbreitet, auch beim eher linken Lager. So sagt Walter Bringolf, langjähriger Stadtpräsident von Schaffhausen und Nationalrat, bei einer Sitzung 1965: «Solange aber die erwähnten Waffen (Atombomben – Anm. d. Red.) vorhanden sind und auch gegen uns eingesetzt werden können, sind wir verpflichtet, die Vor- und Nachteile einer eigenen Nuklearbewaffnung mit allen ihren Auswirkungen zu prüfen.»

Die Auswirkungen sind dabei katastrophal – und das wissen auch die Menschen in der Region. Wie verheerend so einer ausfallen könnte, zeigt die Simulation eines Wissenschaftlers, die Sie hier nachspielen können.

 

NUKEMAP by Alex Wellerstein

NUKEMAP is a Google Maps mash-up that calculates the effects of the detonation of a nuclear bomb.

Ganz ohne Simulation kommt auch Walter Bringolf bei einer Ratssitzung im Jahr 1965 zu dem Schluss, dass «eine starke Atombombenexplosion über Stuttgart» bei schlechten atmosphärischen Bedingungen schon ausreiche, «um uns zu gefährden.» Weiter sagt er damals: «Für diese Fälle, wo wir das Opfer des nuklearen «Abfalls» werden könnten, müssen wir uns schützen.»

Bringolf ist dabei nicht der einzige, der eher mit einer Mischung aus Pessimismus und Vorsicht in die Zukunft blickt. Bei einem Vortrag in Schleitheim spricht damals Oberstkorpskommandant Ernst Uhlmann. Der Bericht der SN über dieses Ereignis liest sich dabei recht düster. So kommt die Zeitung damals zu dem Schluss, dass die «zahlreichen Brandherde in der Welt» zeigen, «dass Optimismus fehl am Platze ist».

Das ist schon im Jahr 1956 bekannt. Da erklärt der Zivilschutz in Neuhausen die Auswirkungen von Atombomben – und warum man sich schützen muss. So sind «leichte Bauten […]der totalen Zerstörung ausgesetzt. Backsteinbauten sind, wenn nicht von gewisser Mauerstärke, ebenfalls sehr gefährdet, während Betonbauten mit 60 Zentimeter dicken Mauern standzuhalten vermögen.» Das trifft in der Region allerdings nur auf Bunkeranlagen zu. Daher müsse man «in ständiger Bereitschaft sein, das heisst dauernd im Alarmzustand leben.» Trotzdem ist man auch damals so realistisch: «Mit den besten Luftschutzmassnahmen können wir nicht alle Verluste vermeiden, aber wir können sie reduzieren. Fünf Prozent sind zu ertragen, 50 Prozent aber nicht mehr.»

Mangelhafte Bunkeranlagen

Dieses Schema ist damals typisch für die Zeit und den Versuch, die Schweizer auf die, wie Historiker es später nennen sollen, «totale Landesverteidigung» einzuschwören. Man macht den Leuten Angst vor dem, was kommen kann – präsentiert ihnen aber gleichzeitig eine Lösungsmöglichkeit: Bunkeranlagen.

Dabei gibt es allerdings ein grosses Problem: Die Anlangen in der Stadt sind alles andere als ausreichend. So stellt ein Experte in den siebziger Jahren fest: «Wir haben in der Stadt Schaffhausen ein Schutzplatzmanko.» Die SN berichtet damals, dass «seit 1968 etwa 1000 Wohnungen und etwa 5000 belüftete Schutzplätze erstellt worden» sind – was gleichzeitig bedeutet, dass noch «16‘000 Schutzplätze» für die Zivilbevölkerung fehlen. Man darf nicht vergessen: Auch damals ist die Gefahr eines Atomkrieges, auch wenn es auf internationaler Bühne zu ein bisschen Entspannung kommt, noch allgegenwärtig.

Hätten damals 16‘000 Schaffhauser sterben müssen? Nicht unbedingt. So gibt es damals den Lösungsvorschlag, dass man die Bunkeranlagen «überfüllen» muss: Anstatt jedem Bürger einen Quadratmeter Platz zuzugestehen, so ein Experte in der SN damals, könne die gesamte Zivilbevölkerung nur geschützt werden, wenn jeder Bürger nur knapp 80 Quadratzentimeter Platz bekommen würde.

Aber nicht nur hier liegt damals ein Problem: So sind laut SN von damals viele Bunkeranlagen nicht voll einsatzfähig. Manche sind laut einem Experten «in schlechtem Zustand». Es gebe noch viel zu tun, um den Zivilschutz zu sichern.

Es ist ein Glück, dass die Schaffhauser nie in einen Bunker flüchten müssen.

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