Als Toblerone nach Schaffhausen floh

Zeno Geisseler | 
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Hier steckt – historisch gesehen – auch ein bisschen Schaffhausen drin: Toblerone-Produktion in Bern. Bild: Key

Schon vor 100 Jahren war Schaffhausen für seine tiefen Unternehmenssteuern bekannt. Dann intervenierte das Bundesgericht.

Toblerone ist vermutlich die bekannteste Schokolade der Welt. Mit jeder Verpackung trägt die 1908 erfundene Dreieckssüssigkeit ein Bild des Matterhorns in die Welt hinaus, und im Berg, gut versteckt, findet sich ein Berner Bär. Vor nicht ganz 100 Jahren wäre dort allerdings auch ein anderes Tier nicht fehl am Platz gewesen: der Schaffhauser Bock.

Am 11. April 1924 berichten die «Schaffhauser Nachrichten» auf wenigen Zeilen über ein Ereignis aus der Wirtschaft, das heute als grosser Ansiedlungserfolg gefeiert würde: «Die Generalversammlung der Chocolat Tobler, Bern, genehmigte die Verlegung der Chocolat Tobler Holding Company nach Schaffhausen.»

Chocolat Tobler, das war nicht irgendein Unternehmen. Bereits 1912 war die Firma mit rund 600 Mitarbeitern zum grössten Industriebetrieb der Stadt Bern aufgestiegen, wie das Magazin «Unipress» der Universität Bern im Jahr 2001 berichtete. 1920 wurde das Aktienkapital auf 9,2 Millionen Franken erhöht – dies entspricht rund 42 Millionen Franken heute.

«Besondere Steuerbehandlung»

Und dieser Schokoladenkoloss kam also nach Schaffhausen? Ja und nein. Nach Schaffhausen verlegt wurde nur der offizielle Sitz. Das Herz des Unternehmens, die Produktion, verblieb in Bern.

Der Umzug erfolgte aus einem Grund: tiefere Steuern. Der Kanton Schaffhausen hatte für Holdings ein paar Jahre zuvor spezielle Steuergesetze geschaffen. Die SN hatten dazu 1916 geschrieben: «Eine Ausnahmestellung nehmen die Unternehmungen ein, die im Kanton nur ihren Sitz, dagegen keinen Geschäftsbetrieb haben. Diesen Trust- und Holdinggesellschaften ist eine besondere Steuerbehandlung zuteil geworden.» Einer der Ersten, die davon profitierten, war der Industriegigant Sulzer. Er verlegte laut SN-Berichten aus der Zeit bereits 1914 seinen Holdingsitz nach Schaffhausen, während die Fabriken selbst in Winterthur blieben.

Im Fall von Chocolat Tobler beschrieb die Schaffhauser «Arbeiterzeitung» die «besondere Steuerbehandlung» so: «Der Steuerfuss ist in Bern höher, während er in Schaffhausen so niedrig ist, dass er sich einen internationalen Ruf erworben hat.» In den letzten Jahren sei deswegen ein grosser Zuzug von Holdinggesellschaften erfolgt. Die steuerlichen Anreize der Schaffhauser sorgten bei den anderen Kantonen für Argwohn. Bern wollte es nicht einfach so hinnehmen, dass die Schaffhauser mit der Chocolat Tobler eines ihrer Paradepferde übernommen hatten: Die Sache wurde ein Fall für das Bundesgericht.

«Steuerflucht und Steuerpflicht»

Die SN berichteten im Juli 1929 unter dem Titel «Schaffhausen oder Bern? – Steuerflucht und Steuerpflicht der Holdinggesellschaften» über das Gerichtsverfahren. Wie das Bundesgericht urteilen würde, war von grosser Tragweite, vergleichbar mit den Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform heute: Der Ausgang, so die SN damals, werde «nicht nur von der rekurrierenden Firma und den zwei beteiligten Kantonen mit lebhaftem Interesse verfolgt, sondern von der gesamten schweizerischen Industrie und von den Fiskalbehörden». Für Schaffhausen und die Tobler-Holding sah es nicht gut aus. Schon 1919 hatte das Bundesgericht nämlich festgehalten, dass das Steuerdomizil der Ort der wirklichen Geschäftsführung sei. «Denn sonst wäre es den juristischen Personen — im Gegensatz zu den physischen Personen — möglich, ihre Steuerverhältnisse in künstlicher, sachlich nicht begründeter Weise zu regeln.»

Kurz gesagt: Bloss wegen der Steuern einfach eine Holdinggesellschaft an einem Ort zu gründen, die Produktion aber am ­alten Ort zu belassen, das ging nicht. Das Bundesgericht gab also dem Kanton Bern recht. Tobler blieb in Bern steuerpflichtig.

Für die Berner Schoggibarone gab es nach diesem Richterspruch keinen Grund mehr, ihren Holdingsitz in Schaffhausen aufrechtzuerhalten. Im Dezember 1930 verlegte Chocolat Tobler seinen Standort wieder offiziell nach Bern. Unternehmerisch folgten sehr schwierige Jahre. Nach dem weltweiten Börsencrash von 1929 brachen die Umsätze ein. Tobler wurde zum Sanierungsfall, konnte Anleihen in Millionenhöhe nicht zurückzahlen, ging in Nachlassstundung und überlebte nur knapp. Jahre später fusionierte das Unternehmen mit Suchard, heute gehört Toblerone dem US-Unternehmen Mondelēz International.

Die Berner Politik wiederum hatte aus dem Schokoladenstreit mit Schaffhausen ihre eigenen Lehren gezogen: Um künftige Abwanderungen zu verhindern, passte der Kanton noch im gleichen Jahr, als Chocolat Tobler aus Schaffhausen zurückkehrte, seine Steuergesetze so an, dass auch er Holdinggesellschaften Vergünstigungen gewähren konnte. Andere Kantone taten es ihm gleich.

Der Schweizer Steuerwettbewerb ging in die nächste Runde.

 

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