Ein Dorfladen kämpft gegen Goliath

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Es ist etwas Besonderes, einen Dorfladen zu haben, in dem man etwas einkaufen kann: Die Siblinger halten an dieser Tradition fest, auch wenn es mit den Jahren nicht unbedingt leichter wird.

Von Maria Gerhard und Saskia Baumgartner

Mit strengem Blick schaut David auf den Dorfladen in Siblingen: Seine steinerne, auf Antik gemachte Büste steht auf dem Dach des alten Tramdepots der einstigen Linie Siblingen/Schleitheim und sticht einem sofort ins Auge, schaut man sich auf dem Platz an der Hauptstrasse um. «Man könnte das auch symbolisch verstehen», sagt Priska Meier. «David kämpft gegen Goliath, und wir kämpfen mit unserem Dorfladen gegen die Grossen.» Sie und ihr Mann Roger, sie haben einen Steinmetzbetrieb hier im Dorf, haben die Büste irgendwann einmal in einem Möbelgeschäft gekauft. Erst stand sie im eigenen Garten, nun wacht sie über die Kunden, die in dem Geschäft ein und aus gehen. Den Dorfladen hätte es ohne die Meiers wohl nicht gegeben. Als der Detailhandel Volg sich 2013 endgültig aus Siblingen zurückzog (er wurde über Jahre noch von dem Verein Pro Dorfladen provisorisch in einem Container betrieben), offerierten sie der Gemeinde, auf ihrem Land neben dem Tramdepot ein Ladenlokal zu bauen und dieses der Genossenschaft Dorfladen zur Miete zur Verfügung zu stellen. So ist es auch geschehen, und heute ist der Laden ein wichtiger Treffpunkt für die Einwohner von Siblingen und Umgebung.

Auch regionale Produkte

Ein grosser Stand mit Schweizer Flaggen, roten Luftballons und -schlangen steht im Eingangsbereich: Auch im Dorfladen bereitet man sich auf den 1. August vor. Daneben findet der Konsument alles, was er zum Leben braucht: Obst, Gemüse, Konserven, Milchprodukte, Schokolade bis hin zu glutenfreien Nudeln. Und es gibt auch Regionales zu kaufen: Käse vom Demeter-Randenhof, Wurst aus Schleitheim, Eier aus Wilchingen, Honig und natürlich auch Wein aus Siblingen. «Und was wir nicht haben», sagt die stellvertretende Verkaufsleiterin Bettina Röthig, die herumführt, «können wir bestellen.» Sie und ihre Kolleginnen würden stets auf Kundenwünsche eingehen. Denn um als kleiner Dorfladen auf Dauer zu bestehen, muss man flexibel sein und sich vor allem etwas einfallen lassen: «Wir haben zum Beispiel eine offene Käsetheke, die sehr beliebt ist», sagt Rö­thig, «und für die man sonst weit fahren müsste.» Im Winter seien die diversen Raclette-Käsesorten beliebt und vor allem die hauseigene Fondue-Mischung.

Ein Sangria-Fest zum Abschied

Daneben werden hier auch verschiedene Festivitäten für die Bevölkerung ausgerichtet: vom Grillen am Ostersamstag über die WM-Übertragung im Hinterhof bis zum Weihnachtsbasar. Am kommenden Montag findet ein Sangria-Umtrunk mit Grill vor dem Geschäftseingang statt. Und warum? «Wir verabschieden unsere Kollegin im Verkauf, Nadja Birrer, und sie hat es sich so gewünscht», sagt Röthig. Also haben die Damen aus diesem Anlass gleich ein Fest für die Öffentlichkeit gemacht. «Und hast du auch schon das Catering erwähnt?», fragt Priska Meier. Röthig nickt: «Stimmt, wir können bis zu 300 Personen verpflegen.» Einen solchen Grosseinsatz hatten sie zuletzt bei der Diplomfeier der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen.

Es ist bestimmt nicht einfach

Man merkt schnell, die Gemeinschaft versucht, ihren Laden mit viel Fleiss zu verteidigen. Und gerade solche vielfältigen Angebote sollen natürlich auch die Finanzen regenerieren. Aber auch wenn der Umsatz im Vergleich zu der einstigen Volg-­Filiale über die Jahre massiv erhöht werden konnte, ist es nicht leicht zu bestehen. Mittlerweile ist im Dorfladen auch der Präsident der Genossenschaft, Udo Tanner, eingetroffen. Er schaut kurz nach einem Luftkühler, der nicht ganz richtig zu funktionieren scheint. Alle im Vorstand arbeiten ehrenamtlich. Unumwunden sagt Tanner: «Es ist ein harter Kampf, bei dem alle Beteiligten immer wieder überlegen, was man noch machen könnte.» Das läge einmal natürlich an der Grenzlage des Kantons, aber auch an der Anziehungskraft, die grosse Detailhändler in anderen Ortschaften ausüben würden. Hinzu kommt, dass die Gemeinde, die für die ersten fünf Jahre die Mietkosten übernommen hat, nun nur noch für die Hälfte des bisherigen Betrags – wiederum für fünf Jahre – aufkommt. Aber Tanner ist zuversichtlich, dass sich schon für alles eine Lösung finden wird.

Und auch Priska Meier sagt: «Ich habe es noch keinen Moment bereut.» Das Land sei mit dem Dorfladen gut genutzt. Ausserdem würde sie mit Freuden beobachten, dass auch mehr und mehr Neuzugezogene, die meist in den Neubausiedlungen zum Randen hin wohnen, den Dorfladen nutzten. Er diene als Treffpunkt für alle.

Grosse Hilfsbereitschaft

Ähnlich wie der «Freihof». Das Restaurant liegt schräg gegenüber dem Dorfladen. Hier in der Wirtsstube wurde 2012 auch die Dorfladen-Genossenschaft gegründet. Jeden Tag wird hier ein Mittagsgericht angeboten: Heute gibt es gefüllte Paprika mit Salat und Suppe. Gekocht wird von Karin Bittner, die von Miriam Kleber im Service unterstützt wird. Letztere ist aus dem Glarnerland nach Siblingen gezogen. Sie wohnt nahe der Stelle, wo vor einem Jahr ein Wohnhaus samt Scheune niederbrannte. Das Gebäude wurde durch das Feuer damals ganz zerstört. Aber zum Glück ist niemand verletzt worden. Die Bewohner waren zum Zeitpunkt des Brandes in den ­Ferien.

Miriam Kleber erinnert sich, wie sie in der Nacht von ihrem bellenden Hund geweckt wurde. 140 Feuerwehrleute waren in der Nacht stundenlang im Einsatz, um den Brand zu löschen und das Übergreifen der Flammen auf die Nachbargebäude zu verhindern. Kleber kochte in jener Nacht im «Freihof» literweise Kaffee für die Feuerwehrleute, der Dorfladen machte Sandwiches. Als die Familie nach den Ferien wieder nach Hause kam, stellte ihnen jemand sofort eine Wohnung zur Verfügung. Im Dorf seien die Hilfsbereitschaft und die Unterstützung gross, sagt Kleber. Das mache Siblingen aus.

Die nächsten Stationen: Heute, ab 9 Uhr, Ramsen, 31. Juli, ab 9 Uhr, Stein am Rhein

SN Dorfgezwitscher Von der Hilfsbereitschaft, dem Herbstfest und den langsamen Bernern

Der «Freihof» ist das einzige verbleibende Restaurant in Siblingen, es liegt vis-à-vis dem Dorfladen. Karin Bittner wirtet seit vier Jahren hier, unterstützt wird sie von Miriam Kleber. Über ­Mittag haben die beiden Frauen meist Handwerker zu Gast, und gibt es in der Nähe Baustellen, kann es auch mal voller werden. Froh sind die beiden über ihren gut besuchten Stammtisch. «Es kann schon passieren, dass 16 Leute um den runden Tisch sitzen», sagt ­Bittner. Trotzdem sei es in einem Dorf natürlich nicht einfach, sich über Wasser zu halten. Bittner schätzt an Siblingen die gegenseitige Hilfsbereitschaft.

 

Ben Weber war mit seinem Grossvater Udo Pudschun aus Löhningen im ­Dorfladen und hat Gummibärchen ­bekommen. Sein Opa hat sich dort hingegen mit glutenfreien Nudeln eingedeckt. Ben wird im nächsten Jahr in den Sib­linger Waldkindergarten gehen. «Das ist super dort, mit Tipi und so ­weiter», sagt Udo Pudschun. Seinem Enkel werde es dort bestimmt sehr gut gefallen.

 

Das Herbstfest hat in Siblingen eine grosse Bedeutung. Alle drei Jahre findet es statt, das nächste Mal 2019. Bis 2016 war Ruth Meier 15 Jahre lang OK-Präsidentin. Es sei wichtig, den eigenen Wein und das Dorf zu präsentieren, sagt sie. Das Fest sei zudem eine gute Gelegenheit für Zugezogene, Siblingen und seine Vereine kennenzulernen – Letztere engagieren sich beim Fest. Neben Siblingern ­kämen auch viele Gäste aus den Nachbardörfern. Im Klettgau besuche man gegenseitig die Weinfeste. «Es ist ein ­Geben und Nehmen», so Meier.

 

Ursprünglich stammt Margrit Spring aus dem Bernbiet. Als Kind habe sie ihre Ferien oft in Siblingen verbracht, wo die Grosseltern wohnten, berichtet sie. Als Erwachsene entschied sich Spring, hierherzuziehen. Sie möge die Mentalität der Klettgauer, die Berner seien ihr zu langsam. In Siblingen könne sie zudem gut ihrem Job ­nach- ­gehen. Als Haustiersitterin kümmert sie sich nicht nur um fremde Hunde, sondern auch um den eigenen: den zwei Monate alten Cocker Spaniel Chesma.

 

Vor ein paar Jahren entschied sich ­ Rachele Monsour, mit ihrer Familie von Zürich nach Siblingen zu ziehen. Durch einen Kollegen hatte sich die Möglichkeit ergeben, hier ein Haus mit Umschwung zu mieten. Ein Eigenheim mit Garten hatte sich Monsour für die beiden Töchter, die nun in die Primarschule gehen, gewünscht. Rachele ­Monsour sagt: «Ich geniesse es, in ­Siblingen zu leben.» Die Natur und die Ruhe gefallen ihr. Nach wie vor pendelt Monsour täglich nach Zürich zur Arbeit. (sba/mcg)

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