Was, wenn das Kantonsspital keine Medikamente mehr hat?

Ralph Denzel | 
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In der Schweiz kommt es immer wieder zu massiven Engpässen von lebenswichtigen Medikamenten. Bild: Pixabay

Die Schweizer Spitäler erleben derzeit eine massive Zunahme an Lieferengpässen von teils wichtigen Medikamenten - auch in Schaffhausen. Experten warnen: Es wird eher schlimmer als besser.

In einem Land wie der Schweiz geht man mit der Selbstverständlichkeit in eine Klinik, dass dort alles, was man für die eigene Genesung braucht, vorhanden ist. Dabei wissen viele Menschen nicht: Von Medikamenten zur Thrombose-Prophylaxe, über Antidepressiva bis zu Schmerzmitteln: Zum Zeitpunkt, da dieser Artikel geschrieben wurde, ist auf der Seite drugshortage.ch bei knapp 400 Medikamenten ein Engpass oder sogar ein Lieferausfall festgestellt worden.

«Jährliches Problem»

Fehlen Medikamente in Krankenhäusern? Das Kantonsspital Schaffhausen bestätigt uns dieses Problem auf Anfrage. Mediensprecherin Lisa Dätwyler erklärt, dass es sich bei Lieferengpässen um «keine neue Situation» handelt. «Es kommt immer wieder vor, dass einzelne Medikamente nicht lieferbar sind.»

Die Spitäler Schaffhausen gehören, wie viele weitere Krankenhäuser, zu der Einkaufkooperation H-pharm. Neben den Schaffhausern Krankenhäusern sind zum Beispiel auch die Zürcher Krankenhäuser, die Spitäler Baden und das Kantonsspital Aarau in dieser Kooperation als Gesellschafter vertreten. H-pharm verhandelt dabei im Namen und im Auftrag der Gesellschafter Preise und Konditionen mit Pharmafirmen und übernimmt für ihre diese die Koordinationsaufgaben.

Richard Egger, Chefapotheker am Kantonsspital Aarau und Geschäftsführer bei H-pharm, kennt daher das Problem der Lieferengpässe. «In den letzten Wochen gab es eine Zunahme», so der Experte. Er glaubt: «Dieses Jahr könnten wir in den Spitälern doppelt so viele Medikamentenengpässe haben wie 2017.»

Vielseitige Gründe

Die Gründe, wie es zu Engpässen kommen kann, sind dabei sehr unterschiedlich. So sagt Richard Egger: «Ein Medikament hat zum Beispiel einen Lieferengpass, weil es in der Produktion zu einer Störung gekommen ist oder der Wirkstoff nicht die mehr in der geforderten Qualität geliefert wird.»

Das grösste Problem bei der Medikamentenherstellung ist: Die meisten Produktionsstätten wurden in den letzten Jahren konzentriert und teilweise in Länder mit tieferem Lohnniveau ausgelagert. Das führt dazu, dass zum Beispiel Naturkatastrophen wie ein Hurrican oder ein Erdbeben direkt mehrere Werke beschädigen kann – mit Schockwirkungen über den ganzen Planeten. Der Hurrican «Maria» hat in Puerto Ricco auch Medikamenten-Produktionswerke beschädigt und von einem Tag auf den Anderen die Produktion unterbrochen.

«Wenn ein Werk, das einen speziellen Wirkstoff produziert, ausfällt, hat das globale Auswirkungen.» Dann bricht die Produktionskette zusammen, die Medikamente werden teurer oder sind gar nicht mehr lieferbar. So hat zum Beispiel die Explosion im Chemiewerk in Tianjin die Versorgung mit einem wichtigen Rohstoff für ein Antibiotikum weltweit verknappt.

Aber nicht Naturkatastrophen oder ökonomische Gründe können Probleme bereiten. Richard Egger: «Die Werke für die Rohstoffe sind heute zum grossen Teil in Fernost und es gibt immer wieder Probleme mit Rohstoffen, die nicht die geforderte Reinheit aufweisen. Letztes Beispiel ist die Verunreinigung von Valsartan, was soeben zu einem Marktrückruf von Medikamente geführt hat. »

Spitäler in der Pflicht

Tritt so ein Fall ein, dann liegt es an den Spitälern, die nach Alternativen Medikamenten suchen. Auch hier ist aber wieder dann das Problem, dass die Produktionen meistens global angelegt sind und daher auch weltweiter Bedarf besteht. Richard Egger fast das Problem so zusammen: «Es ist nicht einfach, einen Lieferengpass zu überbrücken.» Vor allem Impfstoffe sind häufig Mangelware. Der Grund: «Der Bau einer Impfstoffproduktion dauert gut und gerne 10 Jahre – und die Herstellung eines Impfstoffes kann 1 bis 1,5 Jahre dauern. Eine sehr lange Zeit, wenn ein Impfstoff schnell zur Verfügung stehen muss.

Aber selbst wenn Spitäler trotz allem Engpässe überbrücken, ist dies mit einem massiven Aufwand verbunden: Der Ersatz muss evaluiert, festgelegt und beschafft werden. Die Stammdaten in den vernetzten Informatiksystemen müssen angepasst wird. Damit das nicht passiert, achtet das Kantonsspital schon frühzeitig auf mögliche Engpässe. «Die Spitalapotheke der Spitäler Schaffhausen informiert intern kontinuierlich, was nicht lieferbar ist, durch welche Präparate ein fehlendes Medikament ersetzt werden kann und liefert Angaben zu Dosierung sowie Anwendung», so Lisa Dätwyler.

Was bedeuten Engpässe für Patienten?

So ein Engpass kann dann aber auch die Arbeit an Spitälern insofern verändern, als dass spezielle Medikamente, wie zum Beispiel Antibiotika, nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung stehen. «Spitäler müssen dann Antibiotika für ganz bestimmte Infektionen reservieren und andere Infektionen mit verfügbaren Medikamenten abdecken», so Richard Egger von H-pharm.

Aber können durch Engpässe Gefahren für Patienten auftreten? Richard Egger beruhigt: «Der Bund sichert die Versorgung mit wichtigenMedikamenten.» So werden lebensnotwendige Medikamente vom Bundesamt für wirtschaftliche Landversorgung (BWL) überwacht und es wird sichergestellt, dass diese immer verfügbar sind. «Es gibt Reservelager, die die Versorgung der Schweiz mit lebenswichtigen Medikamenten sicherstellen soll», so Richard Egger. Ausserdem können Medikamente im Fall eines massiven Versorgungsengpasses auch staatenübergreifend besorgt werden – sofern diese in anderen Ländern verfügbar sind. «Die wirtschaftliche Landesversorgung pflegt in Fragen der Versorgungssicherheit mit anderen Staaten und internationalen Organisationen einen intensiven Informations- und Erfahrungsaustausch», heisst es von Seiten des BWL.

Ein Patient sollte es im Zweifel also wohl gar nicht mitbekommen, dass im Hintergrund ein massiver Engpass bei dem Medikament besteht, welches er gerade braucht.

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