Grenzerfahrungen sind Alltag

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Die Restaurants und der Laden im Dorf sind schon lange zu – auch als Folge der direkten Nachbarschaft zu Deutschland. Doch Trasadingen bietet etwas, das Neuzuzüger anzieht.

von Mark Gasser und Luc Müller

Idyllisch ist es hier: Der Dorfbrunnen plätschert. Eine Katze huscht über die Strasse und verschwindet im Gebüsch. Ein Traktor fährt knatternd durch das Dorf, in dem aktuell rund 600 Einwohner leben. Viele Dienstleistungsbetriebe sind in den vergangenen zehn Jahren verschwunden: Bin in die 2000er-Jahre existierten noch drei Restaurants im Dorf, auch ein Dorfladen stand bis 2009 zur Verfügung. Nun gibt es in Trasadingen, das direkt an die deutsche Gemeinde Erzingen grenzt, nur noch den «Boxenstopp»: eine Tankstelle mit Shop, der auch Lebensmittel führt. Und zwei Besenbeizen bieten im Sommer ein kleines Znüni-Angebot an.

Privatfirma leitet Postagentur

Doch eine Dienstleistung hat überlebt: Nach der Schliessung der Poststelle im Jahre 2009 hat nun an der Dorfstrasse 42, mitten im Dorf, eine Postagentur geöffnet. Betrieben wird sie von der TGS Trasadinger Grenz-Speditions AG. Die Firma, die sich um Zollabfertigungen, den europaweiten Transport und Lagerungen kümmert, besitzt direkt am Grenzübergang Trasadingen-Erzingen ihre Hauptbüros. Ausgelagert im Dorf befindet sich die Buchhaltung des Unternehmens – und eben die Postagentur. «Unsere Kunden profitieren zwar auch von der Postagentur, aber ich mache das vor allem als Service für das Dorf. Es soll nicht einfach jede Dienstleistung verschwinden», sagt Firmeninhaber Wolfgang Koloff. Seit 25 Jahren lebt er in Trasadingen – hergezogen ist er aus dem deutschen Eberfingen.

Ein Schwatz mit den Kunden

Die Postagentur hat von Montag bis Freitag von 8 bis 11.30 und von 13.30 bis 17 Uhr geöffnet. «Vor allem die ältere Generation schätzt den Service», berichtet Patricia Siegenthaler, die als Sachbearbeiterin Buchhaltung bei der TGS Trasadinger Grenz-Speditions AG auch den Schalter der Postagentur bedient. «Ab und zu gibt es noch einen kleinen Schwatz mit den Kunden», verraten Yannik Schneider, der eben bei der Firma TGS seine Lehre abgeschlossen hat.

Einkaufstourismus ist spürbar

Der Verlust der Beizen und des Dorfladens schmerzt die Trasadinger heute noch. «Es bestehen keine sozialen Treffpunkte mehr», erzählt Renate Bolli. So gehe man nach Hallau, Wilchingen oder Neunkirch. «Aber man braucht halt ein Auto.» Viele gingen gar zu Fuss, um in Erzingen einzukaufen – sie gehöre nicht dazu. «Aber einen guten Chinesen gibt es dort.» Der lockt mit seinen billigen Preisen auch viele Schweizer an: Ein üppiges Mittagsmenü gibt es hier schon für knapp zehn Euro.

Da die deutsche Nachbargemeinde Erzingen in Gehdistanz liege, sei schon vor 15 Jahren der zunehmende Einkaufstourismus der Todesstoss für den letzten Dorf- laden gewesen. «Das Dorfleben tröpfelt so vor sich hin», erklärt der pensionierte Schreiner Paul Hedinger weiter, der seiner Frau Livia als Hauswart aushilft, um die Schulgebäude zu reinigen.

Junge Familien ziehen hierher

«Nur eine Beiz oder ein Laden lässt sich hier, in direkter Grenznähe, nicht mehr rentabel führen», sagt Werner Haas, der seit 2017 als Gemeindepräsident von Trasadingen amtet. Deshalb habe es in den vergangenen Jahren keine Interessenten mehr gebeben, die im Dorf in die Gastronomie oder in den Detailhandel investieren wollten. «Mit dem Velo bin ich vom Dorfkern aus in 200 Metern über der Grenze, wo grosse Einkaufsmärkte stehen. Alternativ muss ich mit dem Auto nach Hallau oder Neunkirch fahren, um einzukaufen. Es liegt in der geografischen Begebenheit, dass man auch in Deutschland einkauft. Auch ich mache das», berichtet Haas. Paul Hedinger bezeichnet seine Gemeinde Trasadingen gar als «Schlafdorf». «Die Leute verlassen es am Morgen und kommen abends wieder nach Hause.» Er sei nun über 30 Jahre hier, aber spontan fällt ihm als regelmässiger sozialer Treffpunkt einzig der überkonfessionelle Treff der Kirche im Winterhalbjahr jeweils mittwochs ein. «Von Müttern mit Kleinkindern bis zur Grossmutter kommen da.»

Gerade diese Verträumtheit und Ruhe schätzt Manuela Studer. Sie ist in einer zehnköpfigen Gruppe aus Mitarbeitern des Alters- und Pflegezentrums Waldruh in Willisau zu Gast in einem der Fasshotels. Ihr gefalle einerseits die meditative Ruhe. Anderseits sei in dieser Herberge auf dem Land gegenüber dem Alltag «nicht alles so strukturiert» – ideale Bedingungen für die Einzel- und Gruppenarbeiten. «Und der Wein ist fantastisch.»

Paul Hedinger findet eines positiv: «Wichtig ist, dass wir unsere Primarschule und unseren Kindergarten noch im Dorf behalten können.» Es gebe immer wieder Diskussionen über die Eigenständigkeit der Schule. «Wenn die Schule oder der Kindergarten zumachen müsste, wäre das ein riesiger Verlust», sagt Hedinger. Dank der steten Zunahme von Neubaugebieten – in den letzten Jahren entstanden im Langwies und im Chäpfli neue Einfamilienhäuser – seien in den letzten Jahren immer wieder junge Familien zugezogen. «Die Schule ist bald unser letztes Argument: Es gibt keinen Laden, keine Beiz, kein nichts …»

In 19 Minuten in Schaffhausen

Der Gemeindepräsident bringt es auf den Punk: «Hier gibt es attraktive Langeweile. Heisst: Bei uns ist es ruhig und ländlich. Familien mit Kindern und Pensionäre schätzen das. Für Jugendliche aber ist die Infrastruktur nicht mehr so attraktiv.» Haas ist 2008 aus dem Kanton Zürich von Berg am Irchel hierhergezogen. «Hier können wir unser Hobby, das Reiten, herrlich ausleben.» Beruflich arbeitet Haas als Pilot bei der Swiss in Kloten. «In rund 40 Minuten bin ich mit dem Auto dort. Und mit dem Zug nach Schaffhausen sind es nur 19 Minuten. Wir sind nicht ab der Welt – trotz der Ruhe.»

Die nächsten Stationen : Heute in Neunkirch, ab 9 Uhr; 20. Juli in Beringen, ab 9 Uhr.

SN-Dorfgezwitscher: Die Angst vor dem Unwetter und ein Vereinsleben, das immer kleiner wird

Sie steht direkt im Garten von Nadja Gaetani: die Grillkota-Hütte. Das aussergewöhnliche, runde Häuschen stammt aus Finnland: Drinnen haben bis zu zehn Personen Platz, die sich gemütlich um einen Grill gruppieren können. «Auf Reservation kann man hier im Häuschen speisen und einen schönen Abend erleben», erklärt Nadja Gaetani. Vor allem Touristen aus der Schweiz verbringen hier gerne einen kulinarischen Abend. Gaetani ist Mitglied im Verein Genussregion Wilchingen, Osterfingen, Trasadingen. «Der Zusammenschluss hilft, unsere Angebote bekannt zu machen. Ich komme so in Kontakt mit anderen Anbietern im Bereich Gastronomie und Tourismus.» Trasadingen befinde sich am Rand des Kantons – dank der «Genussregion» sei das Gebiet wieder vermehrt in den Fokus der Leute gerückt.

Der Deutsche Roland Dietz wohnt seit rund zwei Wochen neu in Trasadingen. «Ich liebe die Ruhe und Natur hier», schwärmt er, der in Schaffhausen bei der Firma ABB arbeitet. Seine Freundin wohnt in der deutschen Gemeinde Klettgau im Ortsteil Erzingen. Das deutsche Klettgau grenzt direkt an Trasadingen. «Ich wohne aus steuertechnischen Gründen nicht in Deutschland. Dort müsste ich mit meinem Schweizer Lohn sehr viel mehr Steuern zahlen als in Trasadingen.»

Renate Bolli s Elektrotrottinett ist den ganzen Morgen über fast das einzige hörbare (leise surrende) Fahrzeug im Dorfkern. Schon wartet Bolli morgens um neun Uhr auf die SN-Redaktoren. Sie hat auch einiges zu erzählen: Sie fürchtet wie viele im Dorf ein grösseres Unwetter um diese Jahreszeit, denn nur zu gut erinnern sich die Trasadinger zurück an den Juni 2016, als das Dorfzentrum unter Wasser stand. «Grausam, was der Schaden angerichtet hat», sagt Bolli. Ein Auffangbecken würde Millionen kosten und ist auch geplant, «aber das dauert Jahre bis zur Realisierung.» Schon dreimal erlebte sie ähnliche Schäden. Die Pensionärin war früher in diversen (teilweise nicht mehr existenten) Vereinen tätig: im Schützenverein, bei den Samaritern, beim Billard- und Dartclub sowie in der Damenriege. Heute betreibt sie einen grossen Flohmarkt. Doch nun muss alles weg: Am 15. September geben sie und ihr Mann ihr Haus auf.

Das Problem am Dorfleben sind auch für Paul Hedinger die fehlenden regelmässigen Treffpunkte – mit Ausnahme von Chilbi und Herbstsonntag. «Wenn man dort nicht neue Kontakte schafft, wird es schwierig.» Einzig die Eltern mit Kindern hätten über die Schule noch Verbindung zum Dorf. Doch die Neuzuzüger gingen nicht in lokale Vereine. «Es gibt auch immer weniger Vereine. So ist man plötzlich abgesägt», meint der ehemalige Präsident des Gemischten Chors. Der löste sich 2011 auf. «Wir hatten 14 Mitglieder, bei Proben waren es nur noch 8. Das ging nicht mehr.» Eine Weile habe er im Schaffhauser Konzertchor mitgemacht. Aber der Kontakt habe ihm da gefehlt. Auch wenn es nicht mehr viele Vereine gibt, ist für Hedinger, der vor 30 Jahren zugezogen ist, Trasadingen «ein offenes Dorf». (uc/M. G.)

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