Sie leben von Luft und Liebe

Maria Gerhard | 
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Rund 2000 Leuchtkäferarten gibt es auf der ganzen Welt. Dieses Foto entstand in Mexiko. Bild: Key

Ab Mitte Juni schwirren auf dem Schaffhauser Waldfriedhof wieder die ersten Glühwürmchen umher. Biologe Stefan Ineichen spricht über das Flirtverhalten und die dunkle Seite der Käfer.

Haben Sie gewusst, dass es unter den rund 2000 Leuchtkäferarten wahre Femmes ­fatales gibt? Oder dass die Tiere in Ostasien eine ei- gene Tourismussparte darstellen? Ab Mitte Juni sind sie auch in Schaffhausen auf dem Waldfriedhof wieder zu beobachten. Der sogenannte Kleine Leuchtkäfer ist eine Attraktion. Denn nördlich der Alpen gibt es in der Schweiz kaum einen anderen Standort, an dem diese Spezies in so grosser Zahl vorkommt. Der Zürcher Verein Glühwürmchen Projekt befasst sich schweizweit mit Schutz dieser Insektengruppe. Leuchtkäferexperte Stefan Ineichen hat sich eingehend mit den Tieren befasst.

Herr Ineichen, Tausende Glühwürmchen bevölkern bald wieder den Schaffhauser Waldfriedhof. Haben Sie das Spektakel schon einmal miterlebt?

Stefan Ineichen: Ja, schon mehrmals, es ist magisch. Die Männchen des Kleinen Glühwürmchens fliegen umher wie grünliche Funken. Es ist eines der zauberhaftesten Naturerlebnisse, das man in unseren Breite­ngraden erleben kann.

Warum übt ausgerechnet der Waldfriedhof so eine grosse Anziehung auf die ­Insekten aus?

Die Verhältnisse dort sind perfekt. Einmal brauchen die Männchen zum Umherfliegen offene Flächen, wie Lichtungen. Und zum anderen ernähren sich die Larven, die bis zu drei Jahre wachsen, von Schnecken, die sie mit einem Giftbiss überwältigen. Schnecken finden sich natürlich überall dort, wo es feucht ist, also auch im Strauchwerk und Gehölz.

Stefan Ineichen, Verein Glühwürmchen Projekt

Solange die Tiere auf Partnersuche sind, leuchten sie. Was finden Glühwürmchenweibchen denn sexy?

Eigentlich müsste man eher fragen, was die Männchen sexy finden. Die sind die aktiven Partner, die umherfliegen und suchen. Das Weibchen hockt einfach am Boden, leuchtet und wartet.

Warum fliegt sie nicht?

Ihr Körper, es sind ja eher wurmartige Wesen, ist dafür nicht gemacht. Gleichzeitig müssen sie auch für das Eier­legen mit ihrer Energie haushalten. Wenn die Leuchtkäfer erwachsen sind, fressen sie nichts mehr. Sie leben in der kurzen Zeit, in der sie noch leben, sozusagen ganz von Luft und Liebe. Die Männchen mit ihrem Samen sind leichter, das Fliegen raubt ihnen nicht soviel Energie.

Wenn sich zwei gefunden haben, geht dann das Licht aus?

Tatsächlich stellen das Männchen und das Weibchen noch während der Paarung, die etwa 15 Minuten dauert, das Leuchten ein. Wurde das Weibchen befruchtet, legt es zeitnah seine Eier ab und stirbt. Das Männchen hingegen hat noch mehr Lebenszeit, es schwirrt noch weitere Nächte umher, um weitere Partnerinnen zu be­glücken.

Oje, dann ist ja das heiter anmutende ­Naturspektakel auch ein Totentanz?

Das könnte man sagen. Tatsächlich ist es so, je schneller sich Weibchen und Männchen finden, desto mehr Eier werden gelegt. Muss das Weibchen mehrere Nächte warten, schwindet wiederum die Energie zur Eierproduktion. Wenn es nicht befruchtet wird, stirbt es nach rund zwei Wochen, weil die Batterie sozusagen leer ist.

Stimmt es denn, dass Glühwürmchen je nach Art anders Flirten, also verschiedene Leuchtsignale aussenden?

Ja, das ist so, es gibt teilweise grosse Unterschiede: Da gibt es die sogenannten «Blitzer» und die «Glüher», aber auch leuchtunfähige Glühwürmchen. In manchen Gebieten leben mehrere Leuchtkäferarten nebeneinander. Um für die Paarung ein artgleiches Weibchen anzufliegen, müssen die Insekten sich gegenseitig identifizieren können. Dann kann es regelrecht zu einer «Blink-Kommunikation» kommen. Das ist von den Glühwürmchen auf dem Waldfriedhof nicht bekannt. Da leuchten die Weibchen und die Männchen durchgehend. Interessanterweise gibt es in Amerika Weibchen, man nennt sie «Femmes fatales fire­flies», die das Leuchtsignal einer anderen Art imitieren. Das artfremde Männchen kommt und meint: Aha, super, es gibt Sex! Und dann wird es vom Weibchen einfach gefressen.

«Es sind Fälle bekannt, in denen Eidechsen Leuchtkäfer gefressen haben und dann verendet sind.»

Huch, warum denn das?

Alle Leuchtkäferarten sind giftig, damit Fressfeinde sie nicht anrühren. Der Aufbau dieser Giftstoffe braucht aber viel Energie. Bei dieser speziellen Art ist es so, dass das Weibchen einfach das Gift des gefressenen Männchens aufnimmt. So muss es selber keines aufbauen. Es gibt es später sogar an ihre Eier und damit an die Larven weiter. Das Gift kann je nach Art relativ stark wirken. Es sind Fälle bekannt, in denen Eidechsen Leuchtkäfer gefressen haben und verendet sind.

Menschen sind fasziniert von den Käfern. Trotzdem tragen wir dazu bei, dass ihre ­Population abnimmt?

Ganz klar. Zum einen schrumpfen die Bestände wegen Pestiziden und der veränderten Landnutzung. Prekär ist aber auch die Lichtverschmutzung. Die Mode in den Gärten, alles mit Licht zu inszenieren, ist schrecklich für alle Nachttiere. Im Fall der Glühwürmchen aber werden die Larven in der Nacht, wenn es zu hell ist, nicht aktiv und können verhungern. Gleichzeitig schadet sogar der sogenannte Ökotourismus den Tieren. In Ostasien gibt es Leuchtkäfer, die in Bäumen sitzen und synchron blinken. Dieses aussergewöhnliche Spektakel lockt viele Besucher an, ein Hotel nach dem anderen entsteht, die Tiere werden dadurch zunehmend gestört und verschwinden. Und auch im Waldfriedhof in Schaffhausen muss man aufpassen. Besucher bleiben nicht auf den Pfaden oder leuchten mit Lampen umher. Das stört die Tiere. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass die Verhältnisse noch nicht besorgniserregend sind. Aber man muss immer wieder an die Leute appellieren.

Wie wird man Glühwürmchenforscher?

Ich bin Biologe und befasse mich vor allem mit der Natur im Siedlungsraum. Ich war einmal nachts auf dem Friedhof in Zürich unterwegs, da stand ich plötzlich vor Glühwürmchen. Ich kannte die Tiere nicht gut, für mich waren sie mehr wie Fabelwesen. Ich war fasziniert. Zusammen mit anderen Begeisterten haben wir dann den Verein gegründet, in dem auch Gärtner und Künstler sind. Das gibt einen interessanten Austausch. Und das ist für mich auch die Quintessenz: Wenn so ein Tier verschwindet, ist es nicht nur ein Verlust für die äussere Landschaft, sonder auch für unsere innere Landschaft. Warme Sommernächte, grosse Kinderaugen, an den Tieren hängen so viele Assoziationen und Erinnerungen.

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