Wenn der Bürger potenziell gefährlich ist

Wie soll der Staat mit Einwohnern umgehen, die Behördenmitglieder gefährden könnten? Diese Frage diskutiert die Schaffhauser Kantonsregierung nach einem umstrittenen Fall einmal mehr.
Zug, Ende September 2001. Ein schwer bewaffneter Mann dringt in eine Sitzung des Kantonsparlaments ein. Er zündet eine Bombe und schiesst mit einem Sturmgewehr um sich. Dabei tötet er 14 Politikerinnen und Politiker. Am Ende seines Amoklaufs bringt sich der Attentäter um. Es stellt sich heraus, dass der Mann jahrelang mit den Behörden im Clinch gelegen hat. In seinem Auto findet die Polizei ein Flugblatt mit dem Titel «Tage des Zornes für die Zuger Mafia».
Unmittelbar nach der Tat verstärken andere Parlamente ihre Sicherheitsvorkehrungen. Der Kanton Schaffhausen setzt im Jahr 2002 eine Arbeitsgruppe ein, welche untersucht, wie Behördenmitglieder und exponierte Personen im Dienste der Öffentlichkeit besser geschützt werden können. Zwei neue Begriffe halten Einzug in die Fachsprache: Bedrohungsmanagement und Pogev – potenziell gefährliche Verfahrensbeteiligte.
Mehr Fälle als öffentlich bekannt
Mit dem Bedrohungsmanagement sollen Personen, die vielleicht gefährlich werden können, von Fachleuten aus diversen Bereichen erfasst, beobachtet und auch unterstützt werden. Dies mit dem Ziel, eine Gewalttat zu verhindern. Das System hat sich nach Ansicht der Behörden bewährt. Die Regierung sei mit dem Bedrohungsmanagement sehr zufrieden, sagt Sicherheitsdirektorin Cornelia Stamm Hurter: «Es ist eine schlanke Institution und eine pragmatische und vor allem sehr breit abgestützte Lösung.» Das Bedrohungsmanagement habe schon in unterschiedlichsten Fällen gute Dienste geleistet, wobei die meisten davon aus Diskretions- und Sicherheitsgründen gar nie an die Öffentlichkeit gelangt seien.
Ein Fall hatte in den letzten Monaten aber sehr wohl für öffentliches Aufsehen gesorgt. Im Rahmen des Bedrohungsmanagements hatten die Behörden Geldstrafen, Bussen und Gebühren eines möglichen Gefährders in Höhe von fast 12 000 Franken aus einem Ausbildungskonto der Polizei übernommen beziehungsweise vorgestreckt. Dies, um die Person vor einer Zwangsvollstreckung zu bewahren. Wäre die Vollstreckung vollzogen worden, so die Überzeugung der Behörden, wäre die Lage sehr rasch eskaliert. Die Finanzkontrolle setzte hinter diese Zahlung allerdings ein Fragezeichen, und ein ausserordentlicher Staatsanwalt leitete im Juli eine Strafuntersuchung ein. Es ging unter anderem um die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und der Begünstigung.
«Das Bedrohungsmanagement ist eine sehr breit abgestützte Lösung.»
Cornelia Stamm Hurter, Regierungsrätin
Der Staatsanwalt kam letztlich zum Schluss, dass das Vorgehen angesichts einer unmittelbar drohenden Gefahr legitim gewesen war. Er stellte das Verfahren ein.
Alles in Ordnung also mit dem Bedrohungsmanagement? Nein. Nicht erst seit diesem Fall war klar, dass es nach wie vor Unsicherheiten und Verbesserungspotenzial gibt. Die Kantonsregierung arbeitet schon länger an einem neuen Polizeigesetz, das auch die Bestimmungen zum Bedrohungsmanagement updaten will. Ende Januar ist die Vernehmlassung dazu abgeschlossen worden. Das Gesetz stiess auf viel Kritik, so monierte die AL etwa «erhebliche Grundrechtseingriffe». Die Gemeinden wiederum befürchten, dass der Kanton auf Kosten der Gemeinden mehr Macht erhält.
Die Erkenntnisse aus dem öffentlich gewordenen Fall mit der abgewendeten Zwangsvollstreckung sollen im neuen Gesetzesentwurf berücksichtigt werden, wie Regierungsrätin Stamm Hurter sagt: «Wer genau ist verantwortlich? Wie sollen die Prozesse ablaufen, wenn allenfalls weitere Massnahmen getroffen werden müssen? Wie kann der Schutz von gefährdeten Personen verbessert werden?»
Viele Fragen also, die auch die personelle Organisation des Bedrohungsmanagements betreffen. Dieses besteht aus einem Kernteam und einer Arbeitsgruppe. Die Kerngruppe setzt sich zusammen aus einem Vertreter der Polizei, einem Mitglied der Staatsanwaltschaft und einem Arzt der psychiatrischen Klinik der Spitäler Schaffhausen. Bis zum 11. Juli 2017 wurde die Kerngruppe vom Polizeikommandanten Kurt Blöchlinger geleitet. In der Arbeitsgruppe dabei sind unter anderem Fachleute von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb), aus dem Straf- und Massnahmenvollzug, vom Migrationsamt und Mitglieder von Gemeindeexekutiven. – Viele Personen also, die einen Beitrag leisten können. Doch in der Realität entfällt der Grossteil der Arbeit manchmal auf ganz wenige Köpfe. Im erwähnten Fall etwa übernahm der Polizeikommandant persönlich das Case Management, was ihn pro Woche laut Bericht des Sonderstaatsanwalts schon mal 30 Prozent seiner Arbeitszeit kostete. Doch ist das wirklich sinnvoll, wenn der Polizeichef eine solche Person betreut? «Das ist einer der offenen Punkte», sagt Regierungsrätin Stamm Hurter. «Was passiert, wenn ein Fall grosse Dimensionen annimmt?» Es sei durchaus denkbar, dass unter Umständen eine externe Fachperson die Fallführung übernehme.
Budget für Bedrohungsmanagement
Auch bei den Finanzen gibt es Handlungsbedarf. Dass im erwähnten Fall Gelder aus einem Ausbildungskonto der Polizei abgebucht wurden, war eine Notlösung, weil es schnell gehen musste und es schlicht kein eigenes Konto für das Bedrohungsmanagement gibt. Diese ungewöhnliche Abbuchung war es auch gewesen, welche die Finanzkontrolle auf den Plan gerufen hatte.
Weil die Ausgaben künftig nicht einfach irgendwo verbucht werden sollen, überlegt sich die Regierung laut Stamm Hurter nun, im nächsten Voranschlag unter einem speziellen Budgetposten Geld für das Bedrohungsmanagement einzustellen.
Die Regierung hofft, das neue Polizeigesetz inklusive der Neuerungen zum Bedrohungsmanagement bis Ende 2018 in den Rat zu bringen.