Mrs. Molly war seine treuste Begleiterin

Isabel Heusser | 
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Kinder tauften Christian Zimmermanns Einkaufswagen «Mrs. Molly the Shopping Trolley». Am Ende seiner Reise konnte er Molly nicht in Australien zurücklassen. Bild: zvg

Der Fotograf Christian Zimmermann wollte wieder einmal ein Abenteuer erleben – also reiste er zu Fuss mit einem Einkaufswagen 3000 Kilometer quer durch Australien. Durch seine Multivisionsshows ist der «Trolley Man» in der ganzen Schweiz bekannt.

Bemitleidenswert sah er aus, dieser Mann, der bei strömendem Regen Schutz unter einem Hausvorsprung gesucht hatte. Abgetragene Kleidung, Vollbart, mit einem Einkaufswagen. Wie ein Obdachloser. Jemand wollte ihm einen Essensgutschein in die Hand drücken, doch er lehnte ab. Christian Zimmermann war kein Obdachloser. Der Schweizer Fotograf hatte in vier Monaten 3000 Kilometer zu Fuss quer durch Australien zurückgelegt, im spezialisierten Einkaufswagen transportierte er sein Hab und Gut. Am Ziel, in Adelaide, verliess ihn das Wetterglück.

Mittwochabend im Schaffhauser Park Casino. Zimmermann sitzt im leeren Saal, in rund einer Stunde beginnt die sogenannte Multivisionsshow zu seiner Reise. Seit über 20 Jahren produzieren er und sein Bruder Reiseshows, berichten über ihre Abenteuer in fernen Ländern, doch einen solchen Rummel wie in den letzten Monaten hat der 49-Jährige noch nie erlebt. In der ganzen Deutschschweiz berichten die Medien über den «Trolley Man», den verrückten Schweizer, der mit einem Einkaufswägeli entlang des Stuart Highways durch Down Under läuft.

Nach drei Wochen kam die Routine

Unterwegs mit einem Einkaufswagen: Ein PR-Gag, um viel Publikum in die Shows zu locken? «Jein», sagt Zimmermann. Natürlich wolle er den Leuten eine spannende Geschichte erzählen. Er habe aber auch eine neue Art des Reisens gesucht. Ein Abenteuer. «Ich war schon dreimal in Australien unterwegs, mit dem Velo und dem Auto. Das vierte Mal sollte zu Fuss sein.» Doch wie sollte er sein Gepäck transportieren? Lebensmittel, Zelt, Kleider, Wasser und Fotoausrüstung in einen Rucksack zu packen: unmöglich. «Die Idee mit dem Einkaufswagen hatte mein Bruder.» In Darwin, wo seine Reise beginnen sollte, fand Zimmermann ein kleines Unternehmen, das Transportgeräte für Grossverteiler herstellte. «Das Team baute für mich ein Wägeli zusammen und schenkte es mir.»

«Ich wäre bis ans Ende der Welt gelaufen.»

Christian Zimmermann

Das meistgezeigte Motiv in der Show: Zimmermann, wie er schwitzend den Einkaufswagen vor sich herschiebt, oft bei Temperaturen gegen 40 Grad. «Die ersten paar Wochen waren extrem hart.» Die Hitze schien unerträglich, er bekam Blasen und Schrunden an den Füssen, die Beine schmerzten. «Aber dann kam die Routine, und ich wäre bis ans Ende der Welt gelaufen.» Der Einkaufswagen – Kinder hatten ihn «Mrs. Molly the Shopping Trolley» getauft – habe sich als praktisches Transportgerät erwiesen. Einziges Hindernis waren die im Boden eingelassenen Viehgatter, die er vor allem im Süden alle paar Kilometer überqueren musste. «Da blieben die Räder immer mal wieder in den Zwischenräumen stecken.»

50 Auftritte in wenigen Monaten

Zimmermann, der im solothurnischen Flumenthal wohnt, spricht breites Berndeutsch. Jeder Satz in der zweistündigen Show ist einstudiert, die Witze wohlplatziert. Dem Publikum, rund 70 Personen sind gekommen, gefällt’s. In der Pause wird er von Zuhörern umringt. Auf seinem schwarzen Pullover ist ein Einkaufswägeli auf ­gelbem Hintergrund aufgedruckt. Der «Trolley Man» ist zur Marke geworden. Rund 50-mal tritt Zimmermann diesen Winter auf, in Mehrzweckhallen und Gemeinde­sälen. Gereist ist er allein, ansonsten machen die Brüder alles selbst: Plakatieren, Medienarbeit, Aufbau der Technik, Eintritte verkaufen. Auf einem Tisch im Park-Casino-Saal liegen DVDs mit Reportagen von früheren Reisen, Amulette, Honig aus Neuseeland. Mit den Shows finanzieren sich die beiden ihren Lebensunterhalt. Über seine Australienreise hat Christian Zimmermann auch ein Buch geschrieben.

Ganz auf sich gestellt

Auf manchen Fotos ist Zimmermann mit Menschen zu sehen, denen er unterwegs begegnete. Doch die meiste Zeit war er allein. Molly war seine treuste Begleiterin. «Für mich war es ganz normal, mit einem Einkaufswägeli zu reden.» Einsam habe er sich deswegen aber nicht gefühlt. «Als Fotograf bin ich das Alleinsein gewohnt.» Meist schlief er in seinem Ein-Mann-Zelt, das er jeweils neben der Strasse an einem geschützten Ort aufstellte. Sein Essen – oft begnügte er sich mit Konserven – bereitete er auf dem Campingkocher zu. Ein Satellitentelefon hatte er nicht, nur ein Smartphone, das in der Wüste oft keinen Empfang hatte. Und in den Roadhouses, wie die australischen Raststätten genannt werden, lief das Internet oft über Satellit. «Es zu benutzen, wäre deshalb teuer geworden.» Brenzlige Situationen habe es keine gegeben, sagt er. Nur einmal sei ihm ein Autofahrer auf der Strasse ausgewichen, an ihm vorbeigebraust und dann umgekehrt, um ihn wüst zu beschimpfen. «Ich bin ruhig weitergegangen, und irgendwann hörte er auf.»

Als er in Adelaide angekommen sei, nach wochenlanger Entschleunigung, sei ihm alles zu schnell gegangen. Die vielen Menschen, die Hektik – «daran musste ich mich erst mal gewöhnen». Gross war hingegen die Freude, als er den Hersteller von Molly wieder traf: Er hatte seine Firma inzwischen nach Adelaide verlegt und hätte Molly wieder entgegengenommen. Doch sie war Zimmermann so ans Herz gewachsen, dass er den Einkaufswagen in die Schweiz verschiffen liess. Seither steht er in Zimmermanns Garage und wartet auf seinen nächsten Einsatz. Wohin es gehen soll, weiss der Globetrotter bereits: «Molly und ich reisen von Flumenthal nach Moskau.»

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