Das Geschäft mit den geklauten Motoren

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Die acht Bootsmotoren, die bei Langwiesen gestohlen wurden, sind das jüngste Glied in einer langen Kette von Motorendiebstählen. Bootsbesitzer sind sich ­einig: Da wird systematisch vorgegangen.

Von Mark Gasser und Dario Muffler

Der Schock kam für Bootsbesitzer Markus Steinemann wenige Stunden nachdem er seine beiden Fährboote am Freitag, 2. Februar für eine Ausfahrt bereit gemacht hatte: An einem seiner 45-Plätzer waren in der Nacht von Freitag auf Samstag beide Aussenbordmotoren am Rheinufer unterhalb der Werft in Langwiesen (Gemeinde Feuerthalen) abgeschraubt worden. In den über 20 Jahren, die er im Geschäft ist, Boote vermietet, Taxifahrten anbietet und in Beringen eine eigene Werft aufgebaut hat, hat er so etwas noch nie erlebt. Alles war vorbereitet für den ersten gebuchten Ausflug dieses Jahr, tags zuvor hatte er ­daher seine beiden Fährboote mit vierjährigen Motoren eingewassert, zehn Tage nach dem Jahresservice. Am Morgen danach kam das böse Erwachen. «Unser Schiff war keine 24 Stunden im Wasser», sagt Steine­mann. Schnell, ohne grosse Schäden an der Bootshülle zu hinterlassen, leise, unbemerkt gingen die Diebe vor – drei Nächte nach Vollmond. Die Demontage sei im Drill einstudiert worden, ist er überzeugt. «Da ist jeder Handgriff gelernt», sagt er.

Vor allem die Dimension des Diebesguts überrascht: Total acht Motoren, darunter seine zwei 50-PS-Motoren zu je 140 Kilogramm, wurden über einen wackligen, zweck­entfremdeten Weidling an Land geschafft und in einen Lieferwagen verladen – zusammen mit sechs weiteren, kleineren Motoren. «Ein Weidling ist 70 Zentimeter hoch und 1,30 Meter breit. Ich weiss nicht, wie das gehen soll», staunt Steinemann. Von der Höhe der Werft rheinabwärts in Richtung «Warteck» waren rund zwei Drittel der motorisierten Boote betroffen. Sein Fährboot war das letzte, an das sich der Weidling anschmiegte.

Ob nun die Versicherung seinen Schaden decke, wisse er noch nicht. «Die Motoren wären noch zehn Jahre gelaufen. Nun musste ich neue bestellen.» Allein deren Verlust schätzt er auf gut 20 000 Franken ein. Zusätzliche Schäden von rund 10 000 Franken wegen durchtrennter Schaltseile, Benzin- und Hauptstromleitungen, Notlenkung inklusive. Auch musste er die Schiffe wieder auswassern. Auch eine knapp 2000 Franken teure Kühlbox haben die Diebe mitlaufen lassen, dabei die 100 Flaschen Bier und 20 Flaschen Wein stehen gelassen. «Die Getränke haben sie nicht angerührt, damit es keinen Lärm macht.»

«Man weiss heute nicht mehr, wie man ein Boot sichern soll. Da war profes­sionelles Handwerk im Spiel.»

Ruedi Hunziker, Ex-Bootsbesitzer, Neuhausen

Von Eglisau bis Eschenz war in den letzten Jahren bislang die Mehrzahl der Gemeinden am Rhein betroffen. Mittlerweile sind auch die Schaffhauser Polizei und die Thurgauer Seepolizei alarmiert. Sie haben einen Flyer, «Motorensicherung», herausgegeben (siehe Kasten). «Der bezieht sich aber vor allem auf einen kleineren Typ Boot als die unseren», so Steinemann. Wie er seine Motoren besser sichern könne, sei ihm ein Rätsel. Ein Bootsbesitzer am Bodensee hatte vor Jahren seinen Motor fest am Heck verklebt. «Dem haben sie das Heck herausgeschnitten», weiss Steinemann. Das zeige, dass die Profis Sicherungsmassnahmen geschickt umgehen und sich anpassen würden. Ganz neu ist das Thema in Feuerthalen nicht: Vor rund 20 Jahren, erinnert sich Steinemann, seien bereits einmal mehrere Motoren entwendet worden – zweimal hintereinander innert weniger Wochen am selben Ort.

Ein betroffener Schaffhauser Bootsbesitzer* erfuhr erst nach seiner Rückkehr von einem Skiurlaub vom Diebstahl in Langwiesen. Daher wollte er auch keine Auskunft geben; er müsse das Boot am Feuer­thaler Ufer erst begutachten.

Motorendiebe sind wählerisch

Der 73-jährige Neuhauser Ruedi Hunziker gibt dafür während eines Spaziergangs entlang dem Feuerthaler Ufer auf dem Heimweg Auskunft: Er war früher selbst stolzer Bootsbesitzer – sein erstes war ein Faltboot in Feuerthalen vor knapp 60 Jahren. Aus Erfahrung weiss er, dass Fischkutter, wie sie teilweise in Neuhausen oder Flurlingen angelegt sind, nicht als Diebesgut im Fokus stehen. «Das sind keine lukrativen Boots­motoren – sie suchen die grösseren als Beute.» Er hat einen Schwiegersohn in Büsingen, der 2017 betroffen war, in Eschenz und Eglisau Bekannte, die 2016 und 2014 bestohlen wurden: «Man weiss heute nicht mehr, wie man ein Boot sichern soll. Da war professionelles Handwerk im Spiel.» Er vermutet gar, dass jahresübergreifend dieselbe Organisation im Spiel sein könnte.

Die Meldung einer Festnahme zweier Serben im Alter von 36 und 40 Jahren in Bregenz vor einigen Tagen liess aufhorchen: Dort sollen sie vier Bootsmotoren ­gestohlen haben, wie die Polizei am Dienstag berichtete. Doch mindestens drei der Motoren konnten Liegeplätzen am Bodensee zugeordnet werden. Es dürfte sich kaum um die Täterschaft von Langwiesen handeln.

«Irgendwo im Osten wird es eine Grenze geben, wo diese Massnahmen nicht mehr greifen.»

Markus Steinemann, Bootsunternehmer, Beringen

Denn die Bootsdiebe wissen, dass es mit der Bodenseeverordnung praktisch ­unmöglich ist, Bootsmotoren im nahen Deutschland oder Österreich abzusetzen. «Die Nummern von Motoren und Abgaswerten sind registriert», weiss Markus Steinemann. So erhält nur eine Zulassungsurkunde für den Raum Bodensee, wer Art, Fabrikat und Typ des Motors, Motornummer, Leistung und Abgastypenprüfnummer angeben kann. Auch mit Frankreich sei der Austausch der Motorennummern gewährleistet. Geklaute Motoren könnten hier nicht eingelöst werden. Die Polizei tausche auch im gesamten EU-Raum automatisch solche Diebstahldaten aus. «Irgendwo im Osten wird es eine Grenze geben, wo diese Massnahmen nicht mehr greifen», so die Vermutung des betroffenen Bootsbesitzers Markus Steinemann. Wenn die Motoren hier wieder abgesetzt würden, «dann wohl nur als Ersatzteile», mutmasst er. «Es ist ein Geschäft. Und sie klauen keine alten Motoren mehr.» Und weil sein Schiff frisch eingewassert und gereinigt war, wurden bei der Spurensicherung nur Fingerabdrücke von vier Personen festgestellt. Diese werden nun ausgewertet.

Ein weiterer Kollateralschaden des Diebstahls: Weil zwei seiner Mitarbeiter noch in der Ausbildung für die Bootsprüfung sind und total 450 Stunden begleitet mit beladenem Fährschiff absolvieren müssen, droht es diesbezüglich eng zu werden. «Zum Glück haben wir eine eigene Bootswerft und bereits im November Motoren für ein anderes Schiff bestellt. So sind wir bald wieder auf dem Wasser. Aber spätestens im April brauchen wir alle. Dann haben wir die nächste Hunderter-Hochzeit.»

Sein Weidling diente ihnen als Steg

Als Steg, um die Motoren ans Ufer zu schaffen, diente den Dieben der motorlose Weidling des Feuerthalers R. S.*, der anonym bleiben will. Er hörte erst am Samstagabend vom Diebstahl, als seine Frau und er von der Arbeit zurückkehrten. Der Weidlingsbesitzer musste an jenem Samstagabend das Boot identifizieren gehen: «Die Kette vorn war gekappt worden.» So mussten die Diebe seinen leichten Weidling nur rund 50 Meter rheinaufwärts gestachelt oder gezogen und ihn als Brücke zum Lieferwagen benutzt haben, welcher die steile Böschung hinuntergefahren und parkiert worden war. «Der Weidling wies an den Holzplanken ein paar Absplitterungen von den Motoren auf.» Die Kratzspuren werde er ausschleifen. Erst heute Morgen wird er bei Tageslicht den ganzen Schaden begutachten können. Den grössten Schaden hat er nun wohl wegen der Kette – die werde wohl bis zu 200 Franken kosten. «Furchtbar, dass das jedes Jahr passiert. Wie kann man das verhindern?», fragt seine Frau. Und mutmasst, dass die Täter in Diessenhofen über die Brücke geflüchtet sein könnten.

Diebe von Eschenz bald vor Gericht

Die Versicherung zahlt in der Regel den Restwert der Motoren. Einer, der ein Lied davon singen kann, ist C.* aus Frauenfeld. Knapp die Hälfte des Neupreises seines 2016 entwendeten, 7000 Franken teuren Bootsmotors entschädigte die Versicherung: den Restwert des siebenjährigen Motors. Er hatte im Herbst 2016 seine Gondel aus seiner Anlagestelle in Mammern nach Eschenz transportiert, von wo sie der Bootsbauer fürs Winterlager abholen sollte. Wenige Stunden danach, bei helllichtem Tag zwischen 16 und 18 Uhr, wurden mehrere gestohlene Motoren auf der deutschen Uferseite in einen Lieferwagen verladen. «Offenbar gab es Zeugen, die das beobachtet hatten», sagt C. Die beiden 26- und 50-jährigen Männer mit bulgarischen Wurzeln werden sich am 29. März für 16 Diebstähle und zwei Diebstahlversuche von Bootsmotoren in der Zeit vom 3. bis 5. April, im September und Oktober 2016 und im Januar 2017, am Bezirksgericht in Frauenfeld verantworten müssen. Auch wenn sie sich als schuldig erweisen: Den Schaden müsse er trotzdem selber berappen, meint der geprellte C. «Das sind ausländische Staatsangehörige, das muss man abschreiben», weiss der Rechtsanwalt. Auch er glaubt, dass die Festnahme den gut organisierten Motorenklau nicht im Keim erstickt. «Es ist zu befürchten, dass einfach jemand anderes auf Aufträge wartet, sobald sie geschnappt werden.»

Bootsunternehmer Martin Steinemann geht sogar noch weiter: Es sei kein Zufall, dass – mit Ausnahme von Eschenz 2016 und 2017 – keine Gemeinde zweimal von solchen Diebstählen betroffen gewesen sei in den letzten Jahren. «Ich behaupte sogar, das ist so gut organisiert, dass die Ware auf Bestellung in den Osten geliefert wird.»

*Namen der Redaktion bekannt.

Schaffhauser Polizei arbeitet mit internationalem Zusammenschluss

2016 zeigte sich die Schaffhauser Polizei noch entspannt darüber, dass im Kanton Schaffhausen während fast zwei Jahren keine Aussenbordmotoren mehr geklaut wurden. Heute schlägt Martin Tanner, Chef der Schaffhauser Verkehrs- und Wasserpolizei, andere Töne an: «Die Thematik ist uns bekannt.» Erst am 3. Februar schlugen Diebe wieder zu und haben gleich acht Motoren am Feuerthaler Ufer gestohlen. Die Ermittlungen in diesem Fall laufen noch. An einem der Boote konnten DNA-Spuren von den Tätern sichergestellt werden. «Ob es in diesem Fall Täter waren, die bereits andernorts zugeschlagen haben, wissen wir noch nicht», sagt Tanner. So konnte aber herausgefunden werden, dass 2017 in Rüdlingen und in Büsingen dieselben Täter am Werk waren.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Solche Ermittlungen wären aussichtslos, wenn die Schaffhauser Polizei auf eigene Faust vorgehen würde. In Sachen Bootskriminalität gibt es darum ein internationales Kompetenzzentrum, das in Konstanz beheimatet ist. «Dort werden alle Informationen aus ganz Europa gesammelt», sagt Tanner. «Sogar mit Übersee werden Informationen ausgetauscht.» Wenn nun ein Diebstahl bemerkt würde, dann werde der Vorfall sofort an dieses Zentrum für Bootskriminalität gemeldet. Dass es schnell gehen muss, erklärt Tanner mit dem Vorgehen der Kriminellen. «Das Diebesgut wird so schnell wie möglich ausser Landes geschafft», sagt er. «Darum ist die Wahrscheinlichkeit am grössten, einen Motorendieb auf einer Autobahn zu erwischen.» Das war auch diese Woche der Fall, als in Bayern zwei Männer mit gestohlenen Bootsmotoren angehalten wurden. In diesem Fall waren es Serben, die festgenommen wurden. Unter Kriminalexperten ist man sich einig, dass die gestohlenen Motoren in den Osten transportiert werden. «In Deutschland, Österreich oder in der Schweiz kann man diese Motoren nicht mehr einlösen», erklärt Tanner.

«100-prozentige Sicherheit gibt es nicht»

Damit ein gestohlener Motor, sofern er abgefangen wird, zu seinem Besitzer zurückfindet, sollte dieser im Besitz gewisser grundlegender Daten dazu sein, etwa Hersteller, Typ, Baujahr, Motorennummer und weitere Angaben wie Farbe, Leistung und Kaufdatum.

Die Schaffhauser Polizei und die Kantonspolizei Thurgau haben zudem einen Flyer gestaltet, mit dem sie Bootsbesitzer darauf hinweisen, dass es Möglichkeiten gibt, seinen Aussenbordmotor vor Diebstahl zu schützen. Die meisten Motoren sind nicht gesichert, ­sondern nur mit Klemmschrauben am Schiff montiert. Im Fachhandel gibt es derweil ­spezielle Schlösser für Aussenbordmotoren. «Diese Massnahme bietet zwar keinen 100- prozentigen Schutz, schreckt die Täter aber ab, weil es einen zusätzlichen Zeitaufwand bedeutet», sagt Tanner, der selbst Bootsbesitzer ist. «Das sind absolute Profis, ausgerüstet mit allem nötigen Werkzeug. In 30 Minuten sind da mehrere Motoren abmontiert», so ­Tanner. Und das, obwohl der ganze Vorgang des Abmontierens eine wacklige und schwere Angelegenheit ist: Allein schon ein kleiner 15-PS-Motor wiegt satte 25 bis 30 Kilogramm. Bis auf das Plätschern des Wassers hört man auch nichts bei dieser Aktion. «Zugeschlagen wird in der Regel an unbeobachte-ten Anlegestellen und das zwischen Mitternacht und vier Uhr in der Früh», so Tanner. Darum bittet die Polizei auch darum, ver­dächtige Feststellungen sofort der Polizei zu melden. (dmu)

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