Das grosse Umrüsten am Kantonsspital
Eine Reihe von sogenannten minimalinvasiven Eingriffen soll an den Spitälern Schaffhausen nur noch ambulant durchgeführt werden. So will es der Kanton. Das Kantonsspital muss die Abläufe in den kommenden Monaten anpassen. Was bedeutet dies für die Patienten?
Nachgefragt: «Ärzte haben weiter erheblichen Ermessensspielraum»
Herr Vogelsanger, wieso prescht Schaffhausen mit der Umlagerung von stationär zu ambulant vor? Wieso wartet man nicht eine gesamtschweizerische Lösung ab?
Walter Vogelsanger: In der Schaffhauser Spitalverordnung ist der Grundsatz festgehalten, dass für unsere Spitäler die gleichen Anforderungen gelten wie im Kanton Zürich. Mehr als 10 Prozent der Patientinnen und Patienten in den Schaffhauser Spitälern stammen aus dem Kanton Zürich, und bei diesen Patienten müssen sich die Spitäler schon seit dem 1. Januar an die neuen Regeln halten. Die Anforderungen sind schon länger bekannt. Für Schaffhauser Patienten haben die Spitäler nun vier Monate zusätzliche Zeit zur Umstellung. Es ist schwer einzusehen, warum das, was für Zürcher Patienten machbar ist, nicht auch für Schaffhauser Patienten gelten soll. Zudem ist zu beachten, dass für die Ärzte weiterhin ein erheblicher Ermessensspielraum besteht. Wenn es gute Gründe dafür gibt, können Eingriffe weiter stationär durchgeführt werden.
Aber der Kanton muss dies bewilligen. Führt das jetzt zu mehr Bürokratie und Kontrolle?
Die Behandelnden im Spital entscheiden, ob im Einzelfall die Kriterien für einen stationären Spitalaufenthalt erfüllt sind. Der Kriterienkatalog enthält sowohl medizinische (wie zum Beispiel Infusionen) als auch soziale Faktoren wie etwa fehlende Versorgungsmöglichkeiten durch Angehörige zu Hause. Das Gesundheitsamt wird eine summarische Überprüfung anhand von Stichproben vornehmen. Die Erfahrungen in Luzern zeigen, dass die Zahl der kritischen Fälle sehr klein ist. Der Kontroll-aufwand ist dementsprechend sehr gering.
Aber Ende Jahr kann der Kanton kommen und sagen: Liebes Spital, ihr habt da noch viel zu viele stationäre Aufenthalte, oder?
Das Ziel ist, Behandlungen, die sinnvollerweise ambulant gemacht werden können, auch ambulant durchzuführen. Wir werden nach den Sommerferien zusammen mit der Spitalleitung eine Zwischenbilanz ziehen, um zu sehen, was gut läuft und was im Sinne der Patientinnen und Patienten verbessert werden kann.
Der Kanton spart damit 500 000 Franken jährlich, aber es entstehen beträchtliche Mehrkosten im Spital. Geht die Rechnung auf?
Für die Spitäler ergeben sich tatsächlich Nachteile, weil die heutigen ambulanten Tarife die Kosten nicht decken. Aus einer übergeordneten Sicht geht die Rechnung aber dennoch auf. Der Aufwand im Spital ist mit Sicherheit kleiner, wenn ein Patient ambulant operiert wird und ohne Beanspruchung eines Spitalbettes am gleichen Tag wieder nach Hause geht. Und am anderen Ende bedeutet jeder Franken, den das Spital nicht verrechnen kann, eine Einsparung für das Gesamt- system.
Rächt sich das schliesslich nicht mit steigenden Krankenkassenprämien?
Prämienzahlende sind auch Steuerzahlende. Es ist tatsächlich so, dass ambulante Behandlungen voll zulasten der Krankenkassen gehen. Wenn die Spitäler den ambulanten Tarif möglichst ausreizen, um entgangene Erträge zu kompensieren, könnte es zu leicht höheren Prämien kommen. Wenn aber alle Beteiligten die neuen Regeln verantwortungsvoll anwenden, geht die Rechnung für alle auf.
Es ist mehr Vorbereitung nötig, wenn Patienten an einem Tag «abgefertigt» werden müssen, aber auch die Phase nach dem Eingriff ist riskant. Befürchten Sie nicht, dass es da reihenweise zu Härten kommt?
Das Wohl der Patientinnen und Patienten steht im Vordergrund. Das kann für viele Patienten auch heissen, rasch, also am selben Tag, wieder nach Hause gehen zu können. Aber schliesslich entscheidet der behandelnde Arzt zusammen mit dem Patienten.
Interview: Mark Liebenberg
Es klingt vernünftig: Sogenannte minimalinvasive Eingriffe im Spital sollen künftig schneller, effizienter und ohne stationären Spitalaufenthalt über die Bühne gehen. Wer bleibt denn schon gerne freiwillig im Spital? Trotz Fortschritten in der Medizin gibt es in der Schweiz überdurchschnittlich viele Spitalaufenthalte. Das verursacht hohe Kosten und trägt dazu bei, dass das Gesundheitssystem insgesamt immer teurer wird und die Krankenkassenprämien steigen. Bei stationären Behandlungen zahlen aber auch die Kantone kräftig mit. Denn sie tragen 55 Prozent der Kosten eines Spitalaufenthalts, den Rest zahlt die Krankenkasse. Bei ambulanten Eingriffen zahlen die Kassen allein. Und die Patienten zahlen einen Selbstbehalt von 10 Prozent.
Die Verlagerung von stationär zu ambulant treibt seit Anfang Jahr auch der Kanton Schaffhausen aktiv voran. Er hält sich dabei an den Kanton Zürich, von dem die Spitäler Schaffhausen auch einen Leistungsauftrag haben. In Zürich dürfen die Spitäler 27 Eingriffsklassen in den Spitälern nur noch ambulant vornehmen. Schaffhausen hat Ende 2017 nun ebenfalls eine Anzahl von operativen Eingriffen auf die schwarze Liste gesetzt. 16 Eingriffe, die am Kantonsspital gemacht werden, müssen – von wenigen Ausnahmen und Härtefällen abgesehen – grundsätzlich ambulant durchgeführt werden.
Plötzliche Eile
Das Kantonsspital muss spätestens auf 1. Mai 2018 umrüsten, so schreibt es der Kanton vor. Mit jährlich zwischen 300 und 500 Eingriffen rechnet man, die an einem Tag ohne Übernachtung durchgeführt werden können. Nun sei es nicht so, dass man nicht schon manchen Eingriff, der früher stationär gewesen sei, heutzutage ambulant mache – etwa gynäkologische Eingriffe sowie Chirurgie an der Hand, erklärt der Medizinische Direktor Markus Eberhard: «Neu wird aber die Entscheidung, ob ein Patient stationär eintritt oder nicht, nicht mehr vom Arzt mit dem Patienten zusammen gefällt, sondern ist durch die Eingriffsart vorgegeben.» Wofür man früher zwei, drei Tage Zeit hatte, soll neu in ein paar Stunden passieren. «Für die Patienten, gerade für ältere, dürfte dies anspruchsvoll werden», sagt Eberhard.
Im Spital steht man damit vor einigen Problemen. «Uns überrascht die plötzliche Eile, mit der wir diese Vorgaben jetzt umsetzen müssen», sagt Spitaldirektor Hanspeter Meister. Der Entscheid wurde den Spitälern Schaffhausen nämlich erst am 15. Dezember schriftlich mitgeteilt. De facto gilt die neue Regelung per 1. Januar. «Wir haben also nur vier Monate Zeit. Die Umstellung im Kantonsspital ist alles andere als einfach», sagt Meister.
Abläufe anpassen
Chefarzt Eberhard erklärt, was die Umstellung bedeutet: «Zunächst müssen wir die vorgeschalteten Abklärungen neu organisieren.» Dazu gehören Aufklärung, Abklärungen zur Operationsfähigkeit des Patienten, Narkosegängigkeit, die Untersuchungen zum Allgemeinzustand und weitere Vorbereitungen. Eberhard schätzt, dass dafür je nach Fall mehrere Termine nötig werden könnten, zu denen der Patient ins Spital kommen oder den Hausarzt konsultieren muss. «Am Tag des Eingriffs selbst müssen die Patienten fertig vorbereitet für die Operation ins Spital kommen.»
Es gibt aber nicht nur zeitliche, sondern auch personelle und räumliche Herausforderungen, die am Spital zu meistern sind. «Gerade nach dem Eingriff hat dies Änderungen in der Behandlungskette zur Folge», sagt Eberhard. Will heissen: Aufwachen nach dem Eingriff, Überwachung, Ausruhen, eventuell auch Sozialräume für den Aufenthalt beim Warten auf die Nachkontrolle – das alles erfordert Änderungen im Raumprogramm und beim Personal. «Es wird eine Verlagerung in den ambulanten Bereich geben», so Meister. Was dies für das Personal bedeute, sei bislang noch schwer abzuschätzen. «Aufgrund der kurzen Frist zur Umsetzung werden wir hier aber bald Klarheit haben», sagt der Spitaldirektor. Denn auch bei der Nachsorge steige der Koordinationsaufwand aufseiten des Spitals, erklärt Eberhard: «An wen wendet sich der Patient, wenn er nach dem Eingriff zu Hause Schmerzen oder andere Beschwerden hat? Hier müssen wir die Zusammenarbeit mit Hausärzten und Spitex neu aufgleisen.»
«Begründete Ausnahmefälle»
Noch stehe man am Anfang. Klar ist bis jetzt nur, dass die Ärzte die indexierten Behandlungen in «begründeten Ausnahmefällen» auch weiterhin bei stationärem Aufenthalt durchführen dürfen. Hierfür gibt es eine Checkliste. «Tatsächlich müssen wir nun neu begründen, wieso wir einen Patienten bei den betreffenden Eingriffen stationär behandeln möchten», erklärt Eberhard. Zu den Gründen zählen etwa schlechte Transportmöglichkeiten, schlechte Erreichbarkeit zu ärztlicher Versorgung in den ersten 24 Stunden nach dem Eingriff, mangelhafte oder gar keine Betreuung. «Das alles müssen wir abklären.» Das Gesundheitsamt wird künftig kontrollieren, ob eine begründete Ausnahme berechtigt war oder nicht.
Im Spital rechnet man damit, dass am Ende des Jahres sorgfältig geprüft wird, ob die Spitäler Schaffhausen die Umlagerung vollzogen haben. «Der Kanton könnte dann zum Schluss kommen, dass wir immer noch zu viele Patienten stationär betreuen, und dann über das Globalbudget Druck ausüben», befürchtet Meister.
Katarakt; Handchirurgie; Fusschirurgie (Ausnahme: Schiefstand des Grosszehs); Osteosynthesematerialentfernung; Kniearthroskopien inkl. Engriffen am Meniskus; Herzkranzgefässerweiterungen; Herzschrittmacher inkl. Wechsel; Krampfadern an der unteren Extremität; Erweiterung oder Wiedereröffnung von verengten oder verschlossenen Blutgefässen inkl. Ballondilatation; Hämorrhoiden; Leistenhernie einseitig und exkl. Eingriffe bei Rezidivhernien; Zirkumzision; Eingriffe am unteren Gebärmutterhals; Eingriffe am Uterus; ESWL-Behandlungen von Nieren und Harnleitersteinen; Teilentfernung der Gaumen- und Rachenmandeln.
Bei 300 bis 500 Patienten pro Jahr bedeute diese Umstellung für das Kantonsspital eine einschneidende Veränderung der Abläufe. 10 913 Patienten waren im Jahr 2016 an den Spitälern stationär behandelt worden. Vom Kanton sei ein pragmatisches Vorgehen versprochen worden, erklärt der Spitaldirektor: «2018 wird wohl noch ein Übergangsjahr sein. Wir werden jetzt die Neuregelung Fall für Fall einführen müssen.»
Eine Million tiefere Einnahmen
Wenn die Regelung voll greift, dann rechnet man am Spital mit Mindereinnahmen in Höhe von rund 1 Million Franken jährlich. Der Kanton will damit jährliche Einsparungen von 400 000 Franken realisieren. Die Einbusse falle beim Spital höher aus, weil ambulante Leistungen mit dem Tarmed-Tarifsystem geringer abgegolten würden als stationäre mit den Fallpauschalen, erklärt der Spitaldirektor. «Die ambulanten Tarife sind für das Spital nicht in jedem Fall kostendeckend.»
Es gehe aber nicht allein um betriebswirtschaftliche Überlegungen, sagt Meister: «Die Verlagerung bringt das Spital auch in eine schlechtere Situation den Patienten gegenüber. Denn diese haben, ausser dass sie das Spital schneller verlassen können, kaum Vorteile.» Und dies nicht nur gegenüber allgemeinversicherten Patienten, sondern auch gegenüber solchen mit Zusatzversicherung. Ambulante Leistungen werden bekanntlich ungeachtet der Versicherungsart erbracht. «Privat oder halbprivat Versicherte haben keinen Anspruch auf eine privilegierte Behandlung, wie dies bei einem stationären Aufenthalt der Fall wäre», sagt Meister.
Sinn und Unsinn?
Dazu kommt, dass Bundesrat Berset mit seinem letztjährigen Tarmed-Eingriff die reduzierte Abgeltung verschiedenster Untersuchungen und Behandlungen bewirkt hat. Beispielsweise soll bei den ambulanten Eingriffen nach den Plänen aus Bern künftig die Konsultation pro Patient auf zwanzig Minuten beschränkt werden. «Diesen Entwicklungen stehen wir weitgehend machtlos gegenüber», sagt Eberhard. Die Spitäler Schaffhausen rechnen als Folge dieser Anpassungen mit Ertragseinbussen von jährlich gegen 1,5 Millionen Franken. Zusammen mit der Verlagerung zu ambulant macht dies summa summarum rund 2,5 Millionen Franken an Mindereinnahmen aus. Die von der Politik vorgeschriebene Verlagerung von stationär zu ambulant sei, wenn sie betrieblich gut vorbereitet sei, gewiss zu bewältigen, meint Spitaldirektor Meister. «Volkswirtschaftlich betrachtet, macht sie wohl auch Sinn.»