Sparbremse trifft das Kantonsspital hart

Mark Liebenberg | 
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Untersuchungen im Magnetresonanztomografen verursachen stark wachsende Kosten. Jetzt schreitet der Bund ein. Bild: Key

700 Millionen Franken will Bundesrat Berset mit einer Revision des Ärztetarifs sparen. Allein an den Spitälern Schaffhausen würde das einen siebenstelligen Betrag pro Jahr ausmachen.

Mit dem geplanten Absenken zahlreicher Tarifpositionen für ärztliche Leistungen sorgt Gesundheitsminister Alain Berset für Fieberschübe im Gesundheitswesen. Die Krankenversicherer loben das Vorhaben, die Ärzteschaft protestiert. Der Bund will die Revision des seit bald 20 Jahren unveränderten Tarifsystems von sich aus vornehmen, nachdem die Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Ärzten über einen neuen Tarif letztes Jahr gescheitert waren.

Dass der Bund jetzt die Reissleine zieht, liegt in einem besorgniserregenden Kostenwachstum begründet. Zahlreiche Anpassungen am Tarmed sollen daher nun 700 Millionen Franken einsparen. Die Korrekturen betreffen insbesondere Behandlungen, die sich dank technischer Fortschritte rascher vornehmen lassen. Weiter sollen dieselben Leistungen von Fachärzten und Hausärzten nicht mehr unterschiedlich berechnet werden können. Der Aufwand, den Ärzte «in Abwesenheit des Patienten» in Rechnung stellen können – einer der vermuteten grossen Kostentreiber der letzten Jahre –, soll präziser definiert und limitiert werden (von 60 auf 30 Minuten pro Monat). Und die Notfallpauschale soll nur noch in echten Notfällen verrechnet werden können.

Es geht um ambulante Leistungen

«In den Spitälern Schaffhausen würden bei gleichbleibenden Leistungen die Erträge um einen siebenstelligen Betrag sinken», gibt dazu Hans­peter Meister, Direktor der Spitäler Schaffhausen, zu bedenken. Während die stationären Spitalaufenthalte, die mit Fall- oder Tagespauschalen abgerechnet werden, nicht betroffen sind, steht das ambulante Leistungsangebot im Kantonsspital und im Psychiatriezentrum umso mehr im Fokus.

Meister nennt Beispiele, wo die Kürzungen greifen würden: So sollen Ärzte für zusätzliche Scans in der Radiologie (Magnetresonanz- und Computertomografie) keine Beträge mehr abrechnen können, weil die diagnostischen Untersuchungen von nichtärzt­lichem Fachpersonal durchgeführt werden. Weiter soll etwa bei Darmspiegelungen sowie Eingriffen wegen Grauem Star oder einer Einengung des Handmittelnervs der abrechenbare Zeitaufwand gesenkt werden.

Konsultationen mit der Stoppuhr?

Im Kantonsspital, aber auch in der Psychiatrie sorgt die vorgesehene Limitierung der Grundkonsultation gemäss Meister für Kopfzerbrechen – denn wie in allen anderen Bereichen sollen nur noch limitierte Zeitaufwendungen vergütet werden. Leistungen wie telefonische Rücksprachen mit anderen Ärzten oder das Studium von Arztberichten würden schwieriger verrechenbar. «Vor allem bei der Behandlung von multimorbiden und älteren Patienten, für welche oftmals viel Zeit erforderlich ist, erscheint diese Massnahme sehr fraglich», so Meister. Man wäre dann in den Spitälern aus finanziellen Gründen gezwungen, die Leistungsdichte zu erhöhen und die Abläufe teilweise anzupassen. «Zum Beispiel, indem Konsultationen oder Behandlungen gesplittet werden, sodass für eine Prozedur statt nur einer Konsultation mehrere nötig sind.» Es bestehe somit das Risiko, dass auf Kosten der medizinisch sinnvollsten und für den Patienten angenehmsten Behandlung teilweise eine verstärkte Ausrichtung nach ökonomischen Gesichtspunkten erfolgen würde.

Stark betroffen wären auch das Notfallzentrum des Kantonsspitals sowie generell Walk-in-Kliniken in den grösseren Städten. Die Notfallpauschale, die in diesen Einrichtungen den Krankenkassen bisher relativ einfach in Rechnung gestellt werden konnte, soll nur noch von Arztpraxen verrechnet werden können. Bisher war die Pauschale auch ein Beitrag an die grossen Vorhalteleistungen dieser Institutionen. «Man müsste das Leistungs­angebot in der notfallärztlichen Versorgung in der Region wohl neu überdenken, wenn unsere Leistungen nicht mehr kostendeckend abgegolten werden», sagt Meister.

«Wir müssten die notärztliche Versorgung wohl neu überdenken, wenn unsere Leistungen nicht mehr kostendeckend abgegolten werden.»

Hanspeter Meister, Direktor Spitäler Schaffhausen

Der Spitaldirektor glaubt, die Revision könnte genau das Gegenteil dessen bewirken, was angestrebt sei. «Das Prinzip ambulant vor stationär, also die Vermeidung von unnötigen Spitalaufenthalten, ist allseits anerkannt. Wenn die Spitäler nun gleichzeitig mit Tarifreduktionen im ambulanten Bereich konfrontiert werden, in dem schon heute eine Unterdeckung resultiert, dann fehlen der Anreiz und die Motivation, diese Verlagerung aktiv mitzutragen. Vielmehr gewinnt die Tendenz, Patienten vermehrt stationär zu behandeln, wieder an Gewicht.»

Im Dickicht des Tarifdschungels

Für die Patienten hätte die Revision zur Folge, dass für ambulante Behandlungen hier und dort die Rechnung günstiger käme. Nicht nur aus diesem Grund begrüssen die Krankenkassen die Sparpläne des BAG. Verena Nold, Direktorin des Krankenkassenverbandes Santésuisse, sagt auf Anfrage: «Es ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.» Beim Kassenverband bezweifelt man jedoch, dass die angepeilten Einsparungen von 700 Millionen Franken tatsächlich erreicht werden – und sich dämpfend auch auf das Prämienwachstum auswirken. Nold relativiert die Wirkungskraft der Kürzungen und weist auf das Dickicht im Tarifdschungel hin. «Betroffen ist zwar ein grosser Teil der insgesamt 4600 Tarmed-Positionen, aber vor allem solche im spezialärzt­lichen Bereich. Es steht zu befürchten, dass die Ärzte die Kürzungen erneut über Tarifpositionen in der Grundversorgung kompensieren.» Weil er auf Einzelleistungen basiert, erlaube es der Tarmed den Ärzten weiterhin, praktisch unlimitiert Leistungen über andere Positionen abzurechnen, womit sich der BAG-Eingriff umgehen lässt.

Die Zukunft sieht man bei Santésuisse eher in ambulanten Pauschalen: «Die gleiche Leistung, vor allem häufige, ambulant vorgenommene Eingriffe, sollte zum gleichen Durchschnittspreis abgerechnet werden und nicht nach Zeitaufwand», so Nold. Zum Beispiel mit den Radiologen oder den Augenärzten will Santésuisse schon in wenigen Monaten Verhandlungen über eine Tariflösung mit Pauschalen abschliessen.

Tarmed-Revision: Zahlen und Fakten

System: Der Tarmed ist der Tarif für ambulante ärztliche Leistungen in Arztpraxen und Spitälern. Jede medizinische Leistung löst Kosten in der Höhe einer bestimmten Anzahl Taxpunkte aus; jeder Taxpunkt wiederum hat einen bestimmten Frankenwert, der von Kanton zu Kanton variiert. Rund 4600 einzelne Leistungen sind im TarmedKatalog definiert.

Revision: Die festgelegten TarmedTarife stammen zum Teil noch aus den 90er-Jahren und müssen dringend revidiert werden. Da sich die Tarifpartner nicht einigen konnten, hat das Bundesamt für Gesundheit Korrekturen und Tarifsenkungen vorgenommen, die auf den 1. Januar 2018 in Kraft treten sollen.

Vernehmlassung:  Die Vernehmlassungsfrist läuft bis Ende Juni 2017. Es wird erwartet, dass die Ärzte vor Gericht ziehen.

Tarmed-Revision: Ärzte wollen keine «Fliessbandmedizin» und warnen vor Kostenverlagerungen

Zwar werden mit der Tarmed-Revision des Bundesamts für Gesundheit (BAG) die Spezialärzte und die Spitalambulatorien härter angepackt als die Hausärzte. Dennoch herrscht auch im Schaffhauser Hausarztverein Unzufriedenheit vor. Ihr Präsident Martin Bösch sagt: «Leider geht es hier nicht um eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Mittel, sondern ums Sparen.» Es sei unklug, die nötigen Anpassungen mit einem Sparziel zu verknüpfen. Mit der strengeren Limitierung des anrechenbaren Zeitaufwands pro 
Patient entstehe in der Praxis teilweise grosser Zeitdruck, sagt Martin Bösch. Und dies bei einer immer stärkeren Anspruchshaltung in der Bevölkerung, die sich die beste medizinische Versorgung wünsche. «Standardisierte Konsultationswarenkörbe verbessern die Situation nur im Bereich der Kurzkonsultationen.» Bei längeren, umfangreicheren Konsultatiion komme es zu Abstrichen, und vor allem operative und technische Untersuchungen würden künftig deutlich schlechter tarifiert. «Ganz konkret befürchten wir eine Entwicklung wie im nördlichen Umland, dass Ärzte, die Patienten mit einfachen Problemen im Minutentakt abfertigen, besser fahren als solche, die sich für ihre Patienten Zeit nehmen – und so aufwendige Untersuchungen und Spitalaufenthalte einsparen helfen», so Martin Bösch weiter. Statt dessen nehme die Tendenz zu Fliessbandmedizin zu.

Nationale Strategien untergraben Als besonders störend betrachten die Hausärzte, dass die Tarifposition «Arbeit in Abwesenheit des Patienten» künftig erschwert abrechenbar ist. Ärzte können somit Kontakte mit Angehörigen, anderen Ärzten, das Studium der Krankenakten, Round-Tables in Fachkreisen oder Konferenzen vor einer Spitalentlassung nicht mehr so einfach wie bisher in Rechnung stellen. «Das läuft den Ansätzen zu interprofessionellem Handeln und der Umsetzung einiger nationaler Strategien wie etwa der Palliative Care grundsätzlich zuwider», findet Bösch.

«Wahrscheinlich erwartet das Bundesamt, dass der Arzt die entstehenden Kosten selber trägt.»
Martin Bösch, Präsident des Hausarztvereins

Auch unter den Mitgliedern der Kantonalen Ärztegesellschaft rumort es ob der BAG-Plänen gewaltig. Paul Bösch, Präsident des Vereins mit über 240 Ärztinnen und Ärzten, die sowohl in freier Praxis als auch in Spitälern und Kliniken tätig sind, hält den Tarifeingriff für nicht sachgerecht. «Es ist gar nicht zu erwarten, dass das BAG innert weniger Monate eine differenzierte Vorlage vorlegen kann.» Korrekturen seien am seit über zwölf Jahren gültigen Tarif unumgänglich. «Aber sie sollten die Realitäten der ambulanten Praxistätigkeit fair abbilden», findet Paul Bösch. Viele ambulante Bereiche könnten nicht mehr kostendeckend arbeiten, zum Beispiel die Pädiatrie und Teile der Psychiatrie. «Gewisse Leistungen können wohl nicht mehr angeboten werden. Dadurch ergibt sich wieder eine Verlagerung in den teureren stationären Bereich, womit das hehre Sparziel zunichtegemacht wird.» Um gewisse Leistungen aufrechtzuerhalten, müsste wohl die öffentliche Hand immer mehr einspringen – bei der Finanzierung des Leistungsangebotes oder dann halt bei den Prämienvergünstigungen. Ein Kostenproblem sieht Paul Bösch nicht. «Wir haben weltweit eines der besten Gesundheitswesen und eine der höchsten Lebenserwartungen. Das kostet. Der Kostenanstieg ist aber viel weniger hoch, als der Prämienanstieg der letzten Jahre suggeriert», sagt Bösch. Nur ein Siebtel der Gesamtkosten verursache der ambulante Bereich, wo jetzt der Sparhebel angesetzt wird. «Wenn man wirklich sparen wollte, müsste man auch die Medikamentenpreise und das Krankenkassenwesen unter die Lupe nehmen.» 

Tarmed-Revision: Zahlen und Fakten

System: Der Tarmed ist der Tarif für ambulante ärztliche Leistungen in Arztpraxen und Spitälern. Jede medizinische Leistung löst Kosten in der Höhe einer bestimmten Anzahl Taxpunkte aus; jeder Taxpunkt wiederum hat einen bestimmten Frankenwert, der von Kanton zu Kanton variiert. Rund 4600 einzelne Leistungen sind im TarmedKatalog definiert.

Revision: Die festgelegten TarmedTarife stammen zum Teil noch aus den 90er-Jahren und müssen dringend revidiert werden. Da sich die Tarifpartner nicht einigen konnten, hat das Bundesamt für Gesundheit Korrekturen und Tarifsenkungen vorgenommen, die auf den 1. Januar 2018 in Kraft treten sollen.

Vernehmlassung:  Die Vernehmlassungsfrist läuft bis Ende Juni 2017. Es wird erwartet, dass die Ärzte vor Gericht ziehen.

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