«Anna Göldi» fasziniert das Publikum

Alfred Wüger | 
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Standing Ovations am Ende der Premiere des Musicals «Anna Göldi» auf dem SIG-Areal in Neuhausen am Rheinfall. Starke Sängerinnen und Sänger prägen das Stück über die letzte Hexenhinrichtung in der Schweiz.

Es fing an wie im Kino. Auf dem Bühnenhintergrund erschienen alte Postkartenansichten, eine Stimme aus dem Off stimmte das Publikum auf das kommende dramatische Geschehen ein: «Werden Sie Zeuge, wie die Wahrheit ans Tageslicht kommt.»

Die Wahrheit, um die es während der folgenden gut zwei Stunden ging, war die Wahrheit der Anna Göldi, einer Dienstmagd aus dem Rheintal, die bei einem Glarner Richter, dem Doktor Johann Jakob Tschudi, eine Anstellung fand. Und Tschudi fand Gefallen an der Magd, schwängerte sie und brauchte einen Grund, sie loszuwerden. Was lag da näher, als sie der Hexerei zu bezichtigen? Schliesslich hatte das Miggeli, die Tochter des ehrbaren Richters, eines Morgens Nägel gespuckt. Sie waren in der Milch gewesen.

Ein optisch reizvolles Spektakel

Diese Geschichte – dargestellt im Roman «Anna Göldi» von Eveline Hasler und in einem kürzlich im Limmat-Verlag erschienenen Buch von Walter Hauser mit dem Titel «Anna Göldi, Hinrichtung und Rehabilitierung» – erzählte das Musical aus der Feder von Mirco Vogelsang auf eine nicht lineare und daher auch nicht primär dramatische Weise, sondern als die Geschichte einer Aufklärung. Als Aufklärer fungierte der Journalist Heinrich Ludwig Lehmann, der nach der Hinrichtung der Anna Göldi nach Glarus kommt und den Fall aufrollt. Dieser erzähltechnische Kunstgriff ermöglicht dem Musical-Autor zahlreiche Zeitblenden und dadurch eine sozusagen analytische Durchleuchtung dessen, was in der Vergangenheit geschah.

Dabei wird die riesige Bühne sehr geschickt bespielt. Einerseits als Einheit für Massenszenen, andererseits als Gefäss für durch bewegliche Elemente darstellbare Räume, sodass mühelos von der einen zur anderen Szene gewechselt werden kann. Dazu kommen Videoprojektionen auf den Bühnenhintergrund, die den Raum nochmals erweitern. Fazit: Das Musical «Anna Göldi» ist zunächst einmal ein optisch reizvolles Spektakel, das die Zuschauer von Beginn weg fesseln kann.

 

 

Musikalisch geht es von der zarten Spieldosenmelodie zu Beginn recht zackig hoch in pathetische Lautstärke zu den Zeilen: «Wer ohne Schuld / der werfe den ersten Stein». Dieser Bombast ist etwas gewöhnungsbedürftig, anderseits ist die Gattung Musical eine plakative Kunstform, die fadengerade auf die Emotionen zielt. «Dieses Pathos schadet nicht», sagte der Schaffhauser Theater-Shpektakel-Erfinder Damir ­Zizek und fügte hinzu: «Schon Mozart sagte, es muss knallen.» Das Herz trifft «Anna Göldi» hier und dort auf faszinierende Weise. Zum Beispiel in der Gespensterszene, wo die Angst des Miggeli so dargestellt wird, dass Mitgefühl mit dem Mädchen aufkommt. An der Premiere wurde das Miggeli gesungen von Lena Pallmann, und zwar sehr gut. Sehr gut und unglaublich kraftvoll waren auch die Stimmen von Simon Schnorr als Doktor Tschudi, Eveline Suter als dessen Frau Elsbeth und natürlich von Mascha Karell in der Titelrolle. In diesen Szenen kamen die Spannungen zwischen den Eheleuten Tschudi, die spannungsvolle Polarität zwischen dem Richter und Anna Göldi und die Gemeinsamkeiten zwischen der Elsbeth Tschudi und Anna Göldi ausgezeichnet zum Tragen. Mehrfach klatschte das Premierenpublikum spontan Applaus.

«Dieses Pathos schadet nicht. Schon Mozart hat gesagt, dass es knallen muss.»
Damir ­Zizek, Theater-Shpektakel-Erfinder

Ein musikalisches Element liess aufhorchen, denn es erinnerte stark an das Lied «Lass jetzt los» aus der Disney-Produktion «Die Eiskönigin». Zum ersten Mal erklang das Lied, als der frühere Mann der Anna Göldi auftauchte und sie zusammen im Park sassen – auch diese Szene ein Beispiel, wie mit Licht gearbeitet wurde: Man wähnte sich in einem Park. Später sah man eine Projektion des Münsters zu Allerheiligen in Schaffhausen. Da sassen schon Leute in den Bänken, und zu ihnen gesellten sich dann die Schauspieler, sodass sich Bild und Handlung, Statik und Dynamik vermischten und die Sache vorantrieben.

Draussen im Foyer unterhielt man sich angeregt über das, was man bis dahin gesehen hatte. Auch Personen, die sich der Kunstgattung Musical gegenüber skeptisch zeigten, sagten, sie seien vom Gebotenen sehr angetan. Das Ambiente der ehemaligen Industriehalle erwies sich dabei als atmosphärischer Selbstläufer.

Nach der Pause – sie dauerte wegen einer technischen Panne etwas länger als geplant – wies die Inszenierung einige Längen auf, aber dann ging’s flott auf die Chorszene am Schluss zu. Fazit? Die Premiere ist gelungen, das Stück hat das Zeug zu einem künstlerischen Erfolg und kam gut an. Die Leute auf den nicht ganz lückenlos besetzten Rängen spendeten stehend Applaus.

 

Reaktionen Die Besucher der Musical-Premiere waren sich nach dem Besuch in vielen Punkten einig

Viel Lob für das aufwendige Bühnenbild und den Spielort

 

Musiker Toni Vescoli und Frau Ruth waren beeindruckt von «Anna Göldi». «Es ist sehr anspruchsvoll inszeniert», sagte Toni Vescoli in der Pause. Der Schweizer Singer-Songwriter kennt einen der Darsteller. Er sei ab und zu mal im Publikum eines Musicals zu finden.

 

Der Neuhauser Gemeinderat Ruedi Meier und Marianne Huber waren vor allem von der Hauptdarstellerin Masha Karell als Anna Göldi begeistert. Sowohl Spiel als auch Stimme der gebürtigen Frankfurterin überzeugte die beiden. Die Thematik des Musicals sei spannend – Anna Göldi als Frau, die für die damalige Zeit wohl zu stark und selbstbewusst war. «Wir sind stolz, dass das Musical in Neuhausen stattfindet», sagte Ruedi Meier.

 

Besonders das Bühnenbild fanden Peter und Ursula Neukomm gelungen. Ursula Neukomm ist als Glarnerin mit der Geschichte von Anna Göldi vertraut. Wer dies nicht sei, für den könnte die Inszenierung vielleicht etwas schwer verständlich sein, merkte sie an. Stadtpräsident Neukomm wünschte der Produktionsfirma viel Gelingen – das Musical sei kommerziell sehr anspruchsvoll. Bettina Maier und EHC-Schaffhausen-Präsident André Leder gefiel das Ambiente in der alten Industriehalle auf dem SIG-Areal. Die Halle befindet sich zudem unmittelbar neben dem Rheinfall.

 

Aus Konstanz angereist sind Ana Gutschke und Sophia Cecco. Die beiden kennen Darsteller Raphaël Tschudi, der den Journalisten Heinrich Ludwig Lehmann spielt. «Anna Göldi» ist das erste Musical, das die beiden besuchten. Sie kennen sich eher in der Theaterwelt aus, arbeiten als Regieassistentinnen. «Ich bin sehr beeindruckt von der Musik», sagte Gutschke. Auch die Requisiten und das Bühnenbild seien genial. «Es passt alles», so Cecco. Nur die Geschichte des Musicals war für die beiden, die mit «Anna Göldi» nicht vertraut waren, bisweilen etwas schwer nachzuvollziehen.

 

SVP-Kantonsrat Markus Müller und Frau Angela posierten mit einem Besen. Diese gab es als Merchandise-Artikel am gestrigen Abend zu kaufen. Markus Müller empfand die frühere Industriehalle als perfekten Ort für die Musicalproduktion. «Auch die Lage direkt beim Rheinfall ist sagenhaft», sagte der Politiker.

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