Wenn sich Arbeit nur noch knapp auszahlt

Anna Kappeler | 
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Der tiefe Milchpreis zwingt Milchbauern zunehmend dazu, ihren Betrieb aufzugeben. Auch dem Präsidenten des Schaffhauser Bauernverbandes macht der Preisdruck zu schaffen. Eindrücke vom Hof.

Den Vorführeffekt scheint es auch bei Kühen zu geben. 31-mal klappt alles problemlos, da reihen sich die Tiere unaufgeregt nebeneinander im Melkstand von Milchbauer Christoph Graf ein. Doch die 32. Kuh, die letzte, die an diesem regnerischen Juliabend noch gemelkt werden muss, bleibt verschwunden. Statt wie ihre Artgenossinnen selbständig in den Melkstand zu trotten, hat sie sich in die hinterste Ecke des Hofs zurückgezogen. Von dort muss der Bauer sie nun nach vorn treiben. Das Tier aber will nicht, bleibt störrisch wie ein Esel stehen. Nur mit viel Geduld gelingt es dem Ramsener, das Tier doch noch zum Melkstand zu bringen. Graf, das merkt man schnell, liebt seine Tiere. Und er ist Bauer aus Leidenschaft. Spricht der Präsident des Schaffhauser Bauernverbands über seine Arbeit, tut er das voller Berufsstolz.

Bauernverband macht Druck

Zu schaffen mache ihm allerdings der tiefe Milchpreis. Damit ist Graf nicht allein, in den letzten 15 Jahren waren landesweit rund 15 000 Milchbauern gezwungen, ihren Betrieb aufzugeben, weil dieser nicht mehr rentierte. Das geht aus Zahlen des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) hervor. Laut BLW haben Milchproduzenten im vergangenen Jahr 60,64 Rappen pro Kilo Milch bekommen. Das ist ein neuer Tiefstand (vgl. Grafik oben). 2008 waren es noch 78,29 Rappen gewesen.

Der Schweizer Bauernverband (SBV) hat im Streit um den Milchpreis kürzlich öffentlich gegen die Abnehmer Stellung bezogen. Der Richtpreis für Molkereimilch, die im Inland vertrieben wird (sogenannte A-Milch, vgl. Box unten), liegt bei 65 Rappen pro Kilo. Doch bei zweien der vier grössten Milchverarbeiter in der Schweiz ist dieser Richtpreis gemäss den SBV-Zahlen bereits tiefer. Dazu kommen je nach Abnehmer bis zu 15 Rappen an Abzügen, etwa für die Vermarktung. Netto bleiben so rund 50 bis 60 Rappen pro Kilo Milch. Zu wenig zum Überleben, klagt der SBV. Er fordert die Verarbeiter auf, sich an den Richtpreis zu halten und «ungerechtfertigte Abzüge» abzuschaffen.

Die Milchabnehmer wehren sich: Man halte sich an den Richtpreis, sagte etwa eine Emmi-Sprecherin dem «Tages-Anzeiger». Der Produzentenpreis sei tief, weil «niemand so viel exportiert wie Emmi», und folglich könne nicht immer der A-Preis bezahlt werden. Der Grossverteiler Coop, der mit Emmi zusammenarbeitet, hat inzwischen beschlossen, freiwillig 3 Rappen mehr für das Kilo Milch zu bezahlen und diese Kosten selbst zu tragen. Die Migros ihrerseits will zwar nicht mehr bezahlen, argumentiert aber, sie halte bei ihrer Tochter Elsa den Richtpreis strikt ein.

Bis zu 24 Kilo Milch pro Kuh

Grafs Tiere leben in einem Freilaufstall und können sich den ganzen Tag frei zwischen Auslauf und Stall bewegen. Nur für das Melken werden sie in den sogenannten Warteraum vor dem Melkstand getrieben. Pro Melkgang gibt ein Tier bei Graf bis zu 24 Kilo Milch, er spricht von einem Stalldurchschnitt von 8500 Kilo pro Kuh und Jahr. Zu Beginn zieht Graf Einweghandschuhe an, damit das vom Menschen übertragene Bakterium Staphylococcus aureus möglichst keine Euterentzündung bei den Tieren auslöst. Verhindern lässt sich die Erkrankung dennoch nicht immer, aktuell etwa fällt die Milch seiner «Spitzenkuh Doris» deswegen weg. Ihre Milch ist zwar geniess-, aber aus Hygienegründen nicht verkaufbar. Die Zitzen reinigt Graf zuerst mit Holzwolle, dann desinfiziert er mit einem jodhaltigen Dippmittel alle Zitzen und reibt sie mit einem Einwegtuch sauber. Nun melkt er von Hand an und testet die Qualität der Milch in einem Vormelkbecher mit einem Sieb. Flockt die Milch, kommt sie nicht in den Sammeltank, sondern in einen separaten Behälter. Dann wird die Melkmaschine mittels Vakuum angedockt. Vollautomatisch wird die Milch abgepumpt und in einem Behälter gesammelt. Lässt der Milchfluss nach, fällt das Melk­aggregat automatisch ab.

Inzwischen riecht es streng nach einer Mischung aus Gras, Kuh und frischer Milch, ein Geruch, der sich hartnäckig in Kleidern und Haaren festsetzt. «Jeden zweiten Tag kommt die Handelsgenossenschaft Mooh und holt meine Milch ab», sagt Graf zum weiteren Ablauf. Sie sammelt die Milch verschiedener Bauern und transportiert sie in Lastwagen zu Verarbeitern. Dann, als er über den Milchpreis spricht, hält Graf beim Melken inne. Sein fröhlicher Gesichtsausdruck verschwindet: «Natürlich, da macht man sich Gedanken und blickt etwas bang in die Zukunft.» Für eine faire Entlöhnung, so Graf, läge der Richtpreis statt bei 65 bei 70 bis 80 Rappen. Die Hoffnung, dass der Milchpreis in den nächsten Jahren wieder steige, habe er allerdings aufgegeben. Im Juni wurden Graf 19 000 Kilo Milch verrechnet, laut Rechnung gingen davon 15 000 Kilo ins A-Segment und 4000 Kilo ins B-Segment. «Die Mengen sind vollkommen willkürlich», enerviert er sich. Alle seine Milch fliesse in denselben Lastwagen, warum und zu welchen Teilen sie wie verarbeitet werde, könne er nicht überprüfen. «Die Segmentierung ist lediglich eine Rechtfertigung der Verarbeiter, damit sie den Preis drücken können.» Den Einwand, dass die Verarbeiter solche Vorwürfe von sich weisen, lässt Graf zwar gelten, hält aber an seiner Meinung fest.

«Aufgeben keine ernsthafte Option»

Im Nebenerwerb arbeitet Graf auf dem Bau: «Rein finanziell betrachtet, müsste ich die Kühe aufgeben und in Vollzeit auf dem Bau tätig sein.» Aber eben, er sucht nach Worten, das Herzblut, das sei bei den Tieren. «Aufgeben ist keine ernsthafte Option. Zumindest vorerst nicht. Noch halte ich durch.» Und Graf hat Glück: Sein Stall ist amortisiert. «Zum Leben reicht es gut, Reserven für Investitionen aber kann ich leider nicht anlegen.» Diese würden nötig, wenn die 9-jährige Tochter den Hof vielleicht einmal übernehmen wolle. So wie er ihn vom Vater und dieser ihn von dessen Vater übernommen habe. Wolle die Tochter nicht, akzeptierten er und seine Frau das. Denn wenn er etwas wisse, dann das: «Puure ohne Leidenschaft kommt – gerade heute – nicht gut.»

 

 

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