Die Gewerkschafterin von der Volkspartei

Sie ist keine Polizistin, und sie ist keine Linke. Trotzdem ist SVP-Kantonsrätin Virginia Stoll neue Präsidentin der Schaffhauser Polizeigewerkschaft. Warum nur?
Zum Polizeiverband
Geschichte: Der Polizeibeamten-verband Schaffhausen ist ein traditioneller Arbeitnehmer- verband. Seine Wurzeln reichen ins Jahr 1908 zurück. Damals entstanden zwei Gruppierungen, der Stadtpolizeimännerverband und der Landjägerverband.
Rolle: Der Verband vertritt die Interessen der Mitarbeitenden der Polizei. In dieser Funktion hat der Verband in der Vergangenheit immer wieder lautstark Kritik geübt, so etwa 2006, als es um die Lohn- und Personalpolitik ging.
Führungspersonen: Seit dem 9. Mai ist SVP-Kantonsrätin Virginia Stoll Präsidentin. Ihre Vorgänger waren unter anderem die SP-Kantonsräte Walter Vogelsanger (der jetzige Regierungsrat), Patrick Strasser und alt SP-Regierungsrat Ernst Neukomm. Neukomm war bereits in den Sechzigerjahren, vor seiner Wahl in die Regierung, Präsident gewesen.
Mitglieder: Der Verband hat aktuell 209 Mitglieder (inklusive Pensionierte).
Aus Wilchingen kommen zwei Frauen, die sich für die Schaffhauser Polizei starkmachen. Die eine ist SVP-Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel. Sie ist als Sicherheitsdirektorin von Amtes wegen oberste Chefin der Schaffhauser Polizei. Die andere ist Virginia Stoll. Sie ist ebenfalls in der SVP, politisiert für die Volkspartei im Kantonsrat und ist neue Präsidentin des Polizeibeamtenverbands Schaffhausen, also der Polizeigewerkschaft. Diese zählt gut 200 Mitglieder.
Der Verband war schon länger auf der Suche nach einer neuen Leiterin oder einem neuen Leiter gewesen. Stolls Vorgänger, Walter Vogelsanger, war im letzten August in die Schaffhauser Regierung gewählt worden, 2017 trat er sein Amt an. Er konnte als Mitglied der kantonalen Exekutive nicht gleichzeitig Arbeitnehmervertreter sein, weshalb er sein Verbandsmandat zur Verfügung stellte.
Nur SP-Männer
Dass nun ausgerechnet eine SVP-Kantonsrätin seine Nachfolge antreten würde, hatte wohl kein Aussenstehender erwartet. Denn für das Amt waren in der Vergangenheit immer gewerkschaftlich engagierte SP-Männer infrage gekommen. Leute vom Schlag eines Ernst Neukomm, oder eines Patrick Strasser. Strasser war Stolls Vorvorgänger im Amt. Als er im Jahr 2005 das Präsidium übernahm, schrieb der Verband: «Die Mitglieder sind überzeugt, einen sehr fähigen und überzeugten Gewerkschafter an die Verbandsspitze gewählt zu haben.»
Und jetzt also eine Vertreterin jener Partei, die sich nicht unbedingt einen Namen gemacht hat als Förderin des Schaffhauser Staatspersonals und als Vorkämpferin für die Rechte der Angestellten. Was, mit Verlaub, macht eine SVP-Kantonsrätin dann an der Spitze dieses Verbands?
Virginia Stoll ist nicht überrascht, als wir sie bei einem Besuch auf dem Hof der Familie in Wilchingen darauf ansprechen. «Wir von der SVP», sagt sie, während Jimmy, ihr Berner Sennenhund, es sich zu ihren Füssen bequem macht, «betrachten die Sicherheit als eines unserer Kernthemen. Da geht es nicht nur um schöne Worte. Dahinter stehen Menschen, welche für die Sicherheit sorgen, und für mich ist es selbstverständlich, dass wir uns für sie einsetzen. Das ist auch nicht an eine bestimmte Partei gebunden.»
«Wieso auch nicht?»
In der SVP sei ihre Wahl jedenfalls nicht auf Kritik gestossen, sagt sie. SVP-Kantonalpräsident Pentti Aellig bestätigt dies. «Ich sehe das Engagement positiv», sagt er. «Die Sicherheit ist als Thema tatsächlich sehr wichtig für uns.» Als Parteipräsident hoffe er allerdings, dass Stoll auch SVP-Anliegen in den Verband einbringen werde.
«Mein erster Gedanke war: Ich und die Polizei, bin ich da wirklich am richtigen Ort?»
Virginia Stoll, Präsidentin des Polizeibeamtenverbands
Fürs Verbandspräsidium angefragt worden war sie über einen Polizisten, der in Wilchingen lebt. «‹Das wär doch was für dich!›, sagte er mir. Mein erster Gedanke war: Ich und die Polizei, wäre ich da wirklich am richtigen Ort? Ich schlief über den Entscheid und sagte mir schliesslich, wieso auch nicht?»
Weder beruflich noch privat ist Stoll mit der Polizei verbunden. Streng genommen dürfte sie dem Verband, den sie mittlerweile führt, nicht einmal beitreten, denn die Mitgliedschaft ist eigentlich jenen vorbehalten, die bei der Polizei arbeiten. Dass eine externe Person an der Spitze steht, ist aber ein bewährtes System – auch ihre Vorgänger im Amt arbeiteten zum Zeitpunkt der Wahl nicht oder nicht mehr bei der Polizei. Die Unabhängigkeit des Chefs oder der Chefin ist wichtig, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Stoll muss nicht befürchten, dass ihr Einsatz für die Angestellten berufliche Konsequenzen für sie selbst haben könnte. «Weil ich selbst keinen Polizeihintergrund habe, war mir aber wichtig, einen Vorstand aus aktiven Polizistinnen und Polizisten hinter mir zu wissen, der mich unterstützt. Wenn immer möglich soll eine Person aus jeder Abteilung im Vorstand sitzen.»
Und wo drückt die Belegschaft der Polizei derzeit der Schuh? «Eine Diskussion dreht sich um die Dienstpläne. Einzelne Polizisten waren nicht glücklich, weil Änderungen der Dienstpläne ins Auge gefasst werden», sagt sie. Unter anderem gehe es um die Verteilung der Wochenenddienste.
Dies wolle sie bei ihrem ersten Treffen mit Polizeikommandant Kurt Blöchlinger aufs Tapet bringen. Apropos Blöchlinger: Nichts sagen kann Stoll zu den Vorwürfen, die an Blöchlinger gerichtet worden sind (die SN berichteten). Sie wisse, sagt sie, auch nicht mehr als das, was in der Zeitung zu lesen gewesen sei.