«Es gibt noch so etwas wie Steuermoral»

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Schaffhauser Unternehmer warten gebannt auf den 21. Mai. Dann stimmt das Volk über eine Initiative von SP und Juso ab, die ihnen höhere Steuern bescheren würde. Das, sagt Juso-Kantonsrätin Seraina Fürer, sei eine Frage der Gerechtigkeit. FDP-Kantonsrat Christian Heydecker widerspricht.

Seit Jahren präsentiert die bürgerliche Mehrheit in Regierung und Parlament Sparplan um Sparplan. Nun stimmen wir über eine Initiative von SP und Juso ab, welche Unternehmer stärker belasten will. Seraina Fürer, ist das nun Ihre Rache für die bürgerlichen Sparanstrengungen?

Seraina Fürer: Nein, überhaupt nicht. Die Initiative wurde vor über drei Jahren auf die Beine gestellt, und zwar unabhängig von den Entlastungsprogrammen des Kantons. Einen indirekten Bezug zu den bürgerlichen Sparplänen gibt es aber schon: Ein Ja würde zu Mehreinnahmen führen, und man müsste weniger Leistungen abbauen.

Christian Heydecker: Die Initiative ist tatsächlich kein Racheakt, aber sie war ein – durchaus legitimes – Wahlkampfvehikel der SP für die Wahlen 2015/16. Bei den Wahlen 2008 und 2012 hatte die SP zweimal Wähleranteile an die jüngere, lautere, aktivere AL verloren und musste Gegensteuer geben.

Die Initiative will eine bestimmte ­Regel im Steuergesetz abschaffen: Wer mehr als zehn Prozent eines Unternehmens hält, muss für die Erträge ­daraus weniger Steuern bezahlen als jemand, der weniger als zehn Prozent hält. Ist eine solche Sonderregel ­wirklich gerecht?

Heydecker: Ja. Ein Kleinaktionär kann seine Aktien von börsenkotierten Unternehmen jederzeit verkaufen. Der Mitbesitzer eines KMU kann das nicht, der Verkauf eines Unternehmens oder von Teilen davon ist ein langwieriger Prozess. Und: Für den Kleinaktionär ist die Dividende nicht so wichtig, entscheidender ist der Kursgewinn. Beim Unternehmeraktionär ist es umgekehrt: Seine Aktien ­haben keinen offiziellen Kurs, für ihn zählt die Dividende.

Fürer: Uns geht es weniger um den Vergleich zwischen Gross- und Kleinaktionären als zwischen Angestellten und Unternehmern: Wer, wie die meisten von uns, angestellt ist, bezahlt auf seinen oder ihren Lohn Einkommenssteuern und Sozialabgaben, und zwar ohne irgendwelche Rabatte. Wer hingegen als Unternehmer einen statt­lichen Teil einer Firma hält, kann sich eine Dividende ausschütten, die mit einem Rabatt belohnt wird, und muss darauf erst noch keine Sozialbeiträge leisten. Das ist ungerecht. Alle Einkommen sollen gleich besteuert werden, und die gleichen Sozialabgaben sollen bezahlt werden.

Heydecker: Da haben wir gar keine Differenzen. Ich finde auch, dass alle Einkommen gleich besteuert werden müssen. Aber wenn Dividenden neu zu 100 Prozent besteuert werden müssen, dann stimmt es eben nicht mehr, sie sind ja als Gewinn schon zu 100 Prozent besteuert worden. Fair und gerecht ist nur die heutige Regelung. Es handelt sich um eine rechtsformneu­trale Besteuerung. Es spielt also heute keine Rolle, ob mein Unternehmen eine Einzelfirma ist oder etwa eine Aktiengesellschaft. In beiden Fällen muss ich insgesamt gleich viele Steuern und Abgaben entrichten. Übrigens: Die SP hat diese Regelung im Kanton schon dreimal mitgetragen. Das erste Mal 2003 bei der Einführung, da gab es nicht einmal eine Diskussion, dann 2007. Und 2011 sagte der SP-Fraktionschef ausdrücklich: «Diese Vorlage ist bei uns wenig umstritten, wir werden ihr zustimmen.» 2014 lanciert die SP dann plötzlich eine Initiative dagegen. Das ist doch unredlich!

Fürer: Als die Dividendenbesteuerung eingeführt wurde, ging es um ein ganzes Paket, und wir zeigten uns insgesamt kompromissbereit. 2011 gab es durchaus auch Abweichler auf der linken Seite, sie enthielten sich damals einfach der Stimme. Die Kritik an sich ist also nicht neu.

Heydecker :2003 war es überhaupt kein Kompromiss. Die SP war gegen viele Punkte in jenem Paket, aber zum Thema Dividendenbesteuerung äusserte sie sich damals nicht. Es gab ­weder Wortmeldungen noch Anträge. Jetzt müsst ihr nicht so tun, als wolltet ihr mit dieser Initiative die Welt retten.

Fürer: Die Welt hat sich verändert. So sind in den letzten Jahren die Unternehmenssteuern gesenkt worden, de facto ist die Doppelbesteuerung damit verschwunden. Deshalb setzen wir nun beim Dividendenrabatt an.

Bei einem Ja wäre Schaffhausen der einzige Kanton, der diese Erleichterung nicht mehr gewähren würde. Wäre dies nicht geradezu eine Aufforderung an hiesige Unternehmer, über die Kantonsgrenze nach Feuerthalen oder Diessenhofen zu ziehen?

Fürer: Wir wollen auch nicht, dass diese Leute wegziehen, und wir glauben auch nicht, dass viele gehen werden.

Warum nicht?

Fürer: Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer sind mehrheitlich tief verwurzelt in der Region, das sind Pa­trons, die hier aufgewachsen sind. Und dann gibt es auch noch so etwas wie eine Steuermoral: Man bleibt einem Standort auch dann treu, wenn es steuerlich vielleicht mal nicht optimal ist. Zudem wurden mit den Steuersenkungen der letzten Jahre gerade auch jene Einkommen entlastet, die jetzt betroffen sind.

Heydecker: Man hat nur die Abgaben für die Unternehmen gesenkt, die Unternehmer selbst aber zahlen erhebliche Steuern. Wenn wir nun als Einzige den reduzierten Satz abschaffen, schiessen wir uns in den eigenen Fuss. Wir würden uns ins Abseits stellen.

Fürer: Wir bewegen uns überhaupt nicht ins Abseits, sondern wir geben schweizweit die Richtung vor: In allen Kantonen gibt es nämlich Diskussionen, diese Teilbesteuerung abzuschaffen, in Basel-Stadt wurde sie sogar von einer eigenen Regierungsrätin ­angerissen. Auch mit der Neufassung der Unternehmenssteuerreform III wird dieser Punkt wieder debattiert werden.

Heydecker: Die Schaffhauser Re­gierung wollte im Rahmen der Unternehmenssteuerreform III die Gewinnsteuern weiter senken und im Gegenzug die Teilbesteuerung von 50 auf 70 Prozent anheben. Wir Bürgerliche waren für die Reform, ihr wart dagegen. Das ist die Realität.

Aus bürgerlicher Sicht gibt es mit der Unternehmenssteuerreform III ein ­gravierendes Problem: Die Linke hat die Abstimmung gewonnen. Ist das ein Vorzeichen für die nun anstehende kantonale Steuer-Initiative?

Heydecker: Nein, denn es geht hier um etwas anderes. Ich verstehe, dass die Bevölkerung bei der Besteuerung von internationalen Unternehmen ihre Zweifel hatte. Aber jetzt reden wir von KMU, von Familienunternehmen, die seit Generationen in der Region verwurzelt sind. Es geht nicht um die Viktor Vekselbergs dieser Welt! Wir schaden unseren lokalen KMU-Inhabern ganz massiv, wenn wir der Initiative zustimmen. Und wir würden auch unattraktiv für Start-ups.

Fürer: Zwei Drittel der Unternehmen im Kanton versteuern gar keine Gewinne und wären von der Änderung gar nicht betroffen.

Was würde es finanziell für die Betroffenen genau bedeuten, wenn wir die Initiative annehmen? Wie viel mehr müssten sie bezahlen?

Fürer: Wir rechnen mit etwa 500 Betroffenen und etwa sechs Millionen Franken Mehreinnahmen jährlich für den Kanton und die Gemeinden.

Heydecker: Das setzt voraus, dass die Dividenden tatsächlich ausgeschüttet werden. Als wir die reduzierte Dividendenbesteuerung einführten, spürten wir einen deutlichen Anstieg der Dividendenzahlungen. Zuvor wurden die Gewinne einfach im Unternehmen belassen. Das droht uns nun wieder, was dann die Unternehmensnachfolge erschwert.

Zum Schluss bitte von Ihnen beiden eine Antwort in aller Kürze: Warum soll man die Initiative annehmen oder ablehnen?

Heydecker: Die Initiative ist ein Etikettenschwindel, ein Schuss in den eigenen Fuss und unredlich, sie gehört deshalb abgelehnt.

Fürer: Stimmen Sie Ja, wenn Sie für Steuergleichheit sind, wenn Sie die AHV stärken wollen und dank höheren Steuereinnahmen einen Abbau von Leistungen verhindern wollen.

Streitgespräch: Die Kontrahenten

Seraina Fürer (*1990) ist Mitglied der Juso und seit 2013 Kantons­rätin. Fürer ist Wirtschafts­juristin/wissenschaftliche ­Assistentin und lebt in der Stadt Schaff­hausen.

Christian Heydecker (*1964) ist ­Mitglied der FDP und politisiert seit 2001 im Kantonsrat. Er ist Rechtsanwalt und Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Unternehmen. Er lebt in Schaffhausen.

SP-Initiative: Darum geht es

  • Rabatt: Wer mindestens zehn Prozent eines Unternehmens besitzt, darf die Erträge daraus zu einem reduzierten Satz besteuern. Dies gilt in allen Kantonen und auch bei der Bundessteuer.
  • «Ungerecht»: Mit einer Volksinitiative wollen SP und Juso diesen Rabatt im Kanton Schaffhausen wieder abschaffen. Er sei unnötig und ungerecht. Am 21. Mai stimmt das Volk darüber ab.

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