Schlimmes erlebt, aber voller Zuversicht

Tito Valchera | 
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Der 16-jährige Din Mohammad Wadafar lernt schnell Deutsch. «Er ist sehr zuverlässig», sagt die Sozialpädagogin Eveline König. Sie betreut den jungen Afghanen in einer Wohngemeinschaft im ehemaligen Pfarrhaus St. Peter. Bild: Michael Kessler

16-jährig, in einem fremden Land und auf sich allein gestellt: Din Mohammad Wadafar ist auf abenteuerlichen Wegen aus Afghanistan in die Schweiz gelangt. In Schaffhausen möchte er nun Fuss fassen. Die Betreuungsstrukturen des Kantons sind aber erst im Aufbau.

«Guten Tag, wie geht es Ihnen?» Mit diesen Worten begrüsst uns ein freundlich lächelnder Teenager in der Wohngemeinschaft im ehemaligen Schaffhauser Pfarrhaus St. Peter. Din Mohammad Wadafar ist ein unbegleiteter ­minderjähriger Asylbewerber (Uma). Seit einigen Wochen wohnt der 16-Jährige in dieser Wohngemeinschaft. Drinnen zeigen die Räumlichkeiten zwar Verbrauchsspuren auf, doch in der karg eingerichteten Viereinhalbzimmerwohnung ist es aufgeräumt. Hier lebt Wadafar mit vier anderen Uma aus ­Afghanistan. Er ist der Jüngste.

Drei Monate unterwegs

Wadafar führt uns ins Wohnzimmer. Seit sechs Monaten ist er in der Schweiz, zuerst in Kreuzlingen, dann in Schaffhausen. Hier geht er seit drei Monaten in die Schule des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks. Er besucht eine ­sogenannte «Juma»-Klasse für junge Migranten und Asylsuchende und lernt schwergewichtig Deutsch. Er fühlt sich bislang wohl: «Hier ist es schön, ich gehe morgens zur Schule, komme über Mittag nach Hause, koche und gehe dann nachmittags wieder zur Schule.»

Wadafar strahlt Ruhe und Zuversicht aus. Der Jugendliche stammt aus der afghanischen Provinz Paktika an der Grenze zu Pakistan. Mit leiser Stimme erzählt er von den Ereignissen, die ihn zum Waisen gemacht ­haben. «Vor dreieinhalb Jahren haben die Taliban meine Eltern sowie meine Schwester ermordet. Sie besuchten gerade Verwandte.» Er sei damals zu Hause geblieben. Nach diesem Angriff der Taliban wohnte der Teenager ­zuerst ein Jahr lang bei seinem Onkel, floh anschliessend für zwei Jahre nach Pakistan, kehrte dann aber wieder zu ihm zurück. Der Onkel beschloss, ihn nach Europa zu schicken. Sein Cousin wohnte bereits in London und empfahl ihm die Schweiz. «Ich hatte überhaupt keine Vorstellung, wie es hier aussieht, habe mich aber unverzüglich auf die Reise gemacht», sagt Wadafar.

Zuerst sei er zwei Tage an die iranische Grenze marschiert, wo die eigentliche Reise begann. «Ich war drei ­Monate unterwegs, zumeist zu Fuss. Wir haben einfach das, was wir unterwegs in der Natur gefunden haben, ­gegessen.» Meist habe die Gruppe aus 100 bis 150 Leuten – Familien, Kindern und Erwachsenen – bestanden. «Gewisse Strecken sind wir auch zu zehnt in Taxis gefahren», so der Teenager. Seine Reise hat ihn über den Iran in die Türkei und weiter über die Balkanroute nach Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich in die Schweiz geführt.

Die Sozialpädagogin Eveline König kümmert sich zusammen mit einem anderen Sozialpädagogen um die 33 Schaffhauser Uma. König organisiert die Freizeitaktivitäten wie beispielsweise einen Wochenendausflug in den Zoo Zürich. Ihre Betreuungsaufgabe besteht aber grösstenteils in einem ­wöchentlichen WG-Besuch. «Wir besuchen die Uma in den WG, überprüfen, ob die verschiedenen Ämtli ­gemacht wurden, kochen etwas und verbringen gemeinsam den Abend», sagt sie. So wird jede WG einmal pro Woche besucht. Während diesen WG-Abenden bringen die Sozialpädagogen auch Geld mit. Alle zwei Wochen erhält jede Person 204 Franken. Dieses Geld muss für Nahrung, Kleidung, öffentliche Verkehrsmittel sowie den Alltagsbedarf reichen. Krankenkasse, Miete oder Versicherungen müssen die Uma nicht selber bezahlen. Sie sind wie alle Asylbewerber krankenversichert und können bei psychologischen Problemen auch Fachpersonal aufsuchen.

Die meiste Zeit sind die Uma unbeaufsichtigt, müssen sich aber an die Hausordnung halten. Diese besagt unter anderem, dass sie um zehn Uhr zu Hause sein müssen und keine Übernachtungsgäste erlaubt sind. Bei Wohngemeinschaften von Jugendlichen gehören Konflikte jedoch zum ­Alltag. «Meistens geht es ums Putzen oder ums Kochen», fasst König zusammen. Sie müsse dann jeweils schlichten. Für die Sozialpädagogin ist klar: «Die Betreuungsprozente sind zu ­wenig, und wir arbeiten daran, das ­Angebot auszubauen.»

Beim Karate Schweizer kennenlernen

Wadafar ist ein aufgestellter Jugendlicher, der in seinem noch jungen Leben schon vieles erlebt hat. Er weiss, was er will. «Nach der Schule möchte ich Mechaniker werden», sagt er. Seit vier Wochen trainiert er auch probeweise Karate: «Karate ist ein guter Sport, er bringt mir viel», sagt er. Nicht zuletzt erste Kontakte mit Schweizern. Er ist in Schaffhausen zufrieden, lernt fleissig, fühlt sich willkommen und ­geniesst seine Freizeit unter Freunden. «Wir verbringen den Abend gemeinsam mit Gästen in unserer Uma-Wohngemeinschaft, gehen in der Gegend und in der Stadt spazieren, ab und zu auch nach Zürich oder Weinfelden.»

Bis zu seinem 18. Lebensjahr wird Wadafar in der Schweiz bleiben können. Eine Rückkehr nach Afghanistan kann er sich derzeit nicht vorstellen.

Unbegleitete minderjährige Asylbewerber: Wie die Betreuung organisiert ist

Für Unterbringung und Betreuung ­unbegleiteter minderjährigen Asyl­bewerber (Uma) ist in Schaffhausen das kantonale Sozialamt verantwortlich. Nach ihrer Ankunft im Durchgangszentrum Friedeck werden sie ­so bald als möglich umquartiert. «Wir haben seit Kurzem spezielle Strukturen mit sozialpädagogischer Betreuung aufgebaut», sagt Sozialamtleiter Christoph Roost. So werden die Uma jetzt grösstenteils auf Wohngemeinschaften von fünf bis sechs Personen verteilt. Vier Wohngemeinschaften sind in einem Haus an der Krebsbachstrasse in Schaffhausen untergebracht. Eine weitere WG besteht im ehemaligen Pfarrhaus St. Peter. Elf Uma sind auf Kantonsgebiet verteilt.

Nächtliche WG-Besucher

Die Betreuung ist recht aufwendig. «In einem grösseren Haus ist ein schlankerer Betrieb möglich», sagt Andi Kunz, kantonaler Leiter der Asyl- und Flüchtlingsbetreuung. Laut Roost ist das Zusammenleben in einer Uma-WG «kein Zuckerschlecken». Im Uma-Haus an der Krebsbachstrasse seien die Probleme im Gegensatz zur Wohngemeinschaft im St. Peter ausgeprägter. Kunz sagt, man habe beobachtet, dass dort oft Leute aus anderen Kantonen über Nacht blieben. Nun hat das Sozialamt gehandelt. Seit Kurzem gibt es stundenweise eine Nachtwache, die aufpasst.

Die Uma haben einen Beistand vom Sozialamt, und eine Sozialarbeiterin begleitet ihr Dossier. Als Bezugsperson werden ihnen Sozialpädagogen zur Seite gestellt. Zurzeit teilt sich die Sozialpädagogin Eveline König mit einem Kollegen eine 100-Prozent-Stelle. Beide kümmern sich jeweils abends und teilweise am Wochenende um die Freizeitgestaltung der Jugendlichen. Tagsüber steht für die Jugendlichen ein Sozialarbeiter als Ansprechperson zur Verfügung. Kunz sieht Nachholbedarf und spricht von «einem Angebot, das laufend evaluiert und ­angepasst wird».

Tagsüber in die Schule

Ausgelagert hat das Sozialamt das Schulwesen für die Uma. Tagsüber besuchen die meisten Jugendlichen die sogenannten «Juma»-Klassen für junge Migranten und Asylsuchende des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks an zwei Standorten. Sie lernen schwergewichtig Deutsch, aber auch Mathematik, Informatik und Schweizerdeutsch. Eingeteilt werden sie nach Sprachniveau und Lerngewohnheiten.

Sind diese Klassen voll, springt die Integrationsfachstelle Integres mit ­zusätzlichen Kursen ein. Fünf Unter-16-Jährige besuchen zudem Regelklassen. Nach zwei bis drei Jahren wechseln alle in die Integrationsklasse des Berufsbildungszentrums. Dort werden die Uma weiter unterrichtet und beginnen mit der Lehrstellensuche.

Alleine eingereist: Recht auf besonderen Schutz

Im Asylwesen werden unbegleitete minderjährige Asylbewerber als Umas bezeichnet. Die Sozial- direktorenkonferenz gibt Mindeststandards im Umgang mit ihnen vor. Die Umas haben Anrecht auf besonderen Schutz und Betreuung. Über ihre Asyl-gesuche wird meist erst nach der Volljährigkeit entschieden.

2014 stellten 795 Umas einen Asylantrag in der Schweiz. Ein Jahr später waren es bei der grossen Migrationswelle über die Balkanroute 2736. 2016 reisten 1997 Umas ein, was 7,3 Prozent der Gesamtzahl von Asylbewerbern entsprach.

Der Kanton Schaffhausen beherbergt derzeit 33 Umas, acht davon sind weiblich. Dazu zählt auch ein 2016 geborenes Baby einer Uma. 16 Umas stammen aus Eritrea, neun aus Afghanistan, drei aus Syrien, zwei aus Äthiopien sowie je einer aus Tibet, Somalia und Irak.

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