Sie lassen sich vieles, aber nicht alles gefallen

Tito Valchera | 
Noch keine Kommentare
Sie haben eine hohe Toleranzgrenze: Die beiden erfahrenen Schaffhauser Polizisten Alexander Goetz (l.) und David Busslinger wissen aber, wann in bestimmten Situationen der Zeitpunkt gekommen ist, konsequent durchzugreifen. Bild: Selwyn Hoffmann

Polizisten sind täglich mit Beleidigungen, Pöbeleien und zum Teil auch mit Gewalt gegen sie konfrontiert. Wie sie mit Fingerbissen oder Bezeichnungen wie «Schlümpfe» umgehen und wann sie durchgreifen, erzählen sie im Interview.

Interview mit Alexander Goetz und David Busslinger

Das Thema Gewalt und Drohung gegen Polizisten ist mit den Bildern der Demo­ausschreitungen an der Reitschule in Bern oder einer Motion im Ständerat für härtere Strafen bei Gewalt gegen Polizisten (vgl. Box) derzeit verstärkt in den Medien präsent. Gegen Polizisten gab es im Kanton Schaffhausen dieses Jahr bislang eine Drohung und eine Tätlichkeit. Wir haben die zwei Schaffhauser Polizisten David Busslinger und Alexander ­Goetz, Gruppenchef und stellvertretender Gruppenchef bei der Regionalpolizei, gefragt, wie akut das Thema Gewalt und Drohung gegen Polizisten bei ihnen ist.

Erleben Sie Gewalt auf Patrouille?

David Busslinger: Sicher. Was uns vor allem auffällt, ist das respektlose Verhalten gegenüber uns Polizisten. Das ist die unterste Eskalationsstufe. Es gibt aber auch Beschimpfungen und Beleidigungen sowie Gewaltandrohungen und Übergriffe.

Alexander Goetz: Respektloses Verhalten ist an der Tagesordnung. Es kommt oft vor, und als Polizist muss man auch ein Stück weit damit umgehen können. Man kann nicht immer darauf reagieren, denn dann würden wir uns selber mit Arbeit zupflastern. Der Polizist sollte bei solchen niederschwelligen Beschimpfungen die Verhältnismässigkeit wahren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Busslinger: Wenn wir am Bahnhof an einer Gruppe Jugendlicher vorbeilaufen, dann kommen aus der Gruppe Sprüche wie «Schlümpfe» (wegen der blauen Uniform), «Hütedienst» oder «Aufpasser». Sie können gerne einmal mitkommen und sehen dann, dass wir konstant so betitelt werden. Das müssen wir uns täglich anhören, aber wir reagieren nicht darauf.

Werden Sie auch schlimmer beschimpft?

Busslinger: Ja, das ist aber ein ganz anderes Level und kommt aus einer tieferen Schublade. Es handelt sich dann wirklich um sehr konkrete Fluchwörter, die gegen unsere Person sind. Wir haben dann die Möglichkeit, diesen Tatbestand zur Anzeige zu bringen. Wir rapportieren an die Staatsanwaltschaft. Die betroffenen Personen werden mit einem Strafbefehl verurteilt.

Greifen Sie jedes Mal durch, oder kommt es auf die Situation an?

Goetz: Wir lassen uns nicht alles gefallen. Manchmal ist es aber nicht möglich, allen Beschimpfungen nachzugehen. Es ist vielfach nicht zielführend, wenn man Kleinigkeiten innerhalb von Gruppen nachgeht. Oft sind diese schwer einer Person zuzuordnen. Man macht sich unter Umständen lächerlich.

Wie sehr muss ein Polizist tolerant sein?

Goetz: Eine gewisse Toleranz muss man in unserem Beruf unweigerlich aufbauen. Da Beschimpfungen relativ häufig vorkommen, weiss man mit der Erfahrung, wenn der Punkt überschritten wird, und greift dann durch. Dann sind wir konsequent und haben die rechtlichen Möglichkeiten dazu. Ich sehe es bei jungen, frisch von der Polizeischule kommenden Polizisten. Sie müssen die verschiedenen Situationen zuerst einordnen.

Was für Fälle von Gewalt gegen Polizisten sind Ihnen bekannt?

Busslinger: Ich erinnere mich an einen Fall vom letzten Jahr. Am Bahnhof wollten zwei Polizeipatrouillen einige Personen überprüfen. Bei der Kontrolle ist ein grosser Mann einem Kollegen von hinten an die Gurgel gesprungen und hat ihn gewürgt.

Goetz: Der Mann wollte ihn nicht mehr loslassen. In solchen Situationen entwickeln die Leute eine extreme Kraft, da hat man auch zu zweit oder zu dritt Probleme, ihn wegzulösen.

Waren die Leute betrunken?

Goetz: Alkohol dürfte einen Einfluss haben, aber ein gewisses Gewaltpotenzial war vorhanden. Aus Erfahrung weiss ich, dass Alkohol in vielen Fällen, in denen es zu exzessiver Gewalt gegenüber Polizisten kommt, eine Rolle spielt.

Was war die schlimmste Beleidigung oder der schlimmste Angriff?

Goetz: In einem Fall wurde ich bei einer Personenkontrolle in den Finger gebissen. Und zwar von einer Person, die HIV-positiv war und Hepatitis C hatte. Sie hat stark zugebissen, und der Finger hat geblutet. Damals ist eine eigentlich ruhige Situation von einem Moment auf den anderen eskaliert. Der Vorfall hätte auch wegen der Ansteckungsgefahr zu Konsequenzen führen können, mit denen ich dann hätte leben müssen. Bei mir war dies glücklicherweise nicht der Fall. Ich musste aber ein halbes Jahr lang mein Blut untersuchen lassen und mit der Ungewissheit leben.

Hat sich deswegen etwas an Ihrer Arbeitsweise geändert?

Goetz: Seit diesem Vorfall trage ich konsequent Handschuhe.

Und an Ihrer Einschätzung von Situationen?

Goetz: Man kann sich nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten, solche Situationen wird es immer geben. Ich kann auch nicht stets davon ausgehen, dass ich gleich angegriffen werde. Ich verlasse mich bei der Arbeit auf meinen gesunden Menschenverstand. Mehr als wachsam kann man nicht sein. Bei unserer Arbeit gibt es sogenannte Impulssituationen. In diesen kann eine ruhige Situation plötzlich eskalieren. Dann gilt es, richtig zu reagieren. Das ist eigentlich die hohe Kunst des Polizistenberufes.

Lernt man dies in der Polizeischule?

Busslinger: Die Psychologie ist ein Schwerpunkt in der Ausbildung und beinhaltet auch diese Aspekte. Wir bilden uns fortlaufend weiter.

Goetz: Beim Auswahlprozess werden die eher besonnenen Polizeianwärter ausgewählt. In der Ausbildung werden dann recht ausgiebige Tests dazu gemacht. Wir werden auf Herz und Nieren geprüft. Da gibt es zum Beispiel Gruppengespräche. In unserem Beruf triffst du Leute in Ausnahmesituationen, da musst du solche Kompetenzen mitbringen, das gehört zum Anforderungsprofil.

Wie zeigen sich diese Kompetenzen im Berufsalltag?

Busslinger: Jeder Fall ist anders und hat seine Tücken. Aber schon in der Ausbildung lernen wir, dass die Eskalationsstufe schnell nach oben gehen kann. Wir sind vorbereitet und versuchen dabei, diese so tief wie möglich zu halten. Werden wir zu einer Wohnung gerufen, in der es laut zu- und hergeht, dann gehen wir ganz anders heran als bei einer einfachen Kontrolle von Jugendlichen am Bahnhof.

Kommen wir zurück zum «Fingerbiss». Welche Konsequenzen hatte dies für den Angreifer?

Goetz: Gewalt gegen Beamte ist ein Offizialdelikt und wird von Amts wegen verfolgt.

Welche rechtlichen Mittel haben Sie bei Beschimpfungen oder Beleidigungen?

Busslinger: Wenn uns jemand beschimpft, gibt es eine eingehende Personenkontrolle auf dem Posten. Wir überprüfen, ob etwas gegen die Person vorliegt. Wir kontrollieren, ob sie Betäubungsmittel oder Alkohol konsumiert hat. Unter gewissen Umständen können wir auch eine Person über Nacht inhaftieren, ausnüchtern lassen und am nächsten Tag zur Beschimpfung befragen.

Goetz: Wir haben die nötige Rücken­deckung vom Kommando und sind aufgefordert, Beleidigungen nicht auf uns sitzen zu lassen.

Haben Sie mehr Mittel als früher zur Verfügung, um sich zu wehren?

Busslinger: Wir sind nicht so schlecht dran mit den Möglichkeiten, die wir haben. Die Mittel sind heute besser als vor zehn Jahren, sie wurden laufend erweitert. Ein Beispiel ist die Möglichkeit von Wegweisungen. Im Jahr 2016 wurden in diesem Zusammenhang 18 Personen mehrheitlich aus der Gegend um den Bahnhof Schaffhausen weggewiesen.

Auf Patrouille sind Sie stets zu zweit unterwegs?

Goetz: Ja, wir sind heutzutage zu zweit auf Patrouille. Falls nötig, ist die Verstärkung schnell vor Ort. Die Schaffhauser Partyszene hat sich in den letzten Jahren aber verändert. Wir stellen fest, dass es ruhiger geworden ist und die starke Polizeipräsenz Wirkung zeigt. Viele Partygänger gehen nach Winterthur, Zürich oder Deutschland in den Ausgang. Das hat zu weniger Vorfällen geführt. Vor acht bis zehn Jahren waren in der Altstadt grössere Patrouillen von bis zu sieben Personen nötig, denn es gab mehr Leute und somit mehr Schlägereien. Mit dem generellen Wandel zur 24-Stunden-Gesellschaft hat die Arbeit insgesamt aber zugenommen.

Wann und wo ist am meisten los?

Busslinger: In der Stadt ist der Bahnhof ein Hotspot. Er liegt zentral, zieht viele Leute von allen Seiten an und ist oft der Treffpunkt. Vermehrt abends und am Wochenende sind viele Leute unterwegs und konsumieren Alkohol. Die Clubs in der Kernzone der Altstadt haben regen Zulauf. Aber auch Schulhausplätze oder Tankstellenshops, wo sich die jugendlichen am Wochenende mit Alkohol eindecken und sich auf den Ausgang vorbereiten, sind Hotspots.

Fallen bei den Beleidigungen und Angriffen auf Polizisten bestimmte Gruppen auf?

Busslinger: Bei den Beleidigungen sind es tendenziell eher Jugendliche. Die Gewalt geht eher von erwachsenen, alkoholisierten Personen aus.

Eine heikle Frage: Kann Polizeipräsenz auch kontraproduktiv sein?

Goetz: Es kommt auch vor, dass sich wegen unserer Anwesenheit die Situation aufheizt. Es fallen dann viele Sprüche gegen uns, und die Leute schaukeln sich auf. So ist die reine Präsenz manchmal auch hinderlich und hat keinen positiven Effekt. Dann ziehen wir uns auch zurück. Wichtig ist, dass man merkt, was gerade besser ist.

Wie belastend ist der Beruf des Polizisten?

Busslinger: Erstens muss man Privatleben und Berufliches trennen können. Und wenn ich zweitens als «Bulle» oder «Schlumpf» betitelt werde, dann betrifft es das, was ich anhabe, nämlich die blaue Uniform, und nicht mich selbst. Es könnte auch ein anderer Mensch in dieser Uniform sein. So kann ich das verarbeiten und auf Durchzug stellen.

Goetz: Gelingt diese Unterscheidung zwischen Privatem und Beruflichem nicht, so wird es schwierig und kann früher oder später zu Problemen führen.

Wie hilft Ihnen der Ausgleich im Privatleben?

Goetz: Letztlich hat jeder seine eigenen Techniken, wie er mit Arbeitsbelastungen umgeht. Der eine macht Sport, der andere kann mit der Familie entspannen. Jeder hat sicher etwas zum Abschalten. Die innere Einstellung ist dabei sehr wichtig. Damit kann schon mal vieles abfedern, sonst wird’s schwierig mit der Zeit.

Sie haben vorher von «Schlümpfen» erzählt. Hat der Respekt gegenüber der blauen Polizeiuniform abgenommen?

Busslinger: Ich stelle fest, dass ein Wandel im Gange ist, wenn ich an meine Jugend zurückdenke. Damals war der Polizist eine Respektsperson, das ist heute sicher nicht mehr der Fall. Spazieren wir in einem Schulhaus über einen Pausenplatz, muss man sich einiges anhören. Die Schüler verhalten sich rücksichtslos, man pöbelt, man spielt sich in der Gruppe auf, möchte den Macker raushängen, den Rädelsführer spielen oder sich wichtigmachen. Das hat nicht unbedingt mit Alkohol zu tun, sondern eher mit Gruppendynamiken.

Betrifft es auch andere Uniformierte?

Busslinger: Die heutige Jugend hat generell kaum Respekt mehr vor Uniformen, weder vor dem Postauto- oder Buschauffeur noch vor dem Pöstler oder eben dem Polizisten. Eine Uniform bedeutet für die gar nichts. Das Verhalten der Jugendlichen hat sich gewandelt. Im Beruf habe ich gelernt, damit umgehen zu können.

Wie schaffen Sie es, sich stets von Neuem zu motivieren?

Busslinger: Es sind die schönen Momente des Polizistenalltags, die einem bleiben. Zum Beispiel einen vermissten Dreijährigen wieder der Mutter zu übergeben. Oder wenn jemand nach einem Einbruchsdiebstahl froh ist, dass es die Polizei gibt und wir ihm mit Tipps für das zukünftige Verhalten helfen können. Wir erleben viel Schönes, und das motiviert uns, den Job so gut als möglich zu machen.

Gewalt gegen Beamte – Berner Reitschule und Motion im Ständerat

Vor eineinhalb Wochen kam es bei der Reitschule in Bern zu gewaltsamen Ausschreitungen. Bei solchen Demon­strationen seien Polizisten oft «massiver Gewalt» ausgesetzt, sagt der Schaffhauser Polizist David Busslinger. Solche Ordnungsdienste gibt es im Kanton Schaffhausen meist nur bei Fussballspielen. In diesen gefährlichen Situationen schütze eine gute und moderne Schutzausrüstung die Polizisten, so Busslinger.

Beide interviewten Polizisten sind mit den vorhandenen Rechtsmitteln mehrheitlich zufrieden. Auf nationaler Ebene ist vor Kurzem im Ständerat eine Motion von Oskar Freysinger (SVP) abgelehnt worden, die für Gewalt und Drohung gegen Polizisten eine Mindeststrafe von einem Jahr vorsah.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren