«Lies!»-Aktionen auch in Schaffhausen

Anna Kappeler | 
Noch keine Kommentare
Beschlagnahmte Korane gestern nach der Grossrazzia in zehn Bundesländern in Deutschland. Bild: Key

Auch in der Schweiz wird gegen Personen mit Verbindungen zur «Lies!»-Gruppe ermittelt. Die Koran-Verteiler waren in den letzten drei Jahren auch öfter in Schaffhausen aktiv.

Die jungen Männer tragen weisse Jacken, manche von ihnen Bärte, in den Händen halten sie den Koran. Wie ein Bauchladen tragen einige von ihnen Banner mit der Aufschrift «Der edle Koran auf Deutsch. Lies!». Sie stehen mitten in der Altstadt von Schaffhausen. Das geht aus Fotos der Facebook-Seite «Die wahre Religion» hervor, datiert vom 23. Oktober 2013. Gemäss Informationen der SN hat die Gruppe «Lies!» den Koran mindestens acht weitere Male in Schaffhausen verteilt. Frühster Eintrag ist der 9. Oktober 2013, letzter der 28. März 2015.

Gegen die islamistische Organisation «Die wahre Religion» hat die deutsche Polizei gestern in zehn Bundesländern Razzien durchgeführt. Seit gestern sind die «Lies!»-Koran-Verteilaktionen in Deutschland verboten.

Strafverfahren auch in der Schweiz

Auch in der Schweiz sind die Strafbehörden aktiv geworden. «Die Bundesanwaltschaft führt aktuell verschiedene Strafverfahren gegen Personen, welche in Verbindung mit dem «Lies!»-Projekt stehen oder standen, und kooperiert in diesem Rahmen mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden», sagt André Marty von der Bundesanwaltschaft. Diese führe hingegen in diesem Zusammenhang aktuell keine Strafverfahren gegen juristische Personen (wie Vereine oder Stiftungen).

Selbstkritik in Schaffhausen

Und wie sieht es in Schaffhausen aus? Mit den Informationen der SN über die «Lies!»-Verteilaktionen in der Munotstadt konfrontiert, sagt Romeo Bettini, der Bereichsleiter Sicherheit und öffentlicher Raum: «Ich habe unsere Archive durchforstet, doch leider keine Personalien dazu gefunden.» Man habe es damals verpasst, Personenkontrollen durchzuführen und die entsprechenden Akteure zu identifizieren. «Das ist für mich aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar.» Aktuell arbeite man nicht mit Städten in Deutschland zusammen. Bettini hat sich die Fotos der Koran-Verteiler auf Facebook angeschaut, kennt die abgebildeten Personen aber nicht. «Das sind wohl kaum Schaffhauser.» Weiter sagt Bettini: «Die «Lies!»-Aktionen waren zwar nicht bewilligungspflichtig, gleichwohl wussten wir aber davon.»

Nicht zwingend mit Bewilligung

Rechtlich sieht die Situation in Schaffhausen folgendermassen aus: Stellt jemand bei einer Verteilaktion einen Stand auf, ist das bewilligungspflichtig. Verteilt eine Gruppe lediglich Flyer, oder trägt jemand einen Bauchladen, geht das ohne Bewilligung. Dann besteht kein erhöhter Gemeingebrauch des öffentlichen Raumes.

Dies geht, so Bettini, auf einen Beschluss des Stadtrates vor zwei Jahren zurück: Damals wurden vor Schulen gratis Bibeln verteilt, was für Aufruhr sorgte. Der Stadtrat entschied: «Es wird festgestellt, dass bei einer Bibelverteilaktion ohne irgendwelche Infrastruktur auch in der Nähe von Bildungseinrichtungen lediglich schlichter Gemeingebrauch vorliegt, sofern nicht aktiv das Gespräch mit den Schülern gesucht wird. Derartige Bibelverteilaktionen bedürfen keiner Bewilligung.» Das gelte auch für Koran-Verteilaktionen.

Verbote greifen rechtlich nicht

Es gibt augenfällige Verbindungen zwischen «Lies!»-Verteilaktionen – die neben Schaffhausen etwa auch in Zürich und Winterthur regelmässig stattfinden – und Dschihad-Reisenden. Mehrere Personen, die Korane für «Lies!» verteilten, sind nachweislich nach Syrien zur Terrormiliz IS gereist. Zürich und Winterthur haben denn auch ein Verbot der Aktionen geprüft – wegen zu wenig Hinweisen auf kriminelle Handlungen aber wieder verworfen.

Ähnlich äussert sich auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB): «Der gesetzliche Auftrag des Verfassungsschutzes in Deutschland ist weiter gefasst als jener des NDB in der Schweiz», sagt eine Sprecherin. Allgemein gelte, dass Koran-Verteilungen allein keine Bedrohung der inneren oder der äusseren Sicherheit darstellten. Solange keine konkreten Gewaltbezüge feststellbar seien, bearbeite der NDB Koran-Verteilungen nicht. «Die Kantone können in solchen Fällen ­allenfalls aufgrund ihrer eigenen Gesetzgebung und zum Schutz der lokalen öffentlichen Sicherheit Bewilligungen verweigern oder Verbote verfügen», sagt die Sprecherin.

Aktion würde eng begleitet

Ist das für Schaffhausen eine Option? «Käme heute eine Bewilligungsanfrage von der «Lies!»-Gruppe, würde ich zuerst Recherchen in deren Umfeld durchführen», sagt Stadtpolizist Bettini. «Ich würde die Personalien aller Personen anfordern, überprüfen und unseren Rechtsdienst zurate ziehen.» Ebenfalls würde die entsprechende Fachstelle bei der Schaffhauser Polizei kontaktiert. «Für ein Verbot der Bewilligung reicht die heutige Gesetzeslage aber nicht.» Die Aktion würde eng begleitet, etwa durch stündliche Patrouillen. «So könnten wir sicherstellen, dass die Verteiler keine Passanten bedrängen, sondern schlicht ihre Bücher verteilen.»

Ständeratskommission Sicherheitspolitischer Bericht und Motionen zu Terror diskutiert

Um Terrorismus drehte sich gestern auch die Sitzung der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates (SIK-S). Diskutiert wurde etwa der sicherheitspolitische Bericht des Bundesrates, wie SIK-Mitglied und Ständerat Thomas Minder (parteilos/SH) sagt. «Wir haben etwa darüber diskutiert, aus dem Bericht verbindliche Massnahmen abzuleiten und ihn nicht einfach nur zur Kenntnis zu nehmen.»

Zudem habe die Kommission über drei Vorstösse beraten. «Einstimmig angenommen wurde die Motion Romano. Damit wird der Bundesrat beauftragt, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die der Bundespolizei Fedpol ermöglicht, terroristisch motivierte Reisende im Schengener Informationssystem verdeckt zu registrieren.» Abgelehnt hat die SIK-S dagegen die Motion Glanzmann. Diese will den Bundesrat beauftragen, das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit mit einer Bestimmung zu ergänzen, die ermöglicht, Ausreisesperren für potenzielle Dschihad-Touristen zu erlassen. Der Bundesrat habe bereits eine Dokumentensperre aufgegleist, mit welcher potenziellen Dschihad-Reisenden der Pass entzogen werden könne. Auch abgelehnt hat die SIK-S laut Minder zudem eine parlamentarische Initiative der FDP, welche eine Strafbestimmung zur Terrorismusbekämpfung schaffen will.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren