Rennen dem Weinland die Wohnungen davon?

Die Statistik von Bund und Kanton Zürich zeigt: Auch im Weinland und im Rafzerfeld sind Mietwohnungen weiterhin Mangelware. Zwei Immobilienmakler aus der Region fordern mehr bezahlbaren Wohnraum, beispielsweise in Form von Genossenschaftsbauten.
Jedes Jahr berichtet das Statistische Amt des Kantons Zürich über die Leerwohnungsquote, basierend auf den Daten des Bundesamts für Statistik mit Stichtag 1. Juni. Die Meldung für das Jahr 2023 von Mitte August lässt jedoch aufhorchen: Die Leerwohnungsziffer, also der Anteil an freien Miet- und Eigentumswohnungen am gesamten Wohnungsmarkt, sank im Kanton Zürich auf einen Wert, den man zuletzt vor über 20 Jahren kannte. Die 0,53 Prozent bedeuten: Auf dem Papier ist nur jede knapp 200. «Zürcher» Wohnung leer. Der aktuelle Stand selber ist nichts Aussergewöhnliches: Seit 1999 bewegt sich der Wert meist im Bereich von 0,4 bis 1 Prozent.

Der diesjährige Rückgang, so teilt das Statistische Amt mit, sei allerdings schwächer als 2021 und 2022 und nicht flächendeckend: Nur etwas mehr als die Hälfte der Gemeinden habe eine Abnahme der Leerwohnungsstände gemeldet. Und: Erstmals seit 2016 sind wieder mehr Eigentumswohnungen verfügbar. Ebenfalls als Wohnungen gezählt werden Einfamilienhäuser, mit einem seit Jahren stagnierenden Anteil von rund 15 Prozent am kantonalen Wohnungsbestand, auch hier sind innert zwölf Monaten mehr Leerwohnungen hinzugekommen, mit 15 Prozent ergibt sich ein Höchstwert wie vor rund 20 Jahren. Am meisten Leerwohnungen im Vergleich finden sich im Zürcher Oberland – am wenigsten, das verwundert kaum, unter anderem in den Städten Zürich und Winterthur.
Der Wohnungsmangel ist auch mit der Zuwanderung verknüpft: Ende 2022 zählte man im Kanton Zürich 1,577 Millionen Einwohner, ein Plus von über 12 000 oder 0,77 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Netto, nach Abzug der Abbruchquote, wurden im Kanton Zürich 2022 0,76 Prozent neue Wohnungen gebaut.
Zweiter Platz für Wasterkingen
Das Zürcher Weinland (unter 0,9 Prozent) und das Rafzerfeld (1,36 Prozent) verfügen über einen – statistisch gesehen – relativ hohen Leerwohnungsbestand. Dabei stechen drei Gemeinden besonders hervor: Rheinau, Volken und Wasterkingen. Wasterkingen weist mit 3,39 Prozent nach Wallisellen (mit 3,53 Prozent) die zweithöchste Leerwohnungsrate im ganzen Kanton auf. Am wenigsten freie Wohnungen in der Region fanden sich per 1. Juni in Buch am Irchel, nämlich Null, und in Stammheim (0,30 Prozent).
Die Prozentangabe ist das Eine, die Realität vor Ort das Andere: Wer auf Immobilienportalen, Stand Mittwoch, für Wasterkingen nach freien Mietwohnungen suchte, fand keine Angebote. In Rheinau waren drei Wohnungen verfügbar; allesamt mit 5 1/2 Zimmern und ab 2000 Franken pro Monat aufwärts; in Volken fand sich gerade einmal eine verfügbare Wohnung, im selben Preisrahmen.
Im Falle von Volken, mit einer Leerwohnungsquote von 2,33 Prozent, bleibt zu erwähnen, dass es sich um die kleinste Gemeinde im Kanton handelt, 2022 wurden hier 318 Einwohnende gezählt. Und wie auch das Statische Amt erwähnt, sind die Angaben für Gemeinden wie Volken mit Vorsicht zu geniessen, da grossen Schwankungen unterworfen: das aufgrund von Neubauprojekten und der wechselnden Erhebungsmethode der Gemeinden.
«Historischer» Hypothekarzins
Das beste Gespür für die aktuelle Situation auf dem lokalen Wohnungsmarkt haben die Makler. Markus Kohler ist Inhaber des Immobilienbüros Re/Max Immobilien in Eglisau und erklärt gegenüber den SN: «Im Rafzerfeld sieht die Situation bei den Mietwohnungen gerade ziemlich flau aus, die Mietersuche gestaltet sich da einfacher, Wohnungen werden recht schnell weitervermietet. Der Bedarf ist im ganzen Gebiet gross, gerade nach günstigen, bezahlbaren Wohnungen, beziehungsweise nach Genossenschaftswohnungen. Da erwarte ich in den kommenden drei, vier Jahren eine Wohnungsknappheit.»
Bei den Eigentumswohnungen stagnierten die Preise, so Kohler, oder sie sänken sogar leicht. «Das Angebot ist nicht übertrieben, aber ausreichend.» Das hänge hauptsächlich mit dem Hypothekarzins zusammen, fügt Kohler an. «Der Zinssatz ist, historisch betrachtet, noch nie in einer so kurzen Zeit derart angestiegen wie in den vergangenen knapp zwölf Monaten. Und der Hypothekarzins korreliert ein Stück weit mit den Verkaufspreisen.»
In den Jahren zuvor seien die Preise stets gestiegen, sei das Geld von den Banken «praktisch umsonst», mit Negativzinsen, verliehen worden, meint Kohler. «Die Leute wussten gar nicht, was sie mit dem Geld anfangen sollten.» Ob es vielleicht auch am Schreckgespenst Rezession liegt? Private wie auch institutionelle Investoren seien heute jedenfalls nicht mehr bereit, dieselben Preise für Mietwohnungen zu bezahlen, sagt Kohler. «Von einem Überangebot kann man nicht sprechen, die Verkaufszeit ist nun einfach länger. Und Einfamilienhäuser sind weiterhin total rar, davon hat es viel zu wenige.» Bauland sei im Rafzerfeld am ehesten noch in Rafz und Wasterkingen verfügbar.
Eine Rolle für Umzugswillige spielen laut Kohler aber auch politische Entscheide: «Meldungen zum Baustart zur Umfahrung Eglisau oder die bevorstehende Sanierung der Ortsdurchfahrt Eglisau verunsichern potenzielle Neuzuzüger. Drei, vier Jahre lang, auch als Pendler, mit Baustellen, Baulärm und Stau leben zu müssen, ist nicht allzu attraktiv. Die Leute überlegen es sich deshalb derzeit lieber zweimal, ob sie hierherziehen sollen.»
Die «Landflucht» ist vorerst vorbei
Daniel Langhart, Inhaber der Firma Immolution mit Sitz in Buch am Irchel, betreut vor allem Liegenschaften im Raum Winterthur, aber auch im Bezirk Andelfingen. Auch Langhart rechnet mit einer nahenden Wohnungsknappheit in gewissen Bereichen und würde mehr bezahlbaren Wohnraum auf dem Land begrüssen: «Bei den Mietwohnungen geht aktuell alles sofort weg, da ists keine Hexerei. Selbstverständlich ist es auch eine Frage des Preises, ist dieser zu hoch, bleibt die Wohnung länger leer.» Im Bezirk Andelfingen selber bringe man die Wohnungen leicht weg, trotz nach oben angepassten Mieten als Reaktion auf den Referenzzinssatz.
Eine «Landflucht» aus Schweizer Städten, von der man noch zu Pandemiezeiten häufig in den Medien gehört hatte, beobachte man heute weniger, erklärt Daniel Langhart. Und die Zahlen zur Leerwohnungsquote in ländlicheren Bezirken seien individuell zu betrachten: «In kleineren Gemeinden wie Volken sind klassische Mietwohnungen sowieso eine Seltenheit, da spricht man eher von Einliegerwohnungen oder Teilen eines Bauernhauses, die vermietet werden.»
Die aktuelle Wohnungssituation werde sich in gewissen Gemeinden in Bälde auch wieder entspannen, meint Langhart, wie beispielsweise in Stammheim, wo mehrere Neubauprojekte anstehen: «Nächstes Jahr sieht das Ganze vermutlich schon wieder ganz anders aus.» Langhart empfiehlt Gemeinden – auch, um mehr Familien anzulocken – in ihre eigene Liegenschaften zu investieren, diese auf den neusten Stand zu bringen, einen Stock zusätzlich zu erstellen, sofern gemäss Ausnützungsziffer (das Verhältnis von Grundstücksfläche zu Bruttogeschossfläche) möglich, und allenfalls auch verdichtet zu bauen.