Granit aus China ist nicht in Stein gemeisselt

Mark Gasser | 
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Kantonsrat Paul Koch auf dem Dorfplatz von Neunforn, der mit portugiesischen Steinen saniert wurde. Koch fordert, dass nun der Kanton Thurgau mit gutem Beispiel vorangeht und vermehrt auf einheimische Steine setzt.

Strassen werden oft mit Randsteinen aus dem Ausland saniert. Das müsste nicht so sein, findet ein Thurgauer Kantonsrat. Auch in Zürich und Schaffhausen werden seit Jahren viele Steine importiert.

Vor einigen Wochen hat der Neunforner Förster Paul Koch mit seiner Anfrage an die Thurgauer Regierung den Stein ins Rollen gebracht. «Ich staune: Wenn ich dieser Tage unterwegs bin, im Beruf oder auch im Café, spricht mich praktisch jeden Tag jemand an zu den Steinen aus China. Viele finden: Es ist eine Sauerei, das geht doch nicht.» Koch, der im Thurgauer Kantonsrat (SVP) sitzt, will nicht akzeptieren, dass der Kanton für Strassensanierungen praktisch nur Steine aus China, Portugal, Italien oder der Türkei verwendet. Mit wenigen Ausnahmen praktizieren dies alle Kantone so. Koch wollte daher vor einiger Zeit in einer Einfachen Anfrage von der Regierung wissen, weshalb sie im Strassenbau nicht einheimischen Granit berücksichtige. Die Praxis im Thurgau ist keine Ausnahme. Auch in den Nachbarkantonen Schaffhausen und Zürich ist dies nicht anders. Jüngst stellte Koch fest, dass bei der Sanierung der Kantonsstrasse in Basadingen chinesische Randsteine verwendet wurden.

«Ich werde täglich angesprochen zu den Steinen aus China. Viele finden: Das ist eine Sauerei, das geht doch nicht.»

Paul Koch, Förster und SVP-Kantonsrat (TG)

Auch in Kochs eigener Wohngemeinde Neunforn wurde 2009 beim Ersatz der fehlerhaft verlegten, brüchigen Pflastersteine auf dem Dorfplatz der günstigere portugiesische Granit verwendet – nach einem Entscheid an der Gemeindeversammlung. Koch intervenierte damals nicht. Er sei wohl davon ausgegangen, dass die Steine aus der Schweiz seien. «Damals habe ich mich auch zu wenig befasst mit dem Ganzen.» Mittlerweile haben die Einfuhrmengen von Strassenbausteinen aus China und dem Ausland allgemein weiter zugenommen.

Nicht immer freie Wahl der Steine

Ende August argumentierte der Thurgauer Regierungsrat in seiner Antwort auf Kochs Anfrage, dass der Kanton einheimische Produkte nicht begünstigen könne, da er sich an die Regeln des öffentlichen Beschaffungsrechts gemäss WTO-Richtlinien halten müsse. Doch es gibt Ausnahmen: Im Thurgau muss ein Projekt erst ab einer Bausumme von 350 000 Franken nach öffentlichem Beschaffungsrecht ausgeschrieben werden. «Ich fände es daher gut, wenn man die Steine separat öffentlich ausschreiben würde. Dann käme man auch nie auf solch hohe Summen und könnte Steine aus der Schweiz verwenden», ist Koch überzeugt. Der Auftragswert für eine einzelne Steinlieferung liege in der Regel unter dem Schwellenwert. Und in diesem Fall könnte der Kanton selber per Einladeverfahren den Lieferanten bestimmen. Gemäss der Antwort der Regierung werde das seit April bereits in kleinem Rahmen so praktiziert.

Gibt es in der Schweiz genug Steine?

Koch findet nach Rücksprache mit Steinhändlern auch realistisch, sogar bei höheren Bausummen die Auswahlkriterien so zu steuern, «dass nur ein Schweizer Stein infrage kommt»: etwa mit ökologischen Anforderungen, geforderten Lehrstellen, ressourcenschonendem Abbau, Nachhaltigkeit.

Die Schweizer Produktion könne den jährlichen Bedarf gar nicht decken, hält die Thurgauer Regierung in ihrer Antwort aber fest. Das ist der Tenor bei vielen Kantonen: Wenn sich nicht nur einzelne Kantone wie Basel-Stadt, Tessin oder Neuenburg auf Schweizer Strassenbausteine festlegen würden, drohen Versorgungsengpässe.

Der Naturstein-Verband Schweiz (NVS) hält dem entgegen, dass nicht Lieferengpässe das Hauptproblem sind: So, wie die Industrie heute aufgestellt sei, könnten laut Hans-Jakob Bärlocher vom NVS-Vorstand nicht mehr als 15 bis 20 Prozent des Bedarfes gedeckt werden (Kasten rechts). «Um die Produktion wieder auf Strassenbauprodukte umzustellen, müssten die Unternehmen sehr viel Geld in die Technik investieren.» Ganz anders etwa in Portugal: Kürzlich habe er bei seinen Lieferanten dort sehr leistungsfähige und moderne Betriebe gesehen. «Solche Fabriken gibt es in der Schweiz nicht. Sie wären nicht zu finanzieren. Ich glaube, dass die EU diese Firmen sehr stark stützt.»

Kompromiss bei «stimmigem Preis»

Im Kanton Zürich wird analog zum Kanton Thurgau der Einkauf von Steinen an die beauftragten Unternehmen delegiert. Eine Variante, die im Sinne von Kantonsrat Koch wäre, praktiziert der Kanton Schaffhausen bereits: Dieser kauft die Steine sogar selber ein (s. Text unten). «Das hätte im Kanton Thurgau viel weniger Chancen, weil wir noch gar kein Lager haben», so Koch. Doch auch in Schaffhausen ist der Anteil an Schweizer Steinen nicht höher.

«Ein Meter Randstein aus China kostet 30 Franken, ein Meter aus dem Tessin 50. Wir liegen im Promillebereich.»

Hans-Jakob Bärlocher, Naturstein-Verband Schweiz (NVS)

Nun kommt im Kanton Thurgau der Stein ins Rollen: Nach einer Aussprache mit dem Kantonsingenieur wählt Koch versöhnlichere Worte. «Das Tiefbauamt versprach, dass es von sich aus möglichst viel mit Schweizer Steinen realisieren werde.» Vorerst warte er mit weiteren Vorstössen ab. Andy Heller, Chef des Tiefbauamts, bestätigt: Bei kleineren Projekten im Einladungsverfahren will der Kanton Thurgau vermehrt auf Schweizer Produkte setzen. «Da können wir als Kanton sagen: Wir schreiben das Produkt alternativ aus und können dem Unternehmer bei einigermassen stimmigem Preis auferlegen, er soll beispielsweise Tessiner Granit einbauen», erklärt Heller. «Wir werden ein Jahr lang Statistik führen. Und im nächsten Sommer wollen wir uns wieder treffen und aufzeigen, welche Aufträge mit Schweizer Steinen durch- geführt wurden.» Er verweist aber auf die Grenzen dieser Auftragsvergabe: Bei grösseren Aufträgen gelte nach wie vor das öffentliche Beschaffungsrecht. Ob die Massnahme also bloss ein Tropfen auf dem heissen Stein ist, wird sich zeigen.

 

Schaffhausen und Zürich: 90 Prozent der Massensteine für Strassen sind aus China und Portugal

Das Thema ist in der Region nicht neu: Bereits 2010 musste auch die Schaffhauser Kantonsregierung zu einer Kleinen Anfrage von Martina Munz (SP) zum Thema «Randsteine aus China» Stellung nehmen. Demnach kämen die vom Kanton im Strassenbau verwendeten Massensteine circa zu 50 bis 60 Prozent aus Portugal (vorwiegend Bordsteine) und zu 40 bis 50 Prozent aus China (vorwiegend Wassersteine). Nur Spezialsteine wie Stellplatten, Steine für Verkehrsinseln und so weiter kommen aus der Schweiz. Je nach Baustelle machten diese rund 10 Prozent der gesamten Steinlieferungen aus. «Die Praxis hat sich bei uns in der Zwischenzeit nicht geändert», sagt Kantonsingenieur Dino Giuliani. Anders auf städtischem Gebiet: Hier wird die Bachstrasse derzeit hauptsächlich mit italienischen Randsteinen und Schweizer Spezialsteinen versehen, das hat die Stadt als Bauherrin so gefordert.

Der Kanton Schaffhausen könnte aber mehr Einfluss auf die eingekauften Steine nehmen. Im Gegensatz zu anderen Kantonen beschafft hier das Tiefbauamt seine Steine für den Strassenbau selber – über grössere Steinhändler in der Schweiz: «Die Steinbestellungen erfolgen durch uns und werden somit dem Bauunternehmer zur Verfügung gestellt», so Giuliani. «Damit können wir die gewünschte Qualität der Steine sicherstellen und auch die Unbedenklichkeitsnachweise direkt einfordern.» Damit meint er unter anderem das Zertifikat «Fairstone Label». Das Tiefbauamt sei auch verpflichtet, wirtschaftlich einzukaufen. «Und die Preise der Schweizer Steine gehen fast ins Doppelte.» Es sei zudem eine Frage der Lieferkapazitäten. Gerade für Massensteine gebe es praktisch keine Schweizer Produzenten.

Der Kanton Zürich kauft wie der Thurgau Natursteinprodukte im Gegensatz zum Kanton Schaffhausen praktisch ausschliesslich im Rahmen von Gesamtausschreibungen, in denen sämtliche Arbeiten und Lieferungen offeriert werden. Über die Herkunft der neu verbauten Steine auf den 1328 Kilometern Kantonsstrassen wird gemäss Thomas Maag, Mediensprecher der Baudirektion des Kantons Zürich, zwar nicht Statistik geführt. Aber die Granitsteine für den Strassenbau seien hauptsächlich aus Portugal, Gneis (für Stellriemen bei Trottoirs) aus dem Tessin.

Labels schwierig zu überprüfen

Alle drei Kantone stützen sich auf Labels ab, «bei denen davon ausgegangen werden muss, dass sie verantwortungsbewusst arbeiten», erklärt Giuliani. Doch sogar der Steinhändler Hans-Jakob Bärlocher, der einmal jährlich in China Lieferanten besucht, räumt ein: «Die Produktionen zu kontrollieren ist mit dem Personaleinsatz von den Zertifizierungsstellen fast nicht möglich.» Immerhin habe sich aber in Sachen Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz in den letzten Jahren einiges getan. «Ich würde sagen, Zertifikate ja, aber sie sind nicht über alle Zweifel erhaben.»(M. G.)

Kein Granit aus China: Bei der laufenden Sanierung der Bachstrasse in Schaffhausen werden hauptsächlich italienische Randsteine verwendet. Bilder Mark Gasser 

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