«Religion ist keine Medizin, aber moralische Kraft»

Martin Edlin | 
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Vertreter von Religionsgemeinschaften im Dialog: Krankheit ist keine Strafe Gottes. Bild: Roberta Fele

Am Krankenbett ist nicht die Religionszugehörigkeit das Entscheidende, sondern das Wahrnehmen des leidenden Menschen. Das brachte der Interreligiöse Dialog Schaffhausen zum Ausdruck.

«Krankheit hat keine Religion, ebenso wenig wie Religion eine Krankheit» sagt der Muslim Musa Abu Rabia, Pflegefachmann in der Intensivstation des Schaffhauser Kantonsspitals, und meint damit, dass der Kranke, welcher Religion, Konfession oder Denomination er auch immer angehört, ob gläubig oder Atheist, einfach ein Mensch ist, der medizinischer, pflegerischer oder seelsorgerlicher Hilfe bedarf. Und der reformierte Spitalseelsorger Adrian Berger pflichtet bei: «Wir besuchen keine Patienten, sondern Menschen, die hospitalisiert sind.» Denn «ein Mensch besteht nie nur aus seiner Krankheit», ergänzt sein römisch-katholischer Amtskollege Ingo Bäcker. Dass der Kranke aber je nach Kulturkreis, aus dem er stammt, je nach religiöser Beheimatung und persönlichem Gottesglauben unterschiedliche Bedürfnisse bezüglich Hilfe in seiner schwierigen Situation hat, ist ebenso klar. Der ehemalige Palliativmediziner Kurt Müller, der nach seinem Abschied als medizinischer Leiter des Schaffhauser Pflegeheims ein Theologiestudium abschloss und als Pfarrer ordiniert wurde, unterstreicht dies: «Jeder Kranke ist ein Individuum, und als solches muss man ihm begegnen, Hilfe leisten und Respekt zollen.» In einem Punkt sind sich aber alle an diesem Abend, den der vor fünfzehn Jahren ins Leben gerufene «Interreligiöse Dialog Schaffhausen» in der Zwinglikirche dem Thema «Religionen und ihr Umgang mit Krankheit» widmete, einig: Krankheit ist keine Strafe Gottes, wie es im Mittelalter (und wohl auch noch später) gesehen wurde.

«Gott ist Hoffnung»

«Religion ist keine Medizin, aber der Glaube eine moralische Kraft, die genau so wichtig für die Bekämpfung einer Krankheit ist», hielt Nimetullah Vesseli, Iman der Moschee der Islamischen Gemeinschaft Mekka Schaffhausen, fest. Auch da kein Widerspruch in der Gesprächsrunde unter Leitung von Bushra Buff-Kazmi, in Pakistan geborene Muslima, die bei der Schaffhauser Integrationsfachstelle Integres zum Beraterteam gehört. Ausser den Genannten sassen da im weiteren Birgit Gerber, die sich zum tibetischen Buddhismus bekennt, die israelitische Jüdin Ilana Jäckel und die Bahá’í-Vertreterin Silvia Müller-Mettler in der Runde.

Man musste schon sehr genau hinhören, um Unterschiede in der Wahrnehmung und Einordnung von Krankheit unter den verschiedenen Religions­angehörigen zu erkennen. So wollte ­Adrian Berger bei seiner Tätigkeit als Spitalpfarrer nicht von einzelnen Religionen sprechen, sondern von Spiritualität, die es anzusprechen gilt. Für Ilana Jäckel – das Judentum kennt zahlreiche Rituale bei der Begleitung von Kranken, Sterbenden und Verstorbenen – ist Ruhe und Stille am Krankenbett wichtig, denn «aus dem Schweigen entwickelt sich ein Gespräch». Birgit Gerber will als Buddhistin auf meditativem Weg gerade in kranken Tagen das Leben als kostbares Gut erkennen, sich aber ebenso der Vergänglichkeit bewusst werden, während für Iman Nimetullah Vesseli die Hoffnung im Zentrum steht: «Gott ist Hoffnung, auch wenn die Medizin nicht mehr helfen kann.» «Es gibt geistige Heilung durch das Gebet», ist Silvia Müller-Mettler überzeugt: «Krankheit kann geistiges Wachstum sein.» Man müsse eine Krankheit als Prüfung akzeptieren, um zu lernen, Geduld zu üben, verwies Nimetullah Vesseli auf eine Koran-Sure. Man solle aber, so Kurt Müller, die Unvermeidlichkeit des Leidens und des Todes nicht verschweigen, «gerade im heutigen hochtourigen Gesundheitswesen darf man sich nichts bezüglich der Grenzen des medizinisch Möglichen vormachen». Und Ingo Bäcker warnte sogar vor gewissen religiösen Vorstellungen: «Religion darf nicht zum schweren Stein im Rucksack werden, den der Kranke zu tragen hat.»

Unterschiede nicht thematisiert

Der Interreligiöse Dialog Schaffhausen will das Gemeinsame der Religionen erkenn- und erlebbar machen, nicht das Trennende. Das ist hier, quasi am Krankenbett, sicherlich gelungen, ganz im Sinn der Bereitschaft, «am Dialog teilzunehmen und so einen Beitrag zu leisten für ein Zusammenleben in gegenseitigem Respekt», wie es in einer 2016 formulierten Erklärung dieses Zusammenschlusses heisst. Trotzdem ist es schade, dass theologisch unterschiedliche Sichtweisen auf Krankheit und Leiden nicht konturierter zur Sprache kamen und einander gegenübergestellt wurden, gerade um einander besser zu verstehen.

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