Dorfarzt sucht dringend Nachfolger

Regula Lienin | 
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Werner Furrer kann sich gut vorstellen, noch bis 67 als Hausarzt zu arbeiten. Bild: Roberta Fele

Wie in der ganzen Schweiz zeichnet sich auch im Kanton Schaffhausen ein Mangel an Hausärzten ab. Besonders schwierig ist die Nachfolgeregelung in ländlichen Regionen. Der Arzt Werner Furrer aus Löhningen denkt ans Aufhören – nicht zum ersten Mal.

Als Werner Furrer 1994 als Hausarzt anfing, empfing er pro Woche 30 Patienten. Heute sind es manchmal an einem Tag bis zu 35. «Das geht nur, weil ich in den letzten Jahren die Abläufe in der Praxis stark optimiert habe», sagt er. Alles, was er an die medizinischen Praxisassistentinnen delegieren kann, erledigen diese. Er selber wechselt dann von Untersuchungszimmer zu Untersuchungszimmer. So können parallel bis zu drei Patienten behandelt werden. Nun aber, am Donnerstagnachmittag, ist es ruhig, die Dorfpraxis geschlossen. Das Wartezimmer erinnert mit seinem Giebel und den Hängelampen an die 80er-Jahre. In der Ecke beim Eingang werden Bastelarbeiten zugunsten eines Spitals in der Zentralafrikanischen Republik zum Verkauf angeboten, und am Empfang klebt ein Hinweis, der zum Impfen aufruft. Er sei zuerst gegenüber dem mRNA-Impfstoff skeptisch gewesen, sagt Furrer. «Unterdessen bin ich aber von dessen Wirksamkeit und dem weiteren Nutzen der neuen Technologie überzeugt.»

Begeistert vom Fortschritt

Der 63-Jährige findet, er habe den schönsten Beruf überhaupt. Im Resümee seiner beruflichen Laufbahn ist die Begeisterung für sein Fach hörbar. Furrer spricht von einer eigentlichen Nutzenexplosion. Er habe den grossen Fortschritt in der Medizin in vielen Gebieten direkt mitverfolgen ­können, etwa in der Diabetes- oder MS-­Behandlung. Als weiteres Beispiel nennt er Leukämie. «Zu Beginn meiner Tätigkeit musste ich mit dieser Diagnose einem 35-jährigen Familienvater die Nachricht seines sicheren Todes überbringen. Heute hat er eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit zu überleben.»

Manche seiner Patientinnen behandelt der Allgemeinmediziner seit Kindsbeinen; heute kommen sie zu ihm mit ihren eigenen Kindern. Wichtig sind ihm aber auch die über 100 Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims Sonnmatt in Wilchingen, für die er als Arzt zuständig ist. Und als im benachbarten Schleitheim der letzte Hausarzt abrupt seine Praxis schloss, verzeichnete er innert kurzer Zeit rund 200 Neuzugänge, zumeist ältere Patienten. Noch immer erhält seine Praxis wöchentlich Anfragen. Inzwischen könne er niemanden mehr aufnehmen. «So gerne ich es auch tun würde.»

Schon einmal Nachfolger gesucht

Werner Furrer denkt schon länger ans Aufhören. Seit zwei Monaten ist auf der Website des Vereins docSH eine Ausschreibung aufgeschaltet. «Nachfolger für Hausarzt in Löhningen gesucht! Ab sofort oder nach Vereinbarung», heisst es. Und weiter: «Eine anfängliche Anstellung in Voll- oder Teilzeit ist möglich.» Die Formulierung ist bewusst flexibel gehalten. Furrer weiss um die Unwägbarkeiten, die mit der Suche verbunden sind. Denn vor zwölf Jahren befand er sich schon einmal in einer ähnlichen Lage.

Zur Person

Werner Furrer ist mit einem kurzen Unterbruch seit 1994 in ­Löhningen als Hausarzt tätig. Er stammt ursprünglich aus Thayngen, ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern. Zusammen mit seiner Frau Esther Furrer, die in der Praxis mitarbeitet, führt er zudem das ärztlich betreute Fitnesscenter Aktivtraining plus in Neuhausen.

Damals entschied er sich zum Verkauf der Praxis, weil er überlastet war. Furrer spricht nicht explizit von einem Burn-out, aber von einer unguten Spirale, in die er geraten sei. Gründe dafür gab es verschiedene, darunter die damalige Organisation des Notfalldienstes, die eine hohe Einsatzbereitschaft erforderte. Zudem waren in jenen Jahren die Übergänge von der Arbeit zum Privatleben noch fliessend, weil er mit seiner Familie das an die Praxis angebaute Haus bewohnte. Mit dem Verkauf folgte der Umzug nach Siblingen und Furrer blieb ­vorübergehend lediglich als Arzt des Pflegeheims Sonnmatt im Einsatz.

Ungeplante Rückkehr

Die Pause von der Praxistätigkeit bezeichnet er rückblickend als Glücksfall. «Sie war mein Sabbatical, das mir ermöglicht hat, wieder einzusteigen.» Der Neubeginn war aber alles andere als geplant. Nach zwei Jahren fand sich Furrer nämlich in seiner alten Praxis als Dorfarzt wieder. Die Übergabe an eine Betreiberin allgemeinmedizinischer Praxen bewährte sich nicht. Angestellt wurde ein aus Deutschland stammender Arzt, der die Praxis nicht sehr lange führte.

Was ihm von seinen ehemaligen Patienten zugetragen worden sei, habe ihm nicht gefallen. Als eine weitere Nachfolgelösung nicht zustande kam, entschied er sich zur Rückkehr. Furrer erklärt das Debakel mit unterschiedlichen Systemen und falschen finanziellen Vorstellungen. «Die Unterschiede sind viel grösser, als es auf den ersten Blick scheint.» Beim Kollegen in Schleitheim habe es mit der Nachfolge aus dem Nachbarland auch nicht funktioniert. Furrer findet unterdessen, dass man mehr Ärzte in der Schweiz ausbilden sollte.

«Ich habe noch nie so gerne gearbeitet, wie in den letzten Jahren.»

Bei seinem Neuanfang in Löhningen wurde er von seiner Frau unterstützt, die bis heute in der Praxis mitarbeitet. Zusammen und mit Hilfe langjähriger Praxisassistentinnen bauten sie den Betrieb wieder auf. Inzwischen führt er zudem mit seiner Frau ein ärztlich betreutes Fitnesscenter in Neuhausen. Furrer ist überzeugt: «Wer nicht aufhört, sich zu bewegen, ist im Alter viel länger fit und zufriedener.»

Schöne letzte Berufsjahre

Anders als vor zwölf Jahren sind die vielen beruflichen Aktivitäten kein Kraftakt mehr, und der Notfalldienst ist längst anders organisiert. Dank der Auszeit habe er gelernt, sich besser zu managen und sich weniger aufzureiben, sagt Furrer. Mittlerweile falle es ihm leicht, das hohe Arbeitspensum zu bewältigen. Sein Fazit fällt positiv aus. «Ich habe noch nie so gerne gearbeitet, wie in den letzten Jahren.» Auch lese er, seit seine Kinder erwachsen seien, viel mehr medizinische Fachliteratur.

Hinsichtlich seiner zweiten Praxis-Übergabe ist Werner Furrer zuversichtlich. «So Gott will», sagt der bekennende Christ. Schliesslich sei es auch Gott gewesen, der ihm, dem ursprünglich gelernten Elektriker, den Weg zur Medizin gewiesen habe. Dass es gerade auf dem Land schwierig ist, einen Nachfolger zu finden, weiss Furrer nur zu gut. Wichtig ist ihm, dass seine ­Patienten nicht denken, er höre sofort auf. «Ich würde gerne noch bis 67 arbeiten. Mein Wunsch wäre ein Abschied mit einem reduzierten Pensum.» Ein erster Interessent habe sich bereits gemeldet. Mehr will er aber noch nicht verraten.

Ein Verein als Vermittler

Um dem sich abzeichnenden Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten entgegenzuwirken, ist im Kanton Schaffhausen 2018 der Verein docSH entstanden. Die Basis dazu legte der Verein für Hausarztmedizin in der Region Schaffhausen und die kantonale Geschäftsstelle der Regional- und Standortentwicklung. Im neu gegründeten Verein sind der Kanton und Gemeinden vertreten. Die Ernsthaftigkeit des Anliegens wird durch die finanzielle Unterstützung etwa seitens Kantons unterstrichen.

Inzwischen hat sich einiges getan: Am Kantonsspital Schaffhausen ist mit dem Neuhauser Arzt Georgios Livas ein Hausarzt-Mentor tätig. Ausserdem können Ärztinnen und Ärzte die fünf er­forderlichen Weiterbildungsjahre zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin in Schaffhausen absolvieren. Damit kann die Ausbildung zum Hausarzt komplett in Schaffhausen absolviert werden. Ebenfalls aufgebaut wurde eine Geschäftsstelle, die docSH führt.

Via Website bietet der Verein angehenden Hausärzten Informationen über Veranstaltungen und vermittelt Praxisassistenzstellen. Ausserdem hilft er bei der Suche nach frei werdenden Praxen oder Stellen sowie bei der Suche nach einem Partner oder Nachfolger eines bereits etablierten Arztes – wie im Fall von Werner Furrer. (rli)

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