Mehr als ein paar dunkle Erdflecke
Dunkle Schatten im Sediment waren alles, was bei den Ausgrabungen in Eschenz im Mai 2018 auftauchte. Trotzdem kann man jetzt sehen, wie die Siedlung ausgesehen haben könnte.
Es war die Entdeckung im letzten Mai: Kurz nach dem Baustart für drei Einfamilienhäuser am Eschenzer Höflerweg stiessen die Kantonsarchäologen auf Erstaunliches. Rund ein Meter unter der Erde kamen ein Dutzend Häuser aus dem 7. bis 9. Jahrhundert zum Vorschein. Nach mehreren Wochen Nachforschungen konnte stolz verkündet werden: «In Eschenz wurde die grösste frühmittelalterliche Siedlung des Kantons Thurgau entdeckt» (SN vom 13. Juli 2018). Endlich hatte man das, was fast alle Nachbarkantone schon vorweisen konnten. Es gab nur ein Problem: Bisher hatte man die Öffentlichkeit von den Entdeckungen ausgeschlossen. Etwas, «was man sonst nie macht», betont Urs Leuzinger, Leiter des Museums für Archäologie in Frauenfeld. Dafür gab es Gründe.
Einerseits lief der Bau parallel zu den Ausgrabungen. Und das auf Privatland. Leute auf die Fundstelle zu lassen, war unmöglich. Andererseits waren von den Häusern lediglich Schatten im Sediment zurückgeblieben. Dem Laien dunkle Erdflecke schmackhaft zu machen, war schwer umzusetzen. «Trotzdem sollte man es probieren», fand ein Redaktor der «Schaffhauser Nachrichten», der über den Fund berichtete. Er gab den Archäologen letztlich den Anstoss zur Sonderausstellung «Askinza», die dieses Wochenende im Frauenfelder Museum für Archäologie eröffnet wurde.
Eberzähne und alte Kochtöpfe
In einer Vitrine liegen die Backen- und Schneidezähne eines jungen Ebers. «Er wurde vermutlich eineinhalbjährig. In diesem Alter haben die Tiere besonders zartes Fleisch und eignen sich als Spanferkel – für ein grosses Fest im Dorf zum Beispiel», sagt Leuzinger. Gebraten wurde der Eber womöglich über einer Feuerstelle, von der ebenfalls ein Sandstein zurückgeblieben ist. Auf einer Seite ist dieser rötlich gefärbt – entstanden sei dies durch die Hitze, die das Eisen im Stein zum Rosten gebracht hätte, erklärt Leuzinger. Auch einige schwarze Scherben liegen da; sie gehören zu über eintausendjährigen Kochtöpfen.
Dass von ihnen nicht mehr viel vorhanden ist, erstaunt, wenn man sie mit den fast vollständig erhaltenen Gefässen aus dem Gräberfeld vergleicht, das 2013 in Eschenz entdeckt wurde und zum Dorf gehörte. «Das liegt daran, dass die Töpfe in den Gräbern versiegelt blieben. Die Funde aus dem Dorf waren Scherben, die man beiseitegekehrt hatte. Wie heute, wenn uns ein Glas herunterfällt und wir die Überreste entsorgen», so Leuzinger. Das ist aber wohl auch der einzige Punkt, der mit dem heutigen Leben der Eschenzer vergleichbar ist.
«Ich bin gespannt, was die Ergebnisse der ETH im März zum Vorschein bringen werden.»
Urs Leuzinger, Leiter Museum für Archäologie Frauenfeld
Gewohnt haben die frühmittelalterlichen Eschenzer – Bauern mit ihren Leibeigenen – in Häusern aus Lehm und Fachwerkelementen. Über die Zusammensetzung des Daches ist man sich nicht sicher: Es könnte aus Schindeln, Stroh, aber auch aus Schilf bestanden haben. Zu vielen Haupthäusern gehörten Grubenhäuser. Das waren in die Erde vertiefte Nebengebäude, in denen eine hohe Luftfeuchtigkeit herrschte. «Die brauchte man zur Herstellung von Leinenfäden oder zum Weben. Aber auch als Vorratskammern oder Ställe», sagt Leuzinger. Nur ihnen ist es zu verdanken, dass man die Siedlung in Eschenz überhaupt rekonstruieren konnte. Denn die Pfosten, welche die Grubenhäuser gestützt hatten, hinterliessen in den Erdschichten dunkle Flecke. Die Archäologen konnten diese zu Grundrissen zusammenfügen. Bei den Haupthäusern hingegen gelang es ihnen nicht. Weshalb, versteht man, wenn man die Visualisierung aller Pfostenabdrücke anschaut, die am Höflerweg gefunden wurden. Gegen 100 Pfosten liegen auf der 40 mal 30 Meter grossen Fundstelle – relativ geordnet die der Grubenhäuser, wild verteilt die der Haupthäuser. Es ist ein wenig wie beim Spiel «Punkte verbinden». Anfangs hat man einfach nicht den nötigen Durchblick, welche Formen entstehen sollen. Oder im Fall der Archäologen: Wie die Haupthäuser auf den Pfosten standen, ist noch immer ein Rätsel.
Vieles liegt noch im Dunkeln
Ohnehin ist noch so manches unklar, wenn es um die frühmittelalterliche Siedlung in Eschenz geht. Es fängt bereits beim Namen an. Leuzinger hat zwar in einer alten Urkunde einen Hof aus dem Jahre 958 entdeckt, der sich «Askinza» nannte. Ob damit besagte Siedlung gemeint sein könnte, ist gut möglich. «Es könnte sich das Wort ‹Eschenz› darin verbergen», sagt Leuzinger. Deshalb nannte man auch die Ausstellung so. Aber sicher ist man sich nach wie vor nicht. Genauso wenig bei der genauen Datierung der Siedlung.
Neue Erkenntnisse von der ETH?
Etwas Licht ins Dunkel bringen womöglich die Radiokarbondaten, die momentan noch an der ETH Zürich ausgewertet werden. «Eigentlich ist es noch sehr früh für die Ausstellung. Ich bin gespannt, was die Ergebnisse der ETH im März zum Vorschein bringen werden», so Leuzinger voller Vorfreude. Wer weiss, was da noch alles im Ungewissen schlummert.