Fast wie zu Papst Gregors Zeiten

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Gemäss dem Motto «Gregorianik meets Pop – Vom Mittelalter bis heute» sangen die Gregorian Voices am Freitagabend in der Schaffhauser Münsterkirche. Bild: Evelyn Kutschera

Die Gregorian Voices sind Sänger in Mönchskutten, die von Vibrato bis Popstimme alles beherrschen. Dass sie es mit dem Begriff «Gregorianik» nicht allzu genau nehmen, ist verständlich.

von Luca Miozzari

Gut gefüllt und doch eiskalt präsentierte sich die Münsterkirche am Freitagabend. Die Erwartung angenehmer Temperaturen dürften für die Zuschauer allerdings auch nicht der Anlass gewesen sein, ihr wohlig warmes Wohnzimmer zu verlassen und stattdessen auf den hölzernen Kirchenbänken Platz zu nehmen. Wie fast in jedem der vergangenen Jahre machten die Gregorian Voices aus Bulgarien halt in Schaffhausen – ein achtköpfiger Chor, der sich den Kirchengesängen aus dem Frühmittelalter gewidmet hat und fast ausschliesslich in Kirchen auftritt. Die Bulgaren sind seit 2011 in wechselnder Besetzung unterwegs und momentan mit ihrem Programm «Gregorianik meets Pop» auf Schweiztournee. In der Münsterkirche spielten sie am Freitag bereits zum fünften Mal. An Beliebtheit abgenommen hat die Truppe keinesfalls: Praktisch jeder Platz, von dem aus der Blick auf die Bühne nicht durch eine der romanischen Säulen verstellt war, fand einen Besetzer. Nach dem gut zweistündigen Konzert erhob sich das Publikum geschlossen zu Standing Ovations.

Die szenische Inszenierung gehört zu den Stärken des bulgarischen Männerchores.

Die szenische Inszenierung gehört zu den Stärken des bulgarischen Männerchores, wobei ihnen der Auftrittsort und seine Atmosphäre am Freitagabend klar in die Karten spielten. Für das Konzert wurde der Innenraum der Kirche fast in seiner natürlichen Dunkelheit belassen, am hinteren Ende des Längsschiffs war ein grosser Kerzenständer aufgestellt. Diffuses Licht auf den Kerzenständer und die Rückwand des Münsters warfen zwei violette Scheinwerfer. Vor dieser Kulisse präsentierten sich die Vokalisten: Acht Männer, allesamt in braune Benediktinerkutten gekleidet, stellten sich schweigend im Halbkreis auf, die Hände andächtig gefaltet. Man war fast erstaunt, dass unter den Kapuzen, welche sie sich alle synchron vom Haupt streiften, keine Tonsuren zum Vorschein kamen. Das einzige optische Indiz dafür, dass dieses Konzert im Jahre 2019 und nicht zur Blütezeit dieser Klosterkirche im Hochmittelalter stattfand, waren die Notenständer und die daran montierten LED-Lämpchen.

Das Repertoire ist ausbaufähig

Dass es sich bei dem Gezeigten streng genommen nicht oder zumindest nicht ausschliesslich um Gregorianik im eigentlichen Sinne des Begriffes, sondern eher um pseudo-gregorianische Kirchenromantik handelt, ist bekannt und wurde bereits von vielen Kritikern gegen die Gruppe aus Bulgarien angeführt. Die Entscheidung, es mit der Musikhistorie nicht ganz so genau zu nehmen, ist allerdings begründet und nachvollziehbar: Echte Gregorianik ist nämlich ziemlich eintönig. Die nach Papst Gregor dem Grossen benannten gregorianischen Choräle, welche ab dem siebten Jahrhundert in Rom an der päpstlichen Schola Cantorum in Rom gelehrt wurden und heute noch Bestandteil der katholischen Liturgie sind, bestehen hauptsächlich aus monotonen Psalmengesängen. Meistens werden einzelne Passagen vorgesungen, welche der Chor oder die Kirchgemeinde anschliessend wiederholt. Um ihren Auftritt attraktiver zu gestalten, liessen die Gregorian Voices neben «Ave Maria» und «Salve Regina» auch melodisch komplexere Gesänge aus der ortho­-doxen Liturgie und Renaissance-Kompositionen einfliessen.

Stimmlich auf höchsten Niveau wusste auch der zweite Teil des Konzertes, welcher der Popmusik gewidmet war, zu überzeugen. Einzig die Songauswahl hätte etwas fantasievoller ausfallen können: Mit «Tears in Heaven», «Knocking on Heavens Door» oder Cohens «Halleluja» wirkte das Repertoire der Bulgaren fast wie von einem durchschnittlichen Schülerchor übernommen.

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