«Das gibt ein ganz neues Quartier»
Der Präsident des Zentrums Kohlfirst und der Architekt stellen den Neubau vor und sagen, warum sich trotz kalt wirkender Aussenansicht die Bewohner im Innern dennoch wohlfühlen.
InterviewSerge Rohrbach, Präsident des Zweckverbands Zentrum Kohlfirst, und Architekt Florian Stegemann zur Eröffnung des Neubaus in Feuerthalen
VON MARK GASSER
Herr Rohrbach, Herr Stegemann, die Feuerwehr musste gestern Morgen, einen Tag vor Eröffnung des Neubaus des Zentrums Kohlfirst, wegen eines Fehlalarms ausrücken. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Omen?
Serge Rohrbach (Zweckverbandspräsident):Ein gutes! Denn es zeigte, dass die ganze Alarmkette mit der Feuerwehr, unseren Leuten und der zuständigen Hausabwartin vollumfänglich funktioniert.
Florian Stegemann (Architekt): Es war ein Problem der Feineinstellung. Aber es zeigte, dass für das Altersheim, das in der höchsten Sicherheitsstufe ist, die Alarmkette funktioniert. Ein ungewollter Haupttest.
Der Spagat zwischen modernem Wohnen und dem bewährten, vertrauten Eichenparkett, Jugendstilmöbeln und Blumentapeten schafft einen starken Kontrast. Was ist die Idee dahinter?
Stegemann:Die Räume haben schon gewisse historisierende Elemente wie die wunderschönen Tapeten, die Möblierungen, welche auch den Ansprüchen des Alters gerecht werden müssen. Wir dachten bei der Planung immer an den Kontrast zwischen innen und der Strenge aussen und an das Spielerische: Von jedem Platz aus hat man Sichtkontakt zum Aussen, zum Grünen. Auch dank den begrünten Innenhöfen. Es ist auch ein Wechselspiel zwischen kalt und warm. Angenehme Farbgestaltung, manchmal pro- vozierende Farbzusammensetzungen – die alle mit Gerontologen erarbeitet wurden – sollen gemeinsam mit den raumgebenden Materialien (Eichenböden) eine hohe Wohnatmosphäre und Kraft vermitteln.
Es wurde offenbar sehr viel Wert auf die extreme Raumhöhe gelegt. Und der Eingangsbereich erinnert an eine Hotellounge. Was bewirkt das?
Stegemann: Mit der Raumhöhe von drei Metern schafft man Grosszügigkeit, die nicht nur in den grossflächigen Räumen zu spüren ist. Anderseits sollte sich dieser Wunsch decken mit der Wirtschaftlichkeit im Betrieb, um einen Grundriss zu schaffen, der den Vorstellungen nach bedarfsgerechter Pflege gerecht wird. Von der Infrastruktur her sind natürlich auch Parallelen zu Hotels da – nur legten wir hier im Betrieb mehr Wert auf die Bewegungs- und Aufenthaltsräume und die individuellen Bewohnerzimmer. Diese sollen eher an eine Wohnung erinnern.
Von aussen wirkt der Bau wie einige Paläste aus der Sowjetzeit, des sozialistischen Klassizismus.
Stegemann: Wir versuchten, uns vom allgemeinen Siedlungsgefüge abzuheben und wollten aussen immer ein Gebäude schaffen mit einer hohen Identität – ein Haus, das Charakter hat, das eine Adresse bildet. Und der kompakte Baukörper mit der Fassadengestaltung, den an Säulen erinnernden Kannelüren, dem starken Raster ist eine Anlehnung an klassizistische Villen, Schulhäuser oder Regierungsgebäude. Das hohe Fenstermass zieht sich übers ganze Gebäude hinweg. Durch den Raster brachten wir auch einen hohen Vorfabrikationsgrad hin, was durch den Elementbau eine gewisse Wirtschaftlichkeit bedeutet.
Die Positionierung des Baus war ja im Vorfeld eine viel diskutierte Frage. Hätte es da bessere Möglichkeiten gegeben, oder ist es der ideale Standort?
Stegemann: Es ist die ideale Position zusammen mit dem Alterswohnprojekt der Gemeinde Feuerthalen, welches nach dem Abbruch des Altbaus nebenan entsteht. Das gibt ein ganz neues Quartier. Dies ist erst der Anfang, der eine Entwicklung einleitet, der zunächst als Sprung wahrgenommen wird. Nach dem Rückbau entsteht zum Beispiel ein Park. Das Haus wird mit dem Grünstreifen zusammen lesbar.
Gibt es inzwischen konkretere Aussagen, ob es die eingeschossige Erweiterung Richtung Süden für bis zu 15 weitere Bewohner bis 2030 braucht, wie eine Studie auf- gezeigt hat?
Rohrbach: Die Tragbarkeit des Hauses hängt sehr stark von der Belegung der Zimmer ab. Hätten wir permanent sieben, acht Zimmer frei, dann wäre das betriebswirtschaftlich Unsinn. Aber die Belegung kann sehr stark und sehr schnell variieren. So lange wir nicht eine ständige Warteliste mit 30 Personen haben, wird das Thema in den nächsten 10 Jahren nicht aktuell.
Haben sich Mitarbeiter schon zu den neuen Räumen geäussert, die ja nun bessere Betriebsabläufe garantieren sollen?
Rohrbach: Die Mitarbeiter müssen sich erst mit den neuen Räumen auseinandersetzen und ihren Tagesablauf strukturieren. Neu können sie etwa zwei Schränke in den Bewohnerzimmern nutzen, statt wie bislang alles im Stationszimmer holen zu müssen.
Wirkt die Fassade mit den Blumen- töpfen in allen Fenstern – ich zähle über 100 – nicht überladen?
Stegemann: Sie sind ein spielerisches architektonisches Element, um mit der Fensterlaibungstiefe zu arbeiten. In der Auseinandersetzung mit anderen Altersheimen zeigte sich, dass sehr oft Zimmerpflanzen und Blumen am Fenster ein Thema sind. Es ist aber jedem Bewohner überlassen, ob er das will. Wenn man kein Faible dafür hat, kann der Hausdienst die Pflanze wieder abräumen.
Rohrbach: In der Anfangsphase wird sicher der Zentrumsbetrieb die Begiessung sicherstellen – möglichst im Zusammenspiel mit den Bewohnern.
Konnten die budgetierten Baukosten von 29,6 Millionen Franken eingehalten werden?
Rohrbach: So schnell geht es nicht: Es gibt noch keine Bauabrechnung, aber wir bewegen uns im gesetzten Kostenrahmen. Ich selbst habe früher den politischen Prozess immer wieder unterschätzt. So sagte ich in einem Interview 2009, wir würden Grössenordnung 2013/14 in den Neubau zügeln. Es wäre aber ein falscher Ratgeber, wenn man beginnen würde, beim Bau zu drängen. Und dadurch hatten wir auch viel Zeit für die Kommunikation – was sich aufs Abstimmungsergebnis mit 77 Prozent Ja für den Neubau positiv auswirkte.
«Der Neubau ist der Anfang, der eine Entwicklung einleitet, und er wird zunächst als Sprung wahrgenommen.»
FLORIAN STEGEMANN
Architekt Zentrum Kohlfirst
Innenarchitektur «Das Gebäude ist eine Persönlichkeit geworden»
Nicht nur die Cafeteria, die Essräume und die kleinen Nischenplätze im neuen Zentrum Kohlfirst sind mit entfernt an Kopfsalat erinnernden Wand- und Deckenleuchten ausgestattet. Auch in den Gängen schaffen diese Leuchten innenarchitektonisch einen Kontrast zu den eher schlichten Ausstattungen und dem Sichtbeton. Die Lampenwahl war kein Zufall: Daniel Hunkeler, der den Bau an der Seite von Florian Stegemann mitkonzipierte, legte auch einen Fokus auf die Innenarchitektur. «Es sind kleine Dinge, die am Schluss auch entscheidend sind. Die Lampen sind eine Analogie auf moderne Kronleuchter, ein kleines Tüpfchen auf dem i aus Plastik.»
Den Spagat zwischen modern und alt zeigen auch die fotografierten Muster auf den Möbeln. «Sie wecken Erinnerungen», sagt Hunkeler. «Damit haben wir auf allen Ebenen gespielt. Dasselbe beim Wechselspiel zwischen den säulenähnlichen Keramikelementen, die ein wenig an korinthische Stelen erinnern.» Die ausladende Cafeteria sollte ausserdem nicht leer, sondern heimelig und gar etwas «gedrängt» wirken. «Und trotzdem hat jeder den Blick nach draussen», wie Hunkeler betont.
Ein weiterer architektonischer Entscheid, der unbewusst das Raumgefühl beeinflusst, sind nebst der Höhe der Räume und der zweiflügeligen Fenster auch die Farben in den Zimmern und die quadratischen Grundrissflächen der privaten Wohnzimmer. «Es war der Wille, mit Bildern von alten Villen zu spielen und etwas Modernes, Würdiges daraus zu machen, ohne historisierend zu werden», fasst Hunkeler zusammen. Eine sinnliche Anlage zu schaffen, sei von Anfang an die Grundidee gewesen. «Es provoziert und ist aussen und innen eine Persönlichkeit geworden.»(M. G.)