Vier Literaten und ein Geiger

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Erich Meili begleitet auf seiner Geige die Texte des Literatenquartetts, hier Robert Sniderman. Bild: Johannes von Arx

Die Ankündigung des Buchladens Stein am Rhein für den heissen Sommerabend als «experimentelle Poesie» erfüllte sich von A bis Z.

von Johannes von Arx

Vom familiär begründeten Aufenthalt des Literatenpaars Yanara Friedland und Robert Sniderman aus Seattle (USA), der unversehens zu einem Auftritt an dieser lyrischen Nacht führte, berichteten die SN am Samstag. Ein glücklicher Zufall, denn auf diese Weise kam ein Grenzen sprengendes Quartett zustande – genauer: ein Quintett, denn der Berufsmusiker Erich Meili aus Eschenz umwob mit seinen Klängen die Darbietungen der Genannten sowie von Julia Kubik und der Künstlerin Leonore Dubach aus Männedorf.

«Es jetzt auszusprechen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.»

Robert Sniderman, Literat

Eine der gesprengten Grenzen ist die der literarischen Genres. Letztere hebt mit Gedanken zu Bob Dylan an und bietet in der Folge Text-splitter in einem Satz dar, etwa Gedanken zur «Schwarzen Spinne», ohne dann auf den Hintergrund einer konkreten persönlichen Erfahrung einzugehen. Dubach schildert Sehnsuchtsmomente, die nie erreicht werden können. Kubik wiederum spricht im hektischen Tempo der Slam-Poetin, die sie früher war – und wird dadurch auch mal schwer verständlich. Die St. Gallerin kondensiert Erfahrungen aus ihrer Umgebung in Aphorismen, wie etwa dem: «Je länger man einen Biber anschaut, desto mehr wird er zu einem Meerschweinchen.»

Variieren und Zitieren

Die Geschichten von Yanara Friedland spannen sich von Erinnerungen an ihre Kindheit über Fetzen aus aktuellen Erlebnissen bis zu Ereignissen der realen Geschichte wie etwa die der Katharina S. aus dem vorletzten Jahr des Dreissigjährigen Krieges: Der Nürnberger Hofbäcker Hans macht der begnadeten Lebkuchenbäckerin einen durchsichtigen Heiratsantrag. Als Rache über dessen Rückweisung bringt Hans seine Konkurrentin in ihrem Hexenhaus um, findet aber das im Wald vergrabene Rezept nicht. Die deutsch-amerikanische Autorin geht vom Märchen «Hänsel und Gretel» aus, verarbeitet es in der Tragödie um Ulrike Meinhof weiter, variiert also Themen verschiedener historisch bekannter Figuren und Events.

Gestik wie ein Dirigent

Als Letzter nimmt Robert Sniderman Platz auf dem Cinéma-Sessel, wo er sich indessen nicht etwa lesenderweise zurücklehnt. Auf Englisch stimmt er auf das Kommende ein: das kollektive Gedächtnis des Weltjudentums. Seine Worte sind alles andere als Poesie ab Blatt. Vielmehr hebt er beide Hände, streckt je zwei Finger hoch als physische Anführungs- und Schlusszeichen: «To name it now so as not to repeat history in oblivion» (Es jetzt auszusprechen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt) von Theresa Hak Kyung Cha. Seinen Vorfahren huldigend setzt Sniderman längere Kunstpausen zwischen den Wörtern, ja selbst innerhalb eines Wortes, begleitet von kraftvoller Gestik, die eher wie Dirigieren anmutet denn wie ein imperatives Verstärken seiner collageartigen Texte. Er lässt seinen Blick über das oft nur wenige Wörter enthaltende Manuskriptblatt gleiten. Sind sie ausgesprochen, gleitet das Blatt zu Boden – die Facette einer Geschichte entschwindet. «Danke» – die Performance von Robert Sniderman ist angekommen. Erich Meili, ein begnadeter Improvisator auf seiner Geige, lässt den Abend oberton- und flageolettenreich ausklingen – nein, verstummen.

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