«Jeder kann Wissenschaft verstehen»

Clarissa Rohrbach | 
Noch keine Kommentare
Prof. Dr. Thierry Courvoisier ist leidenschaftlicher Segler und zeichnet auf, wie wichtig Wissenschaft für unsere Kultur ist. Bild: zvg

Der Astrophysiker Thierry Courvoisier kommt nach Schaffhausen, um die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft zu verteidigen.

Herr Courvoisier, Sie fordern, dass mehr Wissen in die Politik hineingetragen wird. Wie soll das geschehen?

Thierry Courvoisier: Wissenschaft und Politik sind oft weit voneinander entfernt. Brücken zu schlagen, ist schwierig. Doch ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Entscheidungsträger Zugang zur interesselosen Wissenschaft haben. Es ist die Aufgabe von wissenschaftlichen Akademien, den Kontakt zu knüpfen. Sie sollten über Themen, die im Parlament diskutiert werden, informiert sein und das Gespräch mit den Politikern suchen. Nur so können sie mitwirken. Dabei genügt es nicht, wissenschaftliche Berichte zu veröffentlichen. Wissenschaftler müssen inoffiziell Beziehungen zu Politikern aufbauen, damit ein Vertrauensverhältnis entsteht.

Was nützt es den Politikern, besseren ­Zugang zur Wissenschaft zu haben?

Viele Entscheide, die Politiker treffen müssen, wären ohne wissenschaftliche Erkenntnisse schwierig. Denken Sie nur an Klimafragen, an die Landwirtschaft, an die Biodiversität und an die Mobilität. In all diesen Feldern helfen Wissenschaftler den Politikern, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Die Wissenschaft hilft zum Beispiel, die Einflüsse auf die ­Atmosphäre oder die Wirkung von Pestiziden zu verstehen.

Wieso gibt es so wenige Naturwissenschaftler in der Politik?

Wissenschaftler und Politiker haben eine andere Natur. Das betrifft nicht nur ihre Interessen, sondern auch ihr Verhalten und wie sie sich in der Öffentlichkeit geben. Politiker haben meistens nicht Naturwissenschaften, sondern Recht oder Sozialwissenschaften studiert. Andererseits sind Naturwissenschaftler nicht gerne in der Politik. Denn da werden klare Ansagen und Entscheide verlangt. Es ist hingegen in der Natur der Naturwissenschaftler zu zweifeln. Das wiederum verunsichert die Politiker. Die beiden Seiten fürchten sich voreinander, das macht einen Dialog schwierig.

Wie bringt man also Politiker und ­Wissenschaftler näher?

Die beiden Seiten müssen vielmehr miteinander reden. Wissenschaftler sollten Politikern beibringen, welchen Resultaten man trauen kann und welchen nicht, sodass die Öffentlichkeit weiss, bei welchen Erkenntnissen noch Zweifel angebracht sind. Andererseits müssen Wissenschaftler auch verstehen, dass es in der Politik oft um klare Verhältnisse geht, um ein Ja oder ein Nein. Es ist ihre Aufgabe, Argumente so zu bringen, dass sie auch politisch nützlich sind.

Fragt man einen Wissenschaftler, ob er Krebs heilen kann, ist das eine nicht ­wissenschaftliche Ausdrucksweise. Wie findet man eine gemeinsame Sprache?

Es ist nicht gut, wenn Wissenschaftler in der Sprache der Politik reden und umgekehrt. Aber um sich zu verständigen, ist es wichtig, dass man die Sprache des anderen zu verstehen versucht. Das gilt im Übrigen auch für die Gesellschaft im Allgemeinen. Nehmen wir zum Beispiel genetisch modifizierte Lebensmittel. Die Wissenschaft muss das Volk auf eine verständliche Weise aufklären. Man kann alle wissenschaftlichen Erkenntnisse erklären, dafür braucht es nur Zeit und einen gewissen Effort.

Sie behaupten, die Axiome der Logik seien intuitiv jedem bekannt. Kann also jedermann wissenschaftliche Erkenntnisse ­verstehen?

Einsteins Gleichung ist für alle zugänglich und somit potenziell auch für alle verständlich. Wenn es jemand wirklich verstehen will, dann kann er das auch. Dafür braucht es nur eine normale menschliche Intelligenz und den Willen, sich für einige Zeit damit zu befassen. Nur ein Bruchteil unter uns mögen diese Bemühung einzugehen. Zum Glück, denn eine Welt mit nur Wissenschaftlern wäre langweilig.

Es gibt Leute, die an den Kreationismus oder an die Homöopathie glauben, obwohl diese wissenschaftlich einen Unsinn darstellen. Wieso lässt man sich auf ­solche Behauptungen ein?

Es ist mir schleierhaft, wie man an einen solchen Kram glauben kann. Ich dachte, der Kreationismus verschwinde, dabei wird er immer stärker. In den USA gibt es sogar eine Bewegung, die behauptet, die Erde sei flach. Ich denke, es ist schlichtweg komfortabler, an etwas blindlings zu glauben, anstatt sich wissenschaftliche Beweise anzueignen.

Durch Social Media werden noch mehr Unwahrheiten verbreitet. Sind Sie ­besorgt?

Ich halte nicht viel von Social Media. Jeder kann da etwas behaupten und es weltweit streuen. Wenn dieses Unwissen dann angenommen wird, ist das gefährlich. Es braucht ein gewisses Grundwissen, um solche Behauptungen kritisch zu hinterfragen und festzustellen, was stimmt und was nicht. Doch das besitzen nicht alle. Es macht mir Sorgen, wenn Fakten verbreitet werden, die falsch sind.

Ist der Verstand heutzutage nicht mehr das Mass aller Dinge?

Die Vernunft ist die fruchtbarste Art, die Welt zu betrachten. Ich dachte, wir hätten den Kampf der Aufklärung gewonnen. Doch zweifeln heute immer mehr Leute an der Vernunft. Sie folgen einfach irgendeiner Lehre, ohne diese zu hinterfragen. Glauben ist halt einfacher als Wissen. Wissenschaftler müssen dafür kämpfen, dass die Weltsicht vernünftig bleibt. Das ist heutzutage schwieriger, weil die Wissenschaft tiefer in die Themen hineingeht, was zum Teil für die Bevölkerung nicht so leicht nachzuvollziehen ist. Es ist zum Beispiel schwierig, die Leute für das Verhalten der Elementarteilchen zu begeistern. Ausserdem weiss man seit der Atombombe, dass Wissenschaft nicht nur Gutes bringt. Das erzeugt auch eine gewisse Skepsis.

Der grösste Teil der wissenschaftlichen Ergebnisse stammt aus der privat­wirtschaftlichen Forschung. Ist die reine Wissenschaft den ökonomischen Interessen unterlegen?

Zwei Drittel der Forschung in der Schweiz sind privat finanziert und nicht unbedingt öffentlich zugänglich. Firmen wie zum Beispiel die Pharmaindustrie haben ein Interesse daran, dass die Resultate nicht veröffentlicht werden. Die wirtschaftlichen Interessen sind wichtig für unsere Gesellschaft, doch wird es problematisch, wenn diese den Interessen der Gesellschaft widersprechen. Ich denke da zum Beispiel an die Tabakindustrie. Die Frage ist, ob eine solche wirtschaftliche Orientierung optimal ist für die Gesellschaft. Vielleicht sollte die Forschung mehr vom Staat unterstützt werden.

Unser Leben ist auch von Gefühlen ­geprägt. Mit der Vernunft sollen wir Ihrer Ansicht nach abwägen, welche emotionalen Reaktionen sinnvoll sind. Sind die Menschen überhaupt so rational?

Es gibt immer einen Teil der Bevölkerung, der gewissen Dingen gegenüber irrational reagiert. Nehmen wir zum Beispiel die Ausländerfeindlichkeit bei Leuten, die gar nicht mit Ausländern konfrontiert sind. Es liegt in der Verantwortung von denjenigen, die Entscheidungen treffen, Emotionen von Fakten zu unterscheiden, aber auch die Konsequenzen der Irrationalität in Betracht zu ziehen. Man sollte abwägen, wie fundiert gewisse Gefühle sind. Und dies natürlich auf eine ganz rationale Weise.

Tage der Naturwissenschaften

Heute und morgen in der ­Kantonsschule Schaffhausen.

Prof. Dr. Thierry Courvoisier hält die Festansprache und nimmt heute um 18.15 Uhr an der Podiumsdiskussion teil.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren