Kammgarn West: Viel Platz für Kreativität

Isabel Heusser | 
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Jahrelang stand die erste Etage des Kammgarn-Westflügels in Schaffhausen leer. Nun wird die Halle drei Jahre lang von Künstlern, ­Unternehmern und Start-ups genutzt.

Allein der Eingang zum Sitzungszimmer ist ein Kunstwerk: unterschiedlich grosse Fensterrahmen mitsamt Glas, zusammengesetzt zu einer Wand. Im Innern hängt eine wolkenähnliche Installation des Schaffhauser Künstlers Frank Lüling von der Decke. Von ihm stammt auch die Idee zur speziellen Trennwand – sie sollte möglichst viel Tageslicht durchlassen. Viel Privatsphäre hat man im Raum dahinter nicht. Macht nichts, denn im verborgenen Kämmerlein zu sitzen, ist nicht der Sinn im ersten Stock der Kammgarn West: «Hier sollen sich die Leute begegnen wie in einer grossen WG», sagt Beat Junker, Präsident des Vereins für sinnvolle Raumnutzung (VSR).

Der ehemalige Wirt der Kammgarn-Beiz hat das Projekt in der Kammgarn initiiert: Drei Jahre lang mieten sich hier Künstler, Unternehmer und Start-ups ein, bis der Westflügel definitiv umgebaut werden soll. Gestern Abend fand die Eröffnungsfeier zur Zwischennutzung statt.

«Es ist der Initiative einiger sehr engagierter Personen zu verdanken, dass diese Hallen wieder mit Leben gefüllt werden», sagte Stadtpräsident Peter Neukomm in seiner Ansprache vor zahlreichen Besuchern. «Ich bin überwältigt und überrascht, was der Verein in so kurzer Zeit geschafft hat.» Das Projekt des VSR sei eine Win-win-Situation für die Nutzer und die Eigentümer, also die Stadt. Neukomm ist überzeugt: «Die Halle wird zu einem Hot­spot für Kultur und Innovation.» Das Projekt helfe, die Zeit bis zur dringend notwendigen Sanierung zu überbrücken und den Weg für den Rahmenkredit zum Umbau des Westflügels zu ebnen. Über welchen Betrag die Stimmbürger nächstes Jahr befinden werden, ist noch nicht genau definiert: «Es werden ungefähr 20 Millionen Franken sein», so der Stadtpräsident.

Warteliste für Interessenten

Nach dem Ende der Hallen für Neue Kunst im Jahr 2014 lag die 1600 Quadratmeter grosse Fläche brach. «So etwas darf eigentlich nicht sein», findet VSR-Präsident Junker. Er freut sich, dass die Zwischennutzung zustande gekommen ist. In den letzten Monaten waren er und sein Team im Dauereinsatz. «Eine Zeit lang haben wir uns gefragt, ob wir zu weit gehen.» Da war die Unsicherheit: Werden sich genug Mieter finden? Gelingt die angestrebte Durchmischung? «Sie ist gelungen», sagt Junker heute. Viel Fronarbeit liegen hinter ihm und den anderen Vereinsmitgliedern. «Ohne eine grosse Portion Idealismus wäre das alles gar nicht möglich gewesen.»

Schnell musste es gehen: Im August des letzten Jahres wurde der Mietvertrag unterzeichnet, Mitte Dezember begannen die Umbauarbeiten, Ende März zogen die Mieter ein. 100 000 Franken stellt die Stadt dem Verein zur Verfügung; das Geld muss er zurückzahlen. Ursprünglich waren 40 000 Franken Umbaukosten veranschlagt, nun sind es 65 000 Franken geworden.

Cafébar als Treffpunkt

Mittlerweile sind alle verschliessbaren Räume vermietet, und Junker führt eine Warteliste mit weiteren möglichen Mietern. 39 Nutzer werden in der Halle aktiv sein, verteilt auf 18 Projekte. Einer der Mieter ist Cartoonist und Illustrator Pascal Coffez, der auch für die SN zeichnet. Er ist begeistert von den Räumlichkeiten: «Ich spüre den kreativen Geist der ehemaligen Hallen für Neue Kunst. Dieser Ort inspiriert mich.»

Insgesamt 16 separate Räume sind nun vorhanden, zwei Drittel der Hallenfläche können vermietet werden. Im hinteren Teil der Halle befindet sich der «Open Space», eine 200 Quadratmeter grosse Fläche für Ateliers und Büros und ein Ort, wo die Mieter zusammenkommen sollen. Dieser Bereich liegt Junker besonders am Herzen. «Mir wäre es lieber, wenn wir ein paar verschlossene Türen weniger hätten», sagt Junker. «Aber ich verstehe, dass vor allem die Unternehmen zwischendurch etwas Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten brauchen.» Als Treffpunkt ist beim Halleneingang eine Cafébar aufgebaut. Allzu sehr sollen sich die Mieter nicht in ihrer Abgeschiedenheit einrichten. «Ich habe allen die Zusage abgerungen, dass sie einmal pro Jahr ein Projekt mit jemandem lancieren, den sie noch nicht kennen.» Ausserdem sind sie als Mieter automatisch Mitglied des VSR und haben so ein Mitspracherecht beim Gesamtprojekt.

Auch die Schaffhauser Bevölkerung soll etwas von der Zwischennutzung haben: Mindestens viermal pro Jahr sind öffent­liche Anlässe geplant. Aktuell stellen zwölf eingemietete Künstler ihre Werke unter dem Titel «Interna» in der Halle aus.

Obere Stockwerke stehen noch leer

Nicht nur der erste Stock in der Kammgarn West wurde wiederbelebt: Diese Woche wurde bekannt, dass Cuba-Club-Betreiber Luciano Di Fabrizio einen Teil des Erdgeschosses gemietet hat und darin ab Spätsommer verschiedene Veranstaltungen plant (SN von gestern). Das zweite, dritte und vierte Stockwerk wird momentan nur punktuell genutzt – von der Stadt selbst oder von Künstlern, wie Finanzreferent Daniel Preisig sagt, und ohne bau­liche Massnahmen. Eine Zwischennutzung wie im ersten Stock ist aktuell nicht vorgesehen. Das könnte sich aber ändern, wenn die Nachfrage das Angebot im ersten Stock deutlich übersteigt, so Preisig. Grosse Investitionen seien aber auch dann nicht vorgesehen.

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