«Im Mittelalter hätten sie mich als Hexe verbrannt»: Käthi Stoll aus Osterfingen kennt sich mit Kräutern aus

Jeannette Vogel | 
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Käthi Stoll hatte ihr Räucherdebut 2012. Bilder: Jeannette Vogel

Käthi Stoll ist Kräuterexpertin aus Osterfingen. Ihr Räucherdebüt hatte sie vor zwölf Jahren. Sie weiss von manchem Kraut, dass Kühen und Menschen durch den Alltag hilft.

Käthi Stoll trägt Regenbogensocken und verräuchert Kräuter und Harze. Ein wichtiges Räucherutensil ist ihr altes Kesseli. «Alles, was ich sonst zum Räuchern brauche, finde ich direkt vor unserer Haustür.» Auf den nicht gedüngten Wiesen rund um Osterfingen gedeihen vielerlei Kräuter. Aktuell Löwenzahn, Gundermann, Schafgarbe, Taubnessel, Spitzwegerich und Veilchen.

In ihrem Garten wachsen Heilpflanzen, und beim Kuhstall hat Stoll Tannenbäume angepflanzt, inzwischen sind die Bäume fünf Meter hoch. Früher waren Räucherungen gang und gäbe: «Dabei werden Kräuter oder Harze auf glimmender Kohle zum Rauchen gebracht», erklärt Stoll. Mit der rauchenden Schale «reinige» sie das Haus, den Stall oder sich selbst.

Altes verabschieden

Ihr Räucherdebüt hatte Käthi Stoll 2012. «Wir hatten von Milch- auf Mutterkuhhaltung umgestellt», sagt sie, «ich nahm den Pfadikessel und fing an zu räuchern mit dem Ziel, Altes zu verabschieden und neue Energien in den Stall reinzubringen.» Mit dem Gefühl, dies sei ihr gelungen, nahm sie sich später einer zugekauften Kuh an. «Sie war etwas ängstlich und nervös, vielleicht war der Vorbesitzer nicht gut zu ihr», so Stoll.

Sie verwendete sieben verschiedene Kräuter, um «die Vorgeschichte aufzulösen». Das Tier liess die rauchige Prozedur über sich ergehen, sein Verhalten änderte sich jedoch wenig. Stoll wiederholte das Ritual und siehe da, «immer wenn ich Beifuss verwendete, sah die Kuh mich mit klarem Blick an und wurde ruhig». Zwei Wochen und einige Räucherungen später hatte das Tier seine Angst verloren, und auch die Nervosität kam nicht zurück.

Die Kühe sind neugierig auf den rauchenden Kessel.

Auch einer anderen Mutterkuh konnte Stoll kurz darauf helfen. Das Tier hatte zwei schwere Geburten hinter sich und Angst vor der dritten, «das merkte man ihr an», sagt die Expertin. «Beim Räuchern spürte ich, ich habe etwas ausgelöst: Die Kuh machte einen heftigen Satz und wollte mir einen Tritt versetzen. Doch plötzlich atmete sie tief und wurde ruhig. Sie hatte losgelassen.» Solche Erlebnisse fahren ein, sagt die Kräuterexpertin.

Ausgebüxte Kühe

Beim Räuchern gebe es Erfolge, sagt Stoll. «Immer im September führen wir unsere Kühe für rund eine Woche ins ‹Himmelreich›. Sie verbringen Tag und Nacht dort.» Aus Respekt vor der Natur macht Käthi Stoll jeweils eine Schutzräucherung rund um die Weide. «Ich fange bei der Grillstelle an. Manchmal verteilt sich der Rauch über die ganze Herde, das ist ein eindrückliches Bild.»

Käthi Stoll

Käthi Stoll-Sulzberger lebt mit ihrem Mann in Osterfingen. Gemeinsam halten sie Mutterkühe, betreiben Acker- und Rebbau. Direkt vermarkten sie Wein, Fleisch, Sirup, Konfi sowie Stolls Spezialität Rieslingsuppe. Zudem arbeitet sie Teilzeit in der Pflege. 2021 hat Stoll eine Weiterbildung zur Räucherfachfrau abgeschlossen. Danach hat sie sich zur Heilpflanzenfachfrau weitergebildet.

Im vergangenen Jahr ist die Räucherung nicht ganz geglückt: «Uns ist die ganze Herde ausgebüxt. Kühe im Wald sind mein Alptraum.» Dieser währte aber bloss kurz: «Wir haben sie gerufen. Alle kamen zurück.»

Delikatesse mit Nebeneffekt

Wenn Stoll durch den Wald geht, hat sie immer einen Rucksack dabei und Stoffsäckli – mit leeren Händen kommt sie nie nach Hause. «Meistens finde ich Baumharz, manchmal bloss ein Schneckenhäuschen.» Nur wenn sich das Harz gut lösen lässt, klaubt sie es weg. Sie benutzt es im Stall, etwa wenn die Tiere erkältet sind.

Vorbeugen ist besser als heilen: Im Herbst bekommen ihre Kühe Tannenäste serviert, für die Tiere ist es eine Delikatesse mit Nebeneffekt: «Die ätherischen Öle des Nadelbaums stärken die Abwehrkräfte.» Bei Menschen funktioniere es ebenfalls: «Wir träufeln die Öle allerdings eher in ein Duftlämpli.»

Getrocknete Kräutervielfalt aus der Region.

Früher ging Käthi Stoll erst beim Eindunkeln in den Stall, «damit ich möglichst von niemand beim Räuchern ‹erwischt› wurde», mit dem Wissen, dass Räuchern auch negativ behaftet sein kann: «Wie schlechter Weihrauch in der Kirche.» Zu ihrer Überraschung sei eine Nachbarin auf sie zugekommen und sagte: «Räucherst du auch?» Das «auch» sei befreiend gewesen, sagt Stoll, «heute sage ich selbst: Im Mittelalter hätten sie mich als Hexe verbrannt.»

Frühlingskräuter in Honig

Käthi Stoll ist auch ausgebildete Heilpflanzenfachfrau. Bereits als Kind hat sie angefangen, sich Kräuterwissen anzueignen. Sie hat sich Lehrbücher zum Geburtstag gewünscht und ging mit ihnen in die Natur. Dort sammelte sie Kräuter, stellte daraus Teemischungen zusammen und verschenkte sie.

Ihr Hausmittel gegen Erkältungsbeschwerden stammt aus dieser Zeit: «Ich schichte die ersten Frühlingskräuter in Honig ein. Den Honig gebe ich dann bei Bedarf in den Tee.» Vor Kurzem hat Käthi Stoll ein Kräuterzimmer eingerichtet. Sie bewahrt dort ihren Räucherkoffer auf und Naturschätze wie Schneckenhäuser und Federn.

In der Schale räuchert Käthi Stoll verschiedenste Kräuter, häufig ihre Lieblingspflanze Beifuss. Immer dabei: ein Schneckenhaus.

Auf dem Fensterbrett trocknet sie gerade Gänseblümchen. Unzählige Gläser mit selbstgesuchten, getrockneten Pflanzen lagern im grossen Holzschrank. Gern probiert die Räucherfachfrau Kräuter und Harze in ihrer Kammer aus – da kann es schon mal passieren, dass im Gang der Feuermelder losgeht.

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