Diessenhofer erforscht die Geschichte des Geisslibach – und stösst auf alte Dokumente

Geisslibachkorrektion von 1922: Was hat die damalige Generation bewogen, ein Wehr zu bauen? Max Bachmann, einstiger Seniorchef der Mühle Bachmann in Willisdorf, durchstöbert alte Dokumente und stösst dabei auf Urkunden.
Müller Max Bachmann sitzt in seinem Büro in der Mühle Bachmann in Willisdorf. Seine Neffen Reto und Beat Bachmann führen die Mühle und so hat der ehemalige Seniorchef Zeit, in alten Dokumenten zu stöbern. Dabei stösst er immer wieder auf interessante Dokumente, wie zum Beispiel den Projektbericht zur Geisslibachkorrektion von 1922. Gerade wurde der Abbruch des gut hundertjährigen Wehrs bei der Mühle als entscheidender Schritt zur Revitalisierung gefeiert. Was hatte die damalige Generation bewogen, ein solches Wehr zu errichten und ein kleines Kraftwerk für die Mühle zu bauen?
Das Wasser des Geisslibachs wurde früher von zehn Mühlen genutzt. Die Mühle Bachmann ist als einzige übrig geblieben. Aus alten Bauernchroniken wissen wir, dass Missernten wegen Überschwemmungen und Trockenheit früher keine Seltenheit waren. 1669 war ein besonders trockener Sommer. Weil der Geisslibach austrocknete, musste das Getreide mühsam nach Schaffhausen transportiert und dort gemahlen werden. Klimaschwankungen führten zu Dürren und Überschwemmungen und damit oft zu Hungersnöten.
Mut in krisenhaften Zeiten
Vor hundert Jahren freilich stellte sich laut dem Projektbericht folgendes Problem: «Der Geisslibach, der das Stammertal entwässert, tritt nördlich des Dorfes Basadingen in ein ganz flaches Wiesental hinaus und windet sich durch dieses hinab zur Mühle Willisdorf. Das geringe Gefälle und der Stau bei der Mühle haben bewirkt, dass der Bach im Laufe der Zeit seine Sohle erhöhte.» Die Gebiete beiderseits des Baches, das «Chugelisried» und das «Wiesental», waren wohl zu allen Zeiten durch eine starke Vernässung gekennzeichnet. Die sich ständig verschlechternde Wasserführung des Baches hat die Lebensbedingungen für die Kulturpflanzen zunehmend erschwert. Heute ist die Situation so, dass weite Flächen zwar als Ackerland genutzt werden, aber erheblich unter der Vernässung leiden.
Das Jahr 1922, in dem dieser Projektbericht entstand und in dem die Ursache für die Ernteausfälle in der zu grossen Nässe gesehen wurde, war eine turbulente Zeit. Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen, die Spanische Grippe hatte gewütet. Der Generalstreik erschütterte die Schweiz und eine massive Teuerung machte der Bevölkerung zu schaffen. So stieg der Brotpreis (in den vier Jahren des Ersten Weltkriegs 1914–1918) von 32 auf 74 Rappen, der Milchpreis verdoppelte sich von 20 auf 40 Rappen, und der Liter Öl kostete 1914 2.50 Franken, 1918 7 Franken.
Vor diesem Hintergrund schlossen sich 1919 die Grundeigentümer im Bereich dieses Bachabschnittes zusammen, um die Entwässerung der Felder und die Kanalisierung des Geisslibaches, voranzutreiben. Gleichzeitig sollte bei der Mühle ein Kleinkraftwerk gebaut werden, das rund 60'000 Kilowattstunden produzieren könnte. Die Kosten allerdings waren enorm. Immerhin beteiligte sich der Bund zu einem Drittel, der Kanton zu einem weiteren Drittel, und die Bürgergemeinde steuerte weitere 15 Prozent bei.
Die restlichen Pflichtanteile teilten sich die Gemeinde und die Privatanstösser. Für den Gemeindebann Basadingen betrug der Kostenanteil 73'442 Franken, für den Gemeindebann Diessenhofen 12'728 Franken und für den Gemeindebann Willisdorf 23'830 Franken «Für den Bau und den späteren Unterhalt der Korrektion empfehlen wir die Bildung einer Kooperation der sämtlichen Interessenten, aus deren Mitte eine Baukommission zu bestellen ist», hält der Bericht lapidar fest.
Die Bedürfnisse ändern sich
Die alten Römer pflegten zu sagen.: «Tempora mutantur, nos et mutamur in illis – die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen». Stand vor hundert Jahren der Kampf um jeden Quadratmeter fruchtbaren Ackerlands im Vordergrund, so ist es heute die Biodiversität in der Natur. Mit der Revitalisierung des Geisslibachs sollen Flora und Fauna in diesem Gebiet wieder aufleben.