Das Geschäft mit Sex fand auch in Schaffhausen immer seinen Weg

Sex verkauft sich immer - das war bereits in der Antike so. Schaffhausen bot keine Ausnahme da. An dem «horizontalen Gewerbe» verdienten alle gut. Ein Rückblick.
Im Jahr 2006 ging ein Aufschrei durch die Gemeinde Thayngen. In der Nähe des Zolls sollte in Haus, welches zuvor als Asylunterkunft genutzt wurde, einem neuen Zweck zugeführt werden. Dort wollten zwei Betreiber ein Bordell entstehen lassen. Die Gemeinde war empört, 56 Einsprachen gingen ein, aber der Kanton und die Gewerbepolizei winkten das Anliegen am Ende doch durch. Bis heute fahren tausende Fahrzeuge an dem «Club» vorbei.
Das ist nur ein Beispiel für die Prostitution, die in Schaffhausen fast so alt ist wie der Kanton selbst. Bereits die Römer feierten wilde Orgien und frönten der käuflichen Liebe. Ob das auch in der römischen Stadt «Juliomagus» ist derweil historisch nicht belegbar, aber durchaus möglich, diente sie doch in der Anfangszeit als Truppenstützpunkt für die Soldaten – und nichts hält diese mehr bei Laune als fleischliche Gelüste. Vor allem aber war auch die römische Gesellschaft eine sehr sexualisierte: Sex in jeglicher Form war ein fester Bestandteil der Lebenswirklichkeit.

«Die Prostitution bedeutet für die Gesellschaft das, [...] was die Kloake für den Palast ist. Entferne die Kloake, und der gesamte Palast wird von Krankheit befallen», sagte einst der Dominikanermönch Ptolemäus von Lucca. Und auch in Schaffhausen florierte das Geschäft mit dem Sex über die Jahrhunderte blühend. Wir blicken darauf zurück.
Doppelmoral im Mittelalter
Unsere Reise beginnt im Mittelalter, wo die Quellenlage zulässt, dass man die käufliche Liebe genauer untersuchen kann.
Sexualität war damals etwas Unreines. Es diente der Fortpflanzung und nicht mehr. Geschlechtsverkehr, wohlgemerkt zwischen Ehepaaren, war nur zwischen ungefähr zwei und fünf Tagen im Monat erlaubt. Die anderen Tage waren aufgrund der kirchlichen Liturgie oder der Menstruation der Frau tabu. Wenn es dann zum Akt kam, war die einzige legitime Art des Beischlafs die Missionarsstellung.
Seitensprünge, Affären oder Ähnliches waren verboten und wurden teils strengstens bestraft. Auch sexuelle Vorlieben, die nicht der mittelalterlichen Norm entsprachen, konnten zu drakonischen Strafen führen. In den alten Ratsprotokollen findet man Beispiele dafür, dass Homosexuelle etwa durch den Scheiterhaufen hingerichtet wurden. Ähnlich erging es Menschen, die Sex mit Tieren oder Kindern hatten.
Ironischerweise galt diese strenge Moralvorstellung aber nicht für Bordelle, auf welche bereits im 14. Jahrhundert immer wieder Hinweise zu finden sind. Das damals ungeordnete Gewerbe wurde im Laufe der Jahrhunderte von der Stadt Schaffhausen und dem Kloster Allerheiligen immer strenger reglementiert – auch, weil man merkte, dass dort viel Geld zu machen war. Das führte zu, für unsere Verhältnisse, recht moderner Umgang mit den Prostituierten. So mussten die Pächter des ersten «offiziellen» Bordells in Schaffhausen ihren «Angestellten» Essen, bestehend aus Suppe, Fleisch und Gemüse um sechs Pfennige geben, wenn diese ihren Dienst antraten. Gleichzeitig mussten die Damen auch gut behandelt werden und konnten, wenn sie das wollten, jederzeit ihre Dienste einstellen. Laut dem Historiker Oliver Landolt findet man im «Frevelbuch» der Stadt Schaffhausen mehrere Einträge, in denen es zu Strafen kam, wenn man sich an diesen Frauen verging. Die Stadt verdiente derweil recht ansehnlich an der käuflichen Liebe: Laut Stadtrechnung nahm sie etwa im Jahr 1444 vier Pfund, 15 Schilling von der Pächterin des «Frauenhauses».
«Sex sells»
Man darf dabei nicht vergessen: Das Geld wurde durch Sex, oft genug Ehebruch der Besucher und andere Dinge, die in der mittelalterlichen Weltansicht, vor allem durch die Kirche, verteufelt war, verdient. Mehr noch: Der Schaffhauser Historiker Kurt Bächtold, schrieb in einem Artikel für die SN, dass gegen Ende des 15. Jahrhunderts das städtische Bordell vorübergehend von der Stadt um 55 Gulden an einen Privaten veräussert wurde. Mit inbegriffen waren für das Bordell ein jährlicher Zins von einem Gulden, zahlbar an den Abt von Allerheiligen, und von einem halben Gulden für die Chorherren von St. Johann. «Geld stinkt ist», so das trockene Fazit von Bächtold.

Schon damals war es allerdings ein offenes Geheimnis, dass auch die Mönche des Allerheiligen sich gerne nachts aus dem Dormitorium schlichen und in die Frauengasse kamen, um dort das Freudenhaus zu besuchen. Das ging hingegen den Stadtoberen zu weit, die daraufhin eine äusserst demütigende Strafe aussprachen: So wurde laut Bächtold den Stadtknechten befohlen, ein scharfes Auge auf die Mönche und andere geistliche Personen zu halten und ihnen, wenn sie bei den «liederlichen Frauen» gefunden werden, mit Gewalt die Kleider wegzunehmen und nur gegen eine Kaution zurückzugeben. Geld stinkt eben nicht – und das Kloster hatte genug davon.
Das Ende des Schaffhauser «Frauenhauses»
Im 16. Jahrhundert dann kam die Reformation über die Region – und damit das Ende der «geordneten» Prostitution in Schaffhausen. Der Stadtrat verschärfte mehrmals das Regime, unter welchem die Frauen anschaffen durften, aber 1538 wurde das Frauenhaus geschlossen. Damit war die «offizielle» Prostitution in der Stadt Geschichte.
Die Frauen aber, die meisten kamen von Ausserhalb, gingen ihrem Gewerbe nun einfach auf der Strasse nach – beziehungsweise in kirchlichen Gebäuden. Der Schaffhauser Historiker Oliver Landolt schrieb, dass es in mehreren Quellen Hinweise darauf gab, dass Frauen im Kreuzgang des Allerheiligen und in den Räumen des St. Johann nach potenziellen Freiern Ausschau hielten. Ob das im Sinne der Ratsherren war, darf bezweifelt werden, aber es fehlte ihnen die Handhabe. Laut Landolt wurden zwar die Stadtknechte angewiesen, anschaffende Frauen zu verhaften und büssen, aber die Stadtangestellten wurden dabei mehr als einmal selbst später «Kunden» besagter Damen.

Vor allem als die Pest im 16. Jahrhundert erneut in der Region wütete, fanden sich zwei extreme Verhaltensweisen in der Bevölkerung: Die einen überhöhten ihre Frömmigkeit, die anderen gaben sich der Fleischeslust hin. So gibt es Berichte, dass die Totengräber einst ins Rathaus zitiert worden, da sie auf dem Friedhof «Orgien» gefeiert hätten. Ein Nachtwächter wurde bestraft, da er sich während seiner Wache mit einer Prostituierten vergnügte.
Viele der Frauen, die damals in Schaffhausen ihren Lebensunterhalt durch Anschaffen verdienten, verliessen nach dem Verbot die Stadt und zogen als «Wanderhuren» durch die Gegend.
Prostitution ist geächtet - existiert aber weiter
In den kommenden Jahren wurde die Prostitution aber nicht geringer, aber sie verlagerte sich immer mehr ins Private. Der Schweizer Staat wachte sehr genau über die Sittsamkeit seiner Bewohner. Dies zog sich bis in 19. Jahrhundert, als die industrielle Revolution ihren Einzug hielt. Auch in Schaffhausen wurde das Thema wieder präsenter. So wurden im Jahr 1886 die «Interkantonale Massnahmen gegen die Prostitution» vom damaligen Regierungsrat gutgeheissen. Wie stark das käufliche Gewerbe damals in Schaffhausen vertreten war, ist hingegen schwer nachzuvollziehen. Das historische Lexikon hält jedoch fest: «Während die zugewanderten bzw. wandernden jungen Arbeiter und Handlungsgehilfen zusammen mit ihren bürgerlichen Geschlechtsgenossen, und den Soldaten und Offizieren in den Kasernen, eine steigende städtische Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen bildeten, sahen sich umgekehrt die jungen Arbeitsmigrantinnen als Dienstmädchen, Kellnerinnen, Verkäuferinnen oder Fabrikarbeiterinnen sehr häufig mit prekären Arbeits- und Lohnverhältnissen konfrontiert.» Das begünstigte eine Lage, in der sich immer mehr junge Frauen prostituierten.

Über die Jahre wurde die «tolerierte» Prostitution in Bordellen allerdings immer weiter verdrängt, bis diese um die Wende des 20. Jahrhunderts ganz schlossen. Fortan fand diese eher im abgeschiedenen statt, etwa in Cabarets, oder auf Strassenstrichen.
Orgien beim «Domino»
Einigen älteren Schaffhausern wird wohl noch der Skandal im Kopf sein, der sich etwa im damaligen «Domino» abspielte: Regelrechte Orgien wurden dort in einem angeschlossenen Hotel laut einem Bericht der SN aus dem Jahr 1963 veranstaltet: «Ein etwa dreissigjähriger Mieter stellte […] sein Doppelzimmer in immer verheerenderem Ausmass einem weitgespannten Kreis von jungen Mädchen und Burschen für Alkohol- und Sexualfeste zur Verfügung, wobei die Besucher rudelweise aus- und eingingen und ihre intimen «Übungen», wie sie das nannten, völlig hemmungslos und kollektiv bei Tag und Nacht veranstalteten. Die Polizei stellte fest, dass bei diesen unappetitlichen Orgien, bei denen die Partnerinnen beliebig ausgetauscht wurden, sogar ein Gemisch von Wein, Schnaps und Rasierwasser getrunken wurde», heisst es darin. Die Frauen waren demnach zwischen 15 und 24 Jahren alt, allesamt kamen aus Schaffhausen. Der Mieter des Zimmers wurde verhaftet und musste sich wegen «Unzucht mit Minderjährigen» verantworten.

1992 wurde dann das Sexualstrafrecht entkriminalisiert, was bedeutete, dass die «Kuppelei», also Bordelle, nicht mehr illegal waren. In der Folge tauchten immer wieder grössere und kleinere Etablissements in der Region auf. So etwa im grenznahen Jestetten, wo es 1996 zu einer Razzia unter Schaffhauser Beteiligung kam. In einem Hotel am Bahnhof hatten Frauen ihre «Dienste» angeboten. Die Schaffhauser Polizei unterstützte damals die deutschen Kollegen tatkräftig.
Das Erotik- und Sexgewerbe blieb aber immer auf die eine oder andere Weise in Schaffhausen erhalten.