Zwischen Klinton, Krieg und Kaffeekultur

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Am Samstag feiert das Kosovo zehn Jahre Unabhängigkeit. Während die junge Republik politisch in aller Munde ist, hält sich der Tourismus noch sehr in Grenzen. Grund genug, sich in der Hauptstadt Prishtina genauer umzuschauen.

Text und Bilder: Matthias Wipf

Eines vorweg: Klassisch schön kann man Prishtina (Prishtinë) ganz sicher nicht nennen. Zu stark dominiert eine sozialistische Ästhetik mit zahlreichen Plattenbauten. Aber die Hauptstadt des Kosovo, die jüngste europäische Kapitale, überzeugt mit vielen tollen Restaurants und heimeligen Cafés, mit regem ­Leben auf dem Hauptboulevard Nënë ­Tereza (Mutter Teresa) – und vor allem mit äus­serst freundlichen, interessierten und ­zuvorkommenden Menschen. Gute, beglückende Erfahrungen, wo immer wir auch hinkommen.

Tourismus in den Kinderschuhen

«Ah, Shaqiri, Xhaka und Behrami», werden wir schon am Flughafen – der nach Adem Jashari, einem ehemaligen Kommandanten der Befreiungsarmee UÇK, benannt ist – freudig begrüsst. Die meisten Kosovaren haben zudem einen Onkel, Bruder oder Sohn in Luzern, Basel oder Zürich. «What are you working here?», werden wir auch gefragt – denn dass jemand aus purem Interesse einen Ferienausflug nach Prishtina unternehmen könnte, scheint undenkbar. «Really? Why?»

Die Öffnungs­zeiten von Museen und Restaurants sind oftmals eher Glückssache. Umso mehr wird das Entdecker-Gen der Besucher geweckt.

Ja, die touristische Infrastruktur in der rund 200'000 Einwohner zählenden Stadt steckt noch absolut in den Kinderschuhen: ein Auskunftsbüro gibt es nicht, der Stadtplan ist sehr lückenhaft, und für weiterführende Homepages fehlt dem Kosovo bisher ein nationaler Domainname, sodass man höchstens auf Facebook Präsenz markieren kann. Die Öffnungszeiten von Museen und Restaurants sind, obwohl gross angeschrieben, zudem oftmals eher Glückssache. Umso mehr wird aber das Entdecker-Gen der Besucher geweckt.

Auf dem Boulevard «Xhorxh Bush»

Einen guten Überblick gibt’s vom rund 70 Meter hohen Glockenturm der unlängst fertiggestellten Mutter-Teresa-Kathedrale. Von dort sieht man das futuristische, durchaus auch umstrittene Gebäude der Nationalbibliothek mit seinen 99 Kuppeln, die benachbarte, halb fertige Christi-Erlöser-Kathedrale sowie die nach den US-Präsidenten benannten Boulevards «Xhorxh Bush» und «Bill Klinton», wobei Letzterem zusätzlich ein Denkmal gewidmet ist. Dies in Anerkennung für die Unterstützung der USA im Freiheitskampf gegen Serbien – ein Konflikt, dessen völkerrechtliche Legitimation stark umstritten war und der in anderer Form bis heute andauert. Die grundsätzlich divergierenden Gebietsansprüche und Geschichtsbilder von Serben und ­Albanern verhindern (bisher) den Aufbau eines multiethnischen Staates. Und nach wie vor ist das Kosovo auch längst nicht von allen Ländern als eigenständige Nation anerkannt – insbesondere von solchen nicht, die selbst Abspaltungen von Teilen ihres Staatsgebietes fürchten wie etwa Spanien oder Russland und China.

Als wichtigstes Sightseeing-Objekt gilt in Prishtina das sogenannte «Newborn»-Denkmal, das im Februar 2008, bei der Ausrufung der Unabhängigkeit Kosovos, errichtet worden ist und dessen Buchstaben regelmässig neu bemalt und verziert werden. Im Moment bilden zwei umgestürzte Lettern gemeinsam mit einer Inschrift am Boden zusätzlich die symbolischen Worte «No walls». Auch der Gërmia-Park, die grosse «grüne Lunge» der Stadt, ist einen Besuch absolut wert – und ist an Wochenenden ein Hauptausflugsziel. Hingegen sind das Kosovo-Museum, das Ethnographische und das Unabhängigkeitsmuseum momentan allesamt geschlossen oder werden sogar längere Zeit renoviert.

Tolle Cafés und Restaurants

Das Leben so richtig spürt man aber in der Fussgängerzone, die wie erwähnt nach Mutter Teresa, der albanischen «Mutter der Armen», benannt ist, und auf der rechtwinklig davon abgehenden Fehmi-Agani-­Strasse. Mit hervorragenden, für uns Be­sucher günstigen Kaffeevarianten und Drinks gibt es da die Cafés «Half & Half» mit seinem rührigen Geschäftsführer ­Goran, der ursprünglich Kriminologie studiert hat, sowie «Dit’ e Nat’», das auch Sonntagsbrunchs anbietet. Dazu das Hipster-Lokal «Soma» mit gemütlicher Sofa­ecke, in der man sich aus einem Bücherregal ­bedienen und so stundenlang verweilen kann. Zum Nachtessen begeben wir uns – auch das ein Tipp eines Einheimischen – schliesslich ins von aussen eher unscheinbare «Liburnia», das aber – als Alternative zu den omnipräsenten Döner-Buden – mit bester Küche zu sehr vernünftigen Prei­- sen überrascht. En bref: ein kulinarischer Hochgenuss.

Unterstützung aus der Diaspora

Noch immer sind Prishtina und Kosovo insgesamt geprägt durch die Schäden des Krieges, durch die weiter andauernde ­politische Unsicherheit, durch Kriminalität und Klientelwirtschaft sowie eine rekordhohe Arbeitslosigkeit. Ohne Unterstützung aus der Diaspora würde der junge Staat wohl relativ schnell kollabieren.

Der flüchtige Besucher aus der Schweiz allerdings spürt davon natürlich kaum ­etwas, sondern konstatiert derweil eher die klischeehaften, omnipräsenten Trainer­anzüge, die viele Kosovaren auch abends beim Flanieren tragen, die Tatsache, dass noch überall ungeniert geraucht werden darf, und zugleich auch die klapprigen, verrosteten Mercedes-Taxis und die längst verblichenen Leuchtreklamen.

Ein Viertel so gross wie die Schweiz ist das Kosovo, die Bevölkerung ist durchschnittlich sehr jung und praktiziert einen modernen Islam, sodass kaum verschleierte Frauen auf den Strassen zu sehen sind. ­Dieser Tage feiert der Balkanstaat, der zwischen Albanien, Montenegro, Mazedonien und Intimfeind Serbien liegt, nun also zehn Jahre seiner selbst ernannten Un­abhängigkeit. Auch dies könnte doch ein Grund sein für einen Besuch an einem noch unbekannten Ort. «Shine Ya light», sang die gebürtige Kosovarin Rita Ora treffend vor dem «Newborn»-Denkmal.

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