Das Spiel, das die Zeit der Jugend verschlingt

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In Fortnite kann man viel Geld für das Aussehen der Spielfigur ausgeben. So viel, dass das Spiel seinen Erfinder zum Multimilliardär gemacht hat. Bild: Fortnite

Das Online-Spiel Fortnite dominiert die Freizeit vieler 10- bis 18-Jähriger. Es ist gratis, zieht den Teenagern aber trotzdem das Geld aus der Tasche.

Firmen, die niemand kennt, machen Menschen, über die niemand spricht, auf Wegen, die niemand versteht, unermesslich reich. So könnte man die globale Game-Industrie umschreiben, wenn man es einfach halten wollte.

13 Millionen Franken Umsatz im ersten Monat, 100 Millionen im vierten, die erste Milliarde nach zehn Monaten, zweieinhalb Milliarden Franken Umsatz im Jahr 2018: Aus dem Nichts eroberte das Gratis-Online-Spiel Fortnite in den letzten zwei Jahren die Welt. Es begann, den Tagesablauf der Jugend zu bestimmen, die Freizeit vollständig einzunehmen. Das Spiel ist simpel: 100 Gamer werden über einem Schlachtfeld abgeworfen, segeln per Fallschirm auf eine Insel. Mit den dort gefundenen Waffen schiessen sie aufeinander, bis nur noch einer übrig ist. Das Spiel wirkt aber nicht brutal, weil es in einer Comic-Grafik aufgebaut ist. Blut spritzt keines.

«Fortnite lädt seine ­ Objekte sehr ­geschickt mit ­Bedeutung auf.»

Matthias Fuchs, Doktorand am Institut für Customer Insight der Universität St. Gallen

Das Spielen des Games ist gratis, und auch Spielvorteile kann man keine kaufen. Für was geben die Spieler also mehrere Milliarden Franken aus? Für coole Kostüme und Tanz-Moves. Diese kann man mit «V-Bucks» kaufen, der internen Währung des Spiels. Einen V-Buck gibt es etwa für einen Rappen. Ein Kostüm kostet zwischen zwei und 20 Franken.

Fortnite nutzt Trick wie Casinos

Ein Aargauer Vater brachte im Juni an einem Infoabend für Eltern auf den Punkt, wie sinnfrei das Konzept wirkt: «Es scheint mir absurd, dass mein Sohn Geld dafür ausgibt, als bewaffnete Banane durch eine Fantasiewelt zu tanzen.» Doch das Geschäftsmodell funktioniert extrem gut. Matthias Fuchs, Doktorand am Institut für Customer Insight der Uni St. Gallen, weiss warum. «Die Wissenschaft geht davon aus, dass man mit dem Kauf von Objekten seine Identität ausdrücken möchte», sagt Fuchs. «Jemand, der zeigen will, dass er das Snowboarden ernst nimmt, fährt auch lieber mit einem Burton-Snowboard als mit einer unbekannten Marke.»

Das gelte besonders für eine junge Zielgruppe. Fuchs: «Fortnite lädt seine Objekte zudem sehr geschickt mit Bedeutung auf.» Wer mit dem Standard-Aussehen Fortnite spielt, werde dafür schnell fertiggemacht, ausgelacht und als Anfänger («Noob») angepöbelt.

Der zweite Trick ist die spieleigene Währung. «Indem diese zwischengeschaltet ist, wird der ‹Schmerz des Bezahlens› reduziert. Es ist nicht sofort spürbar, wie viel Geld man ausgibt», so der Forscher. «Das ist der gleiche Kniff wie in Casinos, wo Spielchips verwendet werden anstatt Bargeld», sagt Fuchs.

Fortnite setzt also lange bekannte Marketing-Instrumente ein. «Das Spiel hat die Methoden konsequent umgesetzt und perfektioniert», sagt Fuchs. Höchstwahrscheinlich mit intensiven Tests an genau definierten Zielgruppen. Eine Sammelklage in Kanada wirft dem Entwickler Epic Games vor, die Firma habe Psychologen angestellt und das Spiel absichtlich so programmiert, dass es süchtig mache. Epic Games, eine private, nicht-börsenkotierte Firma, äusserte sich bisher nicht zur Klage.

Wie weit das Unternehmen zu Marketingzwecken geht, zeigte sich am Wochenende: Fortnite-Spieler erlebten einen Schock, weil das Spiel weltweit plötzlich nicht mehr funktionierte. Erst gestern löste Epic Games auf, dass es sich um eine geplante Aktion der Entwickler handelt. Da die Umsätze in den letzten Monaten leicht schwächelten, brachten sie eine aktualisierte Version heraus mit neuer Spielwelt. Und vor allem: Mit neuen Kostümen für die Spielfiguren, die Epic Games wieder Millionen, wenn nicht Milliarden Franken einbringen wird.

Der Erfolg von Fortnite ist beispiellos. Und wird zum Vorbild. Denn dass mit Gratis-Games viel Geld verdient wird, ist der neue Normalzustand. Der «Global Games Market Report» schätzt, dass die Gaming-Industrie dieses Jahr einen Umsatz von 152 Milliarden Franken erzielt. 80 Prozent davon machen «Gratis»-Spiele aus. 54,9 Milliarden des Umsatzes fallen auf Smartphones und Tablets an. Zum Vergleich: Die globale Kinofilm-Industrie machte letztes Jahr einen Umsatz von rund 42 Milliarden Franken.

Das Gaming-Geschäft hat nicht nur hohe Umsätze, sondern ist höchst profitabel. Dank tiefen Entwicklungskosten weisen grosse börsenkotierte Firmen Umsatzrenditen von bis zu 27 Prozent aus.

Chinas Zensur ist global

Die meisten Kunden sitzen in Asien. Und das Geld landet auch wieder dort: Der grösste Gaming-Konzern der Welt heisst Tencent und hat seinen Hauptsitz in Shenzhen, China. Seine Spielsparte machte letztes Jahr 19,7 Milliarden Franken Umsatz. Fast gleich viel wie der Totalumsatz der Credit-Suisse (21 Milliarden). Die chinesische Dominanz ist gefährlich. Denn Video-Spielhersteller tun alles, damit ihnen die Kommunistische Partei nicht den Zugang zu China, dem wichtigsten Markt der Welt, versperrt. Das offenbarte sich vor zwei Wochen: Nachdem ein Profi-Spieler während eines im Internet übertragenen Spiels seine Unterstützung für die Bürgerrechts-Proteste in Hongkong bekundet hatte, sperrte ihn der börsenkotierte US-Konzern Activision Blizzard für ein Jahr. Tencent, dessen Programmierpower China entscheidend dabei hilft, einen umfassenden Überwachungsstaat zu errichten, besitzt fünf Prozent der Activision-Aktien.

Der Effekt der Zensur könnte sehr gross sein, denn Videospiele werden kommende Generationen kulturell prägen, wie es früher Filme und Musik getan haben. Diese Medien hat die Gaming-Branche schon hinter sich gelassen. Die Videospiel-Industrie ist siebenmal so gross wie die Musik- und dreimal so gross wie die Kinofilmindustrie. Die Stars des Gaming-Zeitalters sind aber keine charismatischen «Executives» wie die Filmproduzenten in Hollywood. Sondern Menschen wie Tim Sweeney. Der Amerikaner, 49-jährig mit beginnender Halbglatze, am liebsten im Kapuzenpullover unterwegs, sieht aus wie der langweiligste Mensch der Welt. Was ihn besonders macht: Er ist Gründer und Mehrheitsaktionär von Epic Games, das Fortnite herausgibt. Sweeney besitzt laut Bloomberg 7,2 Milliarden Franken. Damit ist er laut einigen Statistiken reicher als der Investor George Soros.

«Auch Eltern geben sinnfrei Geld aus»

Daniel Süss, Professor an der ­ZHAW

Wie viel Gamen ist für Kinder und Jugendliche zu viel?

Daniel Süss: Laut unseren Studien gamen 10- bis 12-Jährige im Mittel rund 20 Minuten am Tag, 12- bis 19-Jährige unter der Woche eine Stunde, am Wochenende zwei Stunden. Entscheidend ist aber die Balance im Alltag: Trifft ein Kind neben dem Gamen noch Freunde? Treibt es Sport? Macht es seine Hausaufgaben? Erst wenn Videospiele diese Aktivitäten verdrängen, wird der Konsum zum Problem.

Das Onlinespiel Fortnite verdient viel Geld mit dem Verkauf von virtuellen Kostümen und Siegestänzen. Wie sollen Eltern reagieren, wenn ein Kind Geld für etwas will, das auf den ersten Blick sinnfrei erscheint?

Eltern und andere Erwachsene geben auch Geld für sinnfreie Dinge aus. In Fortnite ein neues Aussehen für die Spielfigur zu kaufen, ist das Gleiche, wie wenn sich das Kind neue Marken-Sneaker wünscht. Beide Objekte haben eine symbolische Bedeutung. Die meisten Kinder erhalten Sackgeld. Das sollen sie für virtuelle Objekte einsetzen können, wenn sie möchten. Dann müssen die Kinder sich aber etwa gegen die Marken-Sneaker entscheiden.

Entwickler entwerfen ihre Gratisspiele heute so, dass sie den Spieler möglichst lange fesseln und zum Geldausgeben animieren.

Es ist eine Aufgabe der Medienkompetenzförderung, dass Jugendliche genug Widerstandsfähigkeit entwickeln, damit sie dem nicht einfach nachgeben, sondern selbst abschätzen: Will ich das jetzt überhaupt spielen? Mit dem Lehrplan 21 wird das zum einen in der Schule passieren, doch auch die Familie spielt eine wichtige Rolle. Der Medienkonsum muss zu Hause ausgehandelt werden. Eltern sollten sich von ihren Kindern erklären lassen, was am Spiel so faszinierend ist. Sie müssen aber nicht jedes Game selber durchspielen. Es gibt Empfehlungen, etwa auf «www.bupp.at».

Warum haben Videospiele im ­Vergleich zu Filmen oder Fernsehserien ein derart schlechtes Image?

Wir haben für unsere Studien Eltern gefragt, welche Formen der Mediennutzung von Jugendlichen sie als problematisch empfinden. Games schneiden da ganz klar immer am schlechtesten ab. Das hat viel damit zu tun, dass viele Eltern selbst keinen Bezug zu Games haben. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird sich das aber verändern. Hinzu kommt, dass Games oft mit Kriegsspielen gleichgesetzt werden. Diese einfache Gleichung ist aber falsch. Bei Filmen ist man sich hingegen der grossen Bandbreite bewusst. Diese ist bei Games genauso gross. (lei)

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