«Bitte schieb mir kein Essen durch die Tür, lass mich einfach gehen»

Alexa Scherrer | 
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Ohne Kontakt zur Aussenwelt und ohne Wissen, was einem geschehen könnte. Die Zeit in einer U-Haft-Zelle kann einen Menschen verändern. Bild: Symbolbild Pixabay

Was bedeutet es, in U-Haft zu sitzen? Wir haben mit einem ehemaligen Schaffhauser Drogendealer über diese Erfahrung, seine Vergangenheit und seine Zukunftsängste gesprochen.

Er hat mit Drogen gedealt, um sein Leben finanzieren zu können. «Ich war damals 17 Jahre alt, war noch in der Ausbildung und musste mich selbst ernähren», gibt der Ex-Drogendealer - der seinen Namen nicht nennen möchte - preis. Über drei, vier Jahre geht das damals gut, dann schlägt das Schicksal zu und er wird verhaftet. Ein Vorfall, der sein Leben verändern sollte.

«Ich erinnere mich noch genau. Es war vor drei Jahren kurz vor Weihnachten.» Ein Freund fragt ihn, ob er «etwas herauslassen kann» für Freunde des Kollegen. «Ich habe mir dabei nichts gedacht, obwohl meine prinzipielle Haltung immer war: Dealen nur unter Freunden oder Menschen, die ich kenne.» Bald darauf erscheint der Kunde bei ihm vor dem Haus. «Er kam mit dem Auto, also setzte ich mich zu ihm rein», sagt er nach einem tiefen Atemzug. «Der grösste Fehler, den ich je gemacht habe.» Er zeigt dem Kunden das Cannabis für rund 400 Franken, dieser tut so, als würde er sein Portmonnaie nicht finden können. «Er fragte mich, ob wir nicht zusammen in den Nachbarort fahren könnten, um das fehlende Geld abzuheben.» Er verneint: «Hol das Geld und komm wieder, ich bleibe hier.»

Zu diesem Zeitpunkt weiss er noch nicht, dass auf der Rückbank des Autos noch zwei weitere Männer sitzen. Relativ schnell macht er aber Bekanntschaft mit ihnen - sie versuchen, ihm das Gras abzunehmen. «Das haben sie dann auch geschafft, sie waren ja zu dritt», fügt er an. So einfach will er sich aber nicht geschlagen geben. «Ich stand vor das Auto und sagte ihnen, sie müssten mich schon überfahren, wenn sie das Gras haben wollen», erzählt er und lächelt kurz. Gesagt, getan: Der Fahrer drückt das Gaspedal durch. «Ich sprang reaktionsschnell auf die Motorhaube. Der Fahrer versuchte zwei, dreimal mich von dieser abzuwerfen, verlor dann aber die Kontrolle und raste in den Gartenzaun meiner Nachbarin.»

Kurz vor der Kollision kann er noch abspringen. Das Auto kommt zum Stillstand, er schnappt sich das Cannabis und versteckt sich zu Hause. «Die folgten mir und wollten in mein Haus kommen.» Kurz darauf erscheint die - von der Nachbarin alarmierte - Polizei. Alle vier Involvierten werden verhaftet und abtransportiert.

«Scheisse!» - so sein erster Gedanke nach der Verhaftung. Doch Angst vor dem Gefängnis hat er damals keine: «Es ging ja bloss um Gras.» Zusätzlich nimmt ihm die Angst auch der Gedanke, dass er sich in diesem Moment mehr als Opfer, denn als Täter sieht. «Schliesslich wurde ich angefahren.» Sorgen macht ihm nur die Möglichkeit einer Busse - und dass er sie nicht bezahlen könnte.

Von der Polizeistation über das Spital in die Ausnüchterungszelle

Zuerst werden die drei Personen aus dem Auto auf der Polizeistation abgeladen. Danach wird er ins Spital überbracht und auf Verletzungen untersucht. «Mit polizeilicher Begleitung in den Notfall zu gehen, war sehr unangenehm. Man weiss nie, wem man da begegnen könnte und die Polizei wich zu keiner Zeit von meiner Seite», erzählt er. Er hat Angst, jemand, der es besser nicht wissen würde, könnte ihn sehen und so von seiner Verhaftung erfahren. 

Ohne eine Aussage machen zu dürfen, muss er nach dem Spitalaufenthalt direkt in eine Ausnüchterungszelle - er konsumiert auch selbst. «Die Zelle war ziemlich mies. Es hatte kein Bett, keine Toilette, nur einen kleinen Hocker. Froh war ich über die Schmerzmittel, die ich gekriegt hatte. So konnte ich auf dem kalten Boden relativ schnell einschlafen.»

«Ich will nur noch hier raus»

Nach circa drei, vier Stunden wird er abgeholt. Er muss seine Aussage machen und wird danach in eine U-Haft-Zelle gesteckt. Diese hat ein Bett mit Plastiküberzug, einen Stuhl ohne Tisch und eine Toilette respektive «ein Loch, um sein Geschäft zu verrichten». Zugang zu fliessend Wasser hat er zwar, jedoch kann er nur jede Stunde einen Becher Wasser trinken. «Wenn man sich nach dem Gang zur Toilette die Hände gewaschen hatte, musste man halt wieder eine Stunde warten, bevor man etwas trinken konnte.»

Er verbringt rund 24 Stunden in der – nach eigener Aussage – circa sechs Quadratmeter grossen U-Haft-Zelle. «In der Zelle fuhr es mir dann richtig ein und es kamen das erste Mal richtige Angstgefühle auf. Ich machte mir Gedanken darüber, dass wenn ich noch länger hier sitzen muss, erfährt es mein Lehrmeister, meine Familie – ich dachte, ich verliere alles. Mit jeder Stunde wurde ich nervöser und fiel immer mehr in eine kleine Depression, es fühlte sich an, als sei mir die Freiheit geraubt worden. Gleichzeitig machte ich mir aber Vorwürfe darüber, was ich getan habe - ich wollte nur noch hier raus.»

Der entscheidende Moment

«Schwierig für mich war auch, dass ich niemanden zum Reden hatte.» Einzig der Wärter für die Essensausgabe wechselt mit ihm ein paar Worte. Dieser sagt ihm auch, er wisse nicht, wann er gehen könne. Der Wärter erwähnt nur, wenn ein Häftling kein Essen erhält, wird er meist kurz darauf entlassen. Zweimal wird ihm während seines Aufenthaltes Essen auf die Zelle gebracht. Auf die Frage, wie das Essen im Gefängnis denn schmecke, antwortet er: «Wie im Militär, also sehr einfach gehalten und nicht wirklich geniessbar.» Samstagabend hört er, wie der Wärter den Inhaftierten Essen wieder auf die Zellen brachte. «Das war das Schlimmste. Ich dachte, bitte schieb mir kein Essen durch die Tür, lass mich einfach gehen. Ich hatte nach nur einem Tag die Schnauze voll.»

Endlich wieder auf freien Füssen

Kein Essen, dafür Freiheit! «Sie öffneten die Tür und sagten, ich dürfe jetzt meine persönlichen Sachen abholen, unterschreiben und gehen.» Das Urteil lautet: Verstoss gegen das Betäubungmittelgesetz. Er wird mit einer Busse von 2000 Franken bestraft. «Ich hatte Glück», räumt er ein. «An der nahegelegen Bushaltestelle hatte eine Frau das Geschehene vom Vorabend beobachten können und ausgesagt, die drei fremden Personen hätten versucht, mich zu überfahren.» Das ist insofern wichtig, als dass die drei anderen verhafteten Personen damals aussagen, er habe ihnen ins Lenkrad gegriffen und sei für den Unfall verantwortlich. «Ich bin froh, hat mich jemand gesehen - obwohl ich etwas Verbotenes gemacht habe. Sonst wäre ich wohl immer noch in einer Zelle und mein Leben wäre auf einen Schlag vorbei gewesen.»

Aus den Fehlern gelernt

«Ich bereue meine Taten. Ich hätte nie gedealt, wäre ich nicht darauf angewiesen gewesen», beteuert er. «Es war einfach nicht mehr auszuhalten, bereits Anfang Monat kein Geld mehr zu haben.» Er müsse sich seine Kleider und sein Essen selbst finanzieren und mit einem Lehrlingslohn sei das fast unmöglich. «Ich hatte halt keine Eltern, die mir eine neue Hose kaufen konnten.» Natürlich hätte er auch einen anderen Job neben der Lehre machen oder dann in ein Heim gehen können. «Das wollte ich aber einfach nicht, ich wollte nicht von jemandem abhängig sein.»

Auch wenn die finanziellen Probleme vorerst bestehen bleiben, das Dealen gibt er gleich nach seiner Entlassung auf. «Ich habe mir geschworen, dass ich nie mehr Gras verkaufen werde.» Er verneint auch die Frage, ob er ohne Verhaftung heute noch dealen würde.  «Es ist sehr zeitaufwendig, du bist immer auf Achse, wirst angerufen, es kommen Leute vorbei und wenn du finanziell nicht zwingend darauf angewiesen bist – also genug Geld verdienst - musst du dir das auch nicht antun.» Mit Kiffen hingegen hört er nicht auf. Er werde sich aber nicht mehr auf Menschen einlassen, die er nicht kenne oder von denen er nicht wisse, ob er ihnen vertrauen könne.

Das Dealen habe ihm eine Grenze aufgezeigt und fast sein Leben zerstört. Mit Glück habe er eine zweite Chance erhalten - und sie auch genutzt. Heute lebt er alleine, arbeitet erfolgreich auf seinem Beruf und kann ein ganz normales Leben führen.

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